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Thalaris Almanach - Buch 1: Initiierung

Teil 15 - Das Rätsel der Graubrut

Meleya saß schmollend neben mir. Sie war wohl doch nicht so tough, wie ich den Eindruck hatte. Gartys hatte mir geholfen, eine ruhige Ecke zu finden, damit ich meine Kleidung wechseln konnte. Nun saß ich hier und hörte Uthys bei seinen Ausführungen zu Oylien und der Graubrut zu.

„…, also hatte Oylien nach seinen Aufzeichnungen keine andere Wahl. Er konnte die Graubrut nur bannen. Mit dem, was die Magi Elementum nennen. Er errichtete eine Barriere und opferte sich selbst dabei auf“, erklärte er.

Gartys wackelte aufgeregt mit den Klauenflügeln.

„Es war jedoch nicht nur eine Barriere. Soweit wir aus seinen Büchern wissen, gab es verschiedene Orte. Die Aufzeichnungen dazu sind lückenhaft, aber uns ist bekannt, dass es diese Barrieren gibt. Doch in seinen ‚Schriften zum Ende des Versagens‘ schrieb er, er habe in ganz Phersias Brutbarrieren errichtet.“

Uthys senkte das Kinn auf die Brust und runzelte die Stirn.

„Wäre Asgon hier, könnte er mehr zu dem Mechanismus sagen, den du gesehen hast. Er ist ein begnadeter Bastler und hat bisher jedes Buch dazu verschlungen, welches er hier hat finden können.“

Er schaute zu Meleya, die sich schnaubend erhob und davon marschierte.

„Ich such’ ihn schon“, motzte sie uns über die Schulter hinweg an.

Jede Fasere ihres Körpers strahlte den Widerwillen aus, das zu tun, was ihr Vater von ihr erwartete. Da ich nicht wusste, welche Geschichte hier dahinter lag, hielt ich mich zurück. Ich wollte mich nicht in Familienangelegenheiten einmischen. Doch ein Blick zu Uthys zeigte, dass es kompliziert war. Er sah aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

„Ist die Graubrut also etwas Reales, Greifbares?“, versuchte ich die Situation zu entspannen und wieder auf das Wesentliche zu lenken. Uthys und Gartys sahen sich an. Bedeutungsschwer atmend holte Ersterer dann eine große Schriftrolle unter dem Tresen hervor. Er legte sie auf den Tisch, der die gesamte Büchertheke um uns herum umkreiste und entrollte sie langsam. Mir verschlug es den Atem.

Obwohl sie sichtlich alt war, rissig und an den Rändern vergilbt, war die Zeichnung darauf unbeschreiblich detailliert und voller Farbe. Ich sah einen Berg, in welchem ein dunkler Eingang lag. Draussen, vor dem Berg war eine Weise zu sehen, die in voller Blüte stand.

Uthys rollte weiter auf und es schien, als würde man damit die Höhle betreten. Fackelschein an den Wänden, grauer, staubiger Boden, der alsbald ins glitschige, nasse überging. Und dann, etwas Ungewöhnliches.

Mitten in der Höhle, an der Decke, hing ein Gebilde. Langgezogen und geschwungen wie eine Banane oder ein Kleiderbügel, mit einer Verdickung am hinteren Ende und einer saugnapfähnlichen Ausstülpung vorn. Im Verhältnis zur gezeichneten Höhle war das Ding so hoch wie ich, halb so lang wie der Hohlraum im Fels und klebte mit glibbrig aussehend Fäden an der Höhlendecke.

„Das ist … faszinierend und widerlich zugleich.“

Uthys schmunzelte und Gartys klackerte vergnügt mit seinem Schnabel.

„Es handelt sich um einen Erhaltunsgzauber, soweit wir wissen. Die Rolle ist sehr, sehr alt. Oylien hat diese Zeichnung anfertigen lassen. Wir gehen also davon aus, dass noch mehr an der Bannung beteiligt waren.“ , erwiderte Uthys.

„Und das ist die Graubrut? Oder zumindest ihr Nest? Wie sieht sie aus? Was wisst ihr noch?“, sprudelte es aus mir heraus.

Gartys trat näher und deutete auf etwas, woraufhin er sich schüttelte und einen angeekelten Laut von sich gab.

Ich war so von der Schönheit der Zeichnung gefesselt gewesen, dass mir das wichtigste Element entgangen war. Unter dem Nest auf dem Boden, in einer Pfütze aus schwarzem Schleim, der von dem Nest troff, saß etwas. Gänsehaut überkam mich und mich schüttelte es ebenfalls. Das Wesen war unnatürlicher als alles, was ich jemals in Spielen gesehen hatte.

Vier insektoide Beine, mit zu vielen Gelenken hielten einen Körper, der in drei Segmente geteilt war. Der hintere Teil war lang gezogen, wie der einer Wespe. Ein glänzender Stachel schaute heraus, Gift war durch den Zeichner mittels eines Tropfens gelber Flüssigkeit angedeutet worden. Der vordere Teil, nach einer recht breiten Taille, war in die Höhe gereckt. Zwei Paar Arme, ebenfalls mit zu vielen Gelenken, endeten in Haken und Schneiden, wie ich sie von Spinnen und Gottesanbeterinnen kannte. Das Schlimmste war das „Gesicht“.

Schwarze Augen, die nach vorn gerichtet, die Person zu fixieren schienen, die das Bild betrachtete. Über den Augen lag eine Reihe kleiner Löcher, welche am Hinterkopf verschwanden. Der Kopf, das dritte Segment, war viel kleiner als die anderen beiden. Borsten standen ab und Greifer, die viel zu groß schienen, rundeten die Hässlichkeit beinahe ab. Beinahe, weil aus dem runden, zahnbewehrten Maul eine lange, spitze Zunge schlangengleich in die Luft ragte, als würde die Kreatur Witterung aufnehmen.

„Das ist absolut …“

In den Eingeweiden der Vogelfeste bebte es. Die Tür öffnete sich explosionsartig.

Meleya stürzte herein.

„Er hat es wieder versucht!“, schrie sie und ich konnte ihre Panik körperlich spüren.

„Dann hat er es diesmal wohl geschafft“, grummelte Uthys und erhob sich von seinem Platz. Noch bevor einer von uns einen Schritt tun konnte, raste etwas durch den Raum, was sich nur als sichtbare Druckwelle beschreiben ließ. Alle in der Bibliothek wurden von den Füßen gerissen. Bücher fielen aus den Regalen, die Lichtsäule über dem Podest flackerte mehrfach und erlosch.

„Oh nein!“, flüsterte Gartys, der sich an einer Tischkante festhielt. Blaues Blut lief aus seiner Stirn und verklebte die Federn am Kopf.

Die Erde bebte erneut. Wir rappelten uns auf. Ich half Gartys sich auf einen Stuhl zu setzen und kramte nach einem Tuch, als eine weitere, viel stärkere Welle durch den Raum raste. Ich schlug hart auf den Boden auf und drehte den Kopf zu Meleya und Uthys. Hinter ihnen rieselte Gestein von der Decke. Der Kristall schwankte bedrohlich.

Regale zerbarsten, was eine Staubwolke auslöste. Ich hörte die Anwesenden schreien und panisch davonlaufen. Eine Gestalt sprang über den Tresen, dann eine weitere. Hustend halfen die beiden uns auf, packten Gartys und zerrten uns aus der Bibliothek, hinaus in den Gang.

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