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Warum wir den feministischen DreamGap-Spot nicht feiern

Businessmodell schlägt Image-Kampagne

Aktuell erfährt ein Spot von Mattel, dem Barbie-Hersteller, viel positive Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken. Ein Spot, in dem sich kleine Mädchen in Nahaufnahme eindringlich an die Zuschauer*innen wenden, auf dass ihnen nicht weniger zugetraut werde als Jungs. Sie appellieren, dass Erwachsene ihre Träume nicht kleinhalten, sondern ihnen mit entsprechenden Rollenvorbildern Inspiration für ihre (berufliche) Zukunft schenken: den Traum-Gap schließen. Der Spot argumentiert mit diversen Studien rund um die #RosaHellblauFalle (Opens in a new window), die belegen, dass schon Kinder ab dem fünften Lebensjahr, (auch gleichaltrigen) Jungen mehr zutrauen als Mädchen, und dass Mädchen nicht nur von sich selbst weniger erwarten, sondern auch Erwachsene sehr unterschiedliche und obendrein hierarchische Vorstellungen haben von der Zukunft von Töchtern bzw. Söhnen.* (1)

Gender Status Beliefs

Gender Status Beliefs* (2) sind keine neue Entdeckung, aber bisher hatte noch kein Unternehmen das Phänomen für eine Marketing-Idee genutzt. Der Spot ist ein Erfolg für Mattel, er wird geteilt, geliebt und weiterempfohlen - ein guter Schachzug also, denn ja, die Faktenlage, die der Spot nennt, entspricht leider den Tatsachen:

Ab ca. fünf Jahren glauben Mädchen seltener als Jungen, dass Angehörige ihres Geschlechts "wirklich, wirklich schlau" sind. Sie fangen an, Aktivitäten zu vermeiden, die für “schlaue” Kinder gedacht sind* (3). Und dieser Glaube geht auch in Zukunft nicht mehr verloren, auch Frauen halten Männer für intelligenter trotz gleicher Leistung*(4):

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… obendrein ist es ein sehr anrührender, professionell produzierter, vielleicht auch inspirierender Spot mit großen Kinderaugen, wer würde da nicht… aawww!

Wäre da nicht Barbie…

…die bekannteste und meist verkaufte “Modepuppe” der Welt, die Mattel, seit 1959 in die Kinderzimmer schiebt. Im Mittelpunkt der Barbie-Welt stehen Mode, Schuh-, Accessoires-, Kleiderwechsel und … Geschlechtertrennung. Vereinzelte Spots in denen Jungen auftauchen, ändern nichts daran, dass die Hauptzielgruppe Mädchen sind, Pink spielt bei der Vermarktung eine wesentliche Rolle* (4). Und auch wenn Barbie unterschiedliche Berufe hat und Mattel viel investiert, um als emazipatorisches Spielzeug wahrgenommen zu werden, bleibt es auch in den aktuellsten Spots dabei, dass Jungen (und Männer) häufiger mit (nicht pinkem) Konstruktionsspielzeug in Verbindung gebracht werden als das Mädchen (und Frauen) geschieht:

Das Unternehmen hat mit einem jährlichen Umsatz von aktuell gut 5 Milliarden Euro und knapp 200 Millionen Euro Gewinn als eines der größten Unternehmen in der Branche großen Einfluss darauf, womit Kinder spielen. Und hat in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich dazu beigetragen, dass der beklagte ‘Dream Gap’ seitens der Spielwarenindustrie nicht etwa gemindert, sondern vielmehr verstärkt wurde.

Mattel gibt sich also mal wieder fortschrittlich feministisch in seinen Texten zur Kampagne, und hält doch nach wie vor an genau jenen Stereotypen fest, die Ursache sind für das Problem, das die Kampagne angeblich bekämpfen will:

“Obwohl bereits Fortschritte bei der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern erzielt wurden, gibt es noch immer Stereotype und gesellschaftliche Vorurteile, die den Lebensweg und die künftigen Entscheidungen eines Mädchens beeinflussen können.”

Aktivismus oder doch wieder bloß Marketing?

Warum nutzt das Unternehmen seinen Einfluss nicht, ein grundlegendes Umdenken zu initiieren, auf dass die Spielwarenindustrie ihre Verantwortung annimmt und dafür sorgt, dass Kinder ihre Persönlichkeiten wirklich frei entfalten können frei von stereotypen Zuweisungen? Es gab ja in den vergangenen Jahren wahrlich viele vergleichbare Image-Kampagnen von Ferrero, Lego, Unilever, die weder kurz- noch langfristig etwas verändert haben am Stereotyp der Puppenmutti und des (Spiel-)Auto-Fan. Alle genannten Unternehmen setzen trotz andererslautender Statements weiterhin auf ein Geschäftsmodell, das stereotype Rollenbilder reproduziert und zementiert.

Immerhin, Mattel unterstützt durch Spenden Projekte, wie z.B. ‘Inspiring Girls International’, eine Organisation, “die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Hoffnungen von Mädchen auf der ganzen Welt zu wecken, indem sie sie mit weiblichen Vorbildern aus allen Lebensbereichen zusammenbringt.” … mit Barbie-Puppen:

“Aber die Aussage des Spots ist doch trotzdem wichtig!”

… und die Filme von Woody Allen oder Johnny Depp sind toll, die Bilder von Picasso (Opens in a new window) meisterhaft, die Musik von Rammstein… - hier geht es nicht um Musikgeschmack oder Kriterien von Kunst, sondern es geht um das Privileg des Nicht-Erinnerns. Wir gewähren es so manchem Künstler und auch bei großen Wirtschaftsunternehmen verzeihen wir gern, bevor es ungemütlich werden könnte. Der Film ist doch so gut, die Kunst so groß, die Stimmung so schön, also vergessen wir lieber die frauenfeindlichen Aussagen und Handlungen bzw. die stereotypen Rollenbilder des Gendermarketing.

Damit wollen wir Mattel sicher nicht auf eine künsterlische Ebene hieven, sondern wir appellieren daran, zu erinnern! Wir fordern dazu auf, Produkt und Hersteller zusammenzudenken, so wie Werk und Künstler auch.

Wir fordern von den Unternehmen und ihren (Gender)Marketing-Abteilungen eine Strategie, den ‘Dream Gap’ ernst zu nehmen und zu reduzieren. Nicht mit wohlfeilen, singulären Image-Kampagnen, sondern im alltäglichen unternehmerischen Handeln. Es geht darum, in die breite Masse zu wirken und die (Werbe)Bilder zu verändern, die wir als 'normal’ zu akzeptieren gelernt haben. Und dazu gehören eben auch normschöne, schlanke Puppen-Frauen mit unmenschlichen Körperformen, die seit Jahrzehnten als Rolemodel vermarktet werden!

Normalität ist eine soziale Übereinkunft und kein Naturgesetz.

Und wir wünschen uns von all jenen, die den DreamGap-Spot und andere feministisch wirkende Marketing-Kampagnen feiern, darüber die wirtschaftlichen und historischen Begleitumstände nicht zu vergessen. (Vgl hier unseren Newsletter zur ‘Geschichtsvergessenheit (Opens in a new window)’).

Zwar ist wichtig, neben Kritik auch die kleinsten positiven Ansätze anzuerkennen. Doch muss die dringende Frage folgen, was das Unternehmen denn nun gedenkt konkret zu tun, um den wirklich traurigen DreamGap zu verkleinern?! Was ist der Beitrag von Mattel, damit Kinder ihre Persönlichkeit frei von engen Rollenbildern entfalten können? Nicht in einzelnen Nischen, sondern als grundsätzliche Haltung im Unternehmen? Wenn es darauf keine nachhaltige Antwort gibt, dann ist auch dieser Spot, so schön er ist, mal wieder bloßes Pinkwashing.

Quellen / Verweise / Weiterlesen:

(1) “Stephens-Davidowitz hat mithilfe von Datenanalyse ausgewertet, wonach Eltern googlen, wenn sie etwas über ihre Söhne und Töchter herausfinden wollen. Das erschütternde Ergebnis: Während Eltern von Söhnen vor allem daran interessiert sind, wie schlau ihr Filius ist, wollen die Eltern von Mädchen eher wissen, ob ihr Kind hässlich oder übergewichtig ist. (Opens in a new window)

(2) ‘Status Beliefs’ meint die Überzeugung, dass Menschen, die einer bestimmten Kategorie angehören (z. B. Männer, Berufstätige, Deutsche…), gesellschaftlich wertvoller und kompetenter sind als Menschen einer anderen Kategorie.

 (3) "Specifically, 6-year-old girls are less likely than boys to believe that members of their gender are “really, really smart.” Also at age 6, girls begin to avoid activities said to be for children who are “really, really smart.””

https://science.sciencemag.org/content/355/6323/389.full (Opens in a new window)

(4) Sie haben gleich gute Noten - trotzdem trauen sich Studentinnen weniger zu als ihre männlichen Kollegen:

https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/intelligenz-maenner-ueberschaetzen-sich-frauen-unterschaetzen-sich-a-1201229.html (Opens in a new window)

(5) Ende der 1960er Jahr ging Mattel dazu über, die Puppen in pinkfarbene Kartons zu verpacken. Seit damals ist dieses dunkle leuchtende Rosa (Opens in a new window)als Geschmacksmuster unter dem Namen Barbie-Pink geschützt.

weitere Studien zu Gender Status Beliefs, die der Spot aufgreift:

Bücher aus der Wort & Klang Küche von Almut Schnerring und Sascha Verlan

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