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Make Russia small again

Eine litauische Sportlerin zeigt Haltung

Die litauische Leichtathletin Körnelija Düdaitė wurde bei der Fitness-Weltmeisterschaft disqualifiziert, weil sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „Make Russia small again“ trug. Nach dem Turnier zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Was blieb, sind Videos von dem Tag des Protests, hunderte Kommentare in den sozialen Medien und Düdaitės Wunsch, nicht im Rampenlicht zu stehen.

Zusammenfassung

Die litauische Athletin Körnelija Düdaitė protestierte bei der WM mit einem T-Shirt gegen Russlands Krieg und wurde disqualifiziert. Ihr stiller Protest wurde international sichtbar, doch sie zahlte einen hohen Preis: Karriereende, Rückzug aus der Öffentlichkeit. Ihr Shirt ist heute Symbol für Zivilcourage im Nationalmuseum. Düdaitė zeigt, wie viel Mut es braucht, Haltung zu zeigen – auch wenn niemand hinschauen soll.

Von Sabrina Proske, München

Es ist eines der letzten Videos auf dem Instagram-Profil von Körnelija Düdaitė: Am Freitag, den 13. Dezember 2024 betritt die Athletin die Sporthalle zur Auftaktveranstaltung der Functional Sports (iF3) World Championships 2024 in Budapest. Ihre Hände zittern und ihre Knie fühlen sich schwach an. „Es gibt Dinge, die getan werden müssen“, flüstert sie sich selbst zu und streckt ihre Hände entschlossen nach oben.

Über ihrem Rücken schwenkt sie die ukrainische Flagge, auf der in großen Lettern geschrieben steht: „Kämpfe für deinen Glauben, so wie die Ukraine für ihre Freiheit kämpft.“ Ihr T-Shirt trägt die Aufschrift „Make Russia small again“, ein Satz, der berühmt wurde, nachdem der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskyj einen Monat zuvor ein Hemd mit derselben Botschaft getragen hatte. Der Gedanke, Russland mit einem simplen T-Shirt symbolisch zu verkleinern, gefiel ihr.

Litauen zählt zu den treuesten Verbündeten der Ukraine und steht Kiew seit dem ersten Tag der russischen Invasion mit unerschütterlicher Solidarität sowohl finanziell, humanitär als auch militärisch zur Seite.

Russland instrumentalisierte sie für Propagandazwecke

Der Protest von Düdaitė zog im baltischen Staat eine Welle medialer Aufmerksamkeit nach sich und entfachte hitzige Diskussionen über die politische Neutralität im Sport. Nach den Weltmeisterschaften wurde es jedoch auffallend still um die Athletin selbst. Nicht, weil man ihr den Mund verboten hätte. Vielmehr war Düdaitė verärgert darüber, dass ihr politisches Statement bei den Weltmeisterschaften als Skandal aufgefasst wurde. „Es sollte ausschließlich einem humanitären Zweck dienen“, betont die Athletin.

Russland instrumentalisierte den Auftritt für Propagandazwecke. Der ehemalige russische Sportminister Pawel Kolobkow bezeichnete sie öffentlich als „dummes Mädchen“, das „lieber Geschichte studieren sollte“ anstatt Unwahrheiten zu verbreiten. Für ihn sei sie eine „Propagandistin und keine Sportlerin“. Zu den Aufgaben einer Athletin gehöre es, an Wettkämpfen teilzunehmen und nicht politische Diskurse zu führen. Der Duma-Abgeordnete Dmitri Svishchev bezeichnet Düdaitės als eine Provokateurin, die mit Sport nichts am Hut habe.

„Mit dem Protest habe ich meine Karriere beendet“

Die Anfrage, einen ausführlichen Artikel über sie zu schreiben, beantwortet Düdaitė höflich, aber unmissverständlich: „Ich sehe mich nicht in der Position, öffentlich Menschen beeinflussen zu können.“ Sie wünschte, dass die Leute nicht mehr über sie sprächen. Manche unterstellten ihr, die WM und den Sport für ihre individuellen Zwecke ausgenutzt zu haben, erklärt sie.

Doch was viele nicht sehen würden: „Mit dem Protest habe ich meine Karriere beendet.“ Düdaitė zählt zu den aussichtsreichsten Athletinnen Litauens und galt bei den iF3-Weltmeisterschaften in Budapest als vielversprechende Teilnehmerin in der Kategorie Women's Masters der 30- bis 34-Jährigen.

Definitiv kein Nischensport

Rund 500.000 Athlet*innen aus 60 Ländern treten jährlich bei nationalen und internationalen iF3- Wettkämpfen an. Zum Vergleich: Handball zählt allein in Deutschland bereits 760.000 Sportler*innen. Functional Fitness gehört damit zu einem Nischensport, jedoch mit hohem Wachstumspotential.

„Groß aufgezogene Veranstaltungen wie die Europa- oder Weltmeisterschaften haben für unseren kleinen Sport eine enorme Bedeutung“, erklärt Rokas Milevičius, Sprecher des litauischen Verbands für funktionelle Sportarten im Interview. Während Veranstaltungen in der Regel privat organisiert und ohne staatliche Unterstützung finanziert werden, erhalten olympische Sportarten meist Unterstützung von staatlichen Sportorganisationen.

Genau hier sieht Düdaitė ein Problem, wie sie gegenüber dem litauischen Sender „lrt“ erklärte. Da der Verband staatliche Mittel erhalte, sei er verpflichtet, eine bestimmte Anzahl an Sportler*innen zu stellen. „Wenn wir dieser Verpflichtung nicht nachkommen, wird uns ein bestimmter Betrag an Mitteln gestrichen“, sagt sie.

„Wir wissen, dass die Russen kommen“

Die letzten Weltmeisterschaften hielten jedoch eine überraschende Wendung für die litauische Mannschaft bereit. Einen Monat vorher wurde offiziell wurde verkündet, dass russische Sportler*innen unter neutralem Status in Budapest teilnehmen würden. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte 2017 entschieden, russische Sportler*innen von den Olympischen Spielen auszuschließen. Seitdem dürfen sie nur noch als neutrale Athlet*innen antreten, ohne die russische Flagge zu zeigen oder die Nationalhymne zu singen. 

Angesichts der pro-russischen Haltung Ungarns hegte das litauische Team jedoch erhebliche Zweifel an der Neutralität und der Einhaltung der Regeln durch die iF3- Organisation, erklärt der litauische Teamsprecher. „Vorab besprachen wir gemeinsam, ob wir trotzdem an den Weltmeisterschaften teilnehmen wollen“, so Milevičius. Als sich die Mannschaft entschied, nach Budapest zu fahren, war die Haltung klar: „Wir wissen, wohin wir gehen, wir wissen, dass die Russen kommen“, sagt Milevičius.

Doch Düdaitė hatte Zweifel. Sie bestellt sich das T-Shirt „Make Russia small again“ und packt es ein. Niemand in der Mannschaft wusste davon, beteuert sie. Mit jenem T-Shirt zieht sie an diesem Freitag Mitte Dezember eine letzte Runde durch die Sporthalle, ihre Augen auf die Zuschauer*innen gerichtet. Mehrere Besucher*innen halten das Ereignis mit ihren Smartphones fest und posten blitzschnell Fotos und Videos. Insgesamt verfolgen weltweit 100 Millionen Zuschauer*innen den Sport. Über soziale Medien erreicht die iF3 jährlich etwa 13 Millionen Viewer*innen.

Fotos machen für den Zweck

Nach ihrem Protest erzählt die Sportlerin: „Ich würde mich nicht als mutig bezeichnen“. Doch an diesem Vormittag stellt sie sich ihrer Angst vor zu viel Aufmerksamkeit und sucht bewusst die Kameras, lässt sich von den Besucher*innen auf der Tribüne und den anderen Teams mit ihren Handys filmen. 

Sie weiß: Jede Minute länger in der Halle bringt sie ihrem Ziel näher, die Zuschauer*innen an die russische Aggression in der Ukraine zu erinnern. „Meine größte Sorge war, dass ich zu früh rausgeschmissen werde“, erzählt sie später. Doch zunächst passiert: nichts. Nach den offiziellen Mannschaftsfotos kehrt das litauische Team in ihre Umkleidekabine zurück. Düdaitė atmet erleichtert auf.

Am nächsten Morgen beginnt der Wettkampf offiziell. „Ich sah, wie die russische Mannschaft wieder ihre T-Shirts mit ihrer Flagge trug“, erzählt sie. „Daraufhin zog ich auch meines an.“ Doch an jenem Tag kommt bereits nach wenigen Minuten nach Beginn ein Mitglied der Organisation auf sie zu und erklärt, dass ihr T-Shirt politisch sei und sie es nicht tragen dürfe. Düdaitė weigert sich, es auszuziehen. Kurz darauf erscheint ein zweiter Organisator und droht, das gesamte litauische Team auszuschließen, falls sie nicht nachgebe. 

Sie fühlt sich unter enormem Druck, will ihre Teammitglieder nicht in ihren Protest hineinziehen. Viele der Athlet*innen seien sehr jung, für die meisten sei es der erste Wettbewerb dieser Art gewesen. Aber Düdaitė ist auch fest entschlossen, keine Zugeständnisse zu machen. Das T-Shirt auszuziehen ist für sie keine Option. Also verlässt sie die Halle. Sechs Sicherheitsleute begleiten die Sportlerin hinaus. Wenige Stunden später bekommt Düdaitė die offizielle Disqualifizierung schriftlich.

Litauisches Team zieht sich zurück 

Nach dem Ausscheiden der Sportlerin geht alles sehr schnell: Alle 28 litauischen Teammitglieder ziehen sich geschlossen von dem Wettbewerb zurück. Der litauische Verband erklärt im Anschluss: „Die iF3-Organisatoren sind fahrlässig mit der Politik der ‚neutralen Flagge‘ umgegangen. Das ist absolut unvereinbar mit unseren Werten.“ Auch der Teamsprecher Milevičius sieht sich in einem Dilemma, wie er erklärt. „Moralisch gesehen verstehen wir alle, dass dies die richtige Entscheidung ist, aber es gibt auch den sportlichen Wunsch, die Russen auf dem Sportplatz zu bezwingen“, erklärt er.

Das Team wollte geschlossen auftreten, erklärt Düdaitė im Nachhinein. Sie wüsste jedoch, dass einige Mitglieder mit ihrem Protest nicht einverstanden waren. Daher bedaure sie die Entscheidung ihres ehemaligen Teams sehr, erklärt sie in Interviews. „Ich habe mich bei den Weltmeisterschaften zurückgezogen, weil ich nicht wollte, dass die litauische Mannschaft ausscheidet“.  Doch dann sei genau dies passiert.   

Zwei Monate später scrollt Düdaitė durch ihre Posts. Viele davon sind mit Hunderten von Kommentaren versehen. „Die meisten lese ich gar nicht mehr“, sagt sie. In den letzten Wochen hätten sich zahlreiche Menschen ungefragt zu dem Ereignis öffentlich geäußert. Sie versuche das auszublenden. Ihr Hauptziel sei es gewesen, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass in der Ukraine noch immer ein Krieg tobe. Ob ihr das gelungen sei, wisse sie nicht.

T-Shirt als Symbol für Zivilcourage im Museum

„Aber wenn die Litauer in der Weihnachtszeit wieder mehr Geld spenden, um den Ukrainern zu helfen, durch den Winter zu kommen, dann habe ich viel mehr erreicht, als ich in meinem Leben mit sportlichen Erfolgen je erreicht hätte.“ Was als nächstes kommt, ist noch ungewiss. Die Weltmeisterschaften sind vorerst ihr letzter Wettbewerb mit dem Litauischen Verband gewesen, heißt es in der litauischen Presse. Es sei keine leichte Entscheidung gewesen nun allein da zu stehen.

Ihr T-Shirt befindet sich mittlerweile im litauischen Nationalmuseum, als Symbol für Zivilcourage und den Widerstand gegen die russische Aggression in der Ukraine. Es verkörpere die staatsbürgerliche Haltung des litauischen Volkes, erklärt auf Anfrage Giedrė Milerytė-Japertienė, Leiterin der Geschichtsabteilung. Das Museum möchte vor allem in Zeiten des Krieges Position beziehen, sagt sie.

Das neue Jahr beginnt für Düdaitė auf dem Berg Tatry, umgeben von einer verschneiten Winterlandschaft. Dort steht sie mit zusammengekniffenen Augen und hält inne. Pudriger Schnee rieselt herunter und umhüllt ihr Gesicht wie einen Schleier. Dann bückt sich die Athletin und schreibt mit entschlossener Hand in den Schnee: Make Russia small again.

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