Konflikte zwischen Erziehungsstilen angehen
In vielen Partnerschaften kommt es immer wieder zu Spannungen und Meinungsverschiedenheiten, wenn es um die “richtige” Erziehung der Kinder geht. Unterschiedliche Ansätze und Philosophien prallen aufeinander, was nicht selten zu Konflikten zwischen den Eltern führt. So geht es auch Sophie (*Name geändert), die sich einen Rat von mir in dieser Ausgabe der Zucker & Gold Newsletter - Kolumne gewünscht hat.
Content Note: Gewalt in der Familie. Lies diese Ausgabe bitte nur, wenn du dich stabil und sicher mit dem Thema fühlst. <3
Hallo Nadine,
mein Mann und ich streiten immer wieder über Folgendes: Ich erziehe bindungs- und bedürfnisorientiert, weshalb mein Mann meint, die ständigen Gefühlsausbrüche unserer Kinder seien quasi meine Schuld, obwohl beide Kinder fachärztlich bestätigt hochsensibel bzw. gefühlsstark sind.
Da mein Mann ein Haus baut und 90 Prozent der Woche wegen Arbeit und Hausbau nicht da ist, liegt der Großteil der Caraufgaben bei mir. Wenn er erziehen würde, würden die Kinder “funktionieren”, sagt er. Generell ist sein Ansatz eher autoritär. Da wird auch mit Verprügeln und Spielzeug wegschmeißen gedroht. Ich weiß, dass er das nie tun würde, aber allein die Drohung ist für mich schon krasse Gewalt.
Ich kann nicht einfach dabei zuschauen, wenn er das macht. Wenn es also sonntags regelmäßig eskaliert, weil er nur dann da ist, streiten wir, weil ich das so schlimm und herabwürdigend finde. Ich weiß, dass es nicht der beste Weg ist, dann da einzugreifen. Aber wenn ich selbst bei fremden Kindern zu so einem Umgang etwas sagen würde, wie soll ich da bei meinen eigenen Kindern zugucken?
Deshalb meine Fragen an dich: was kann ich anders machen? Wie entstehen weniger Herabwürdigung und Geringschätzung? Wie kann ich meine Kinder vor verbaler und emotionaler Gewalt schützen - ohne meinen Mann verbal anzugreifen oder die regelmäßige Eskalation hervorzurufen?
Vielen Dank und liebe Grüße!
Sophie*
Hallo liebe Sophie,
vielen Dank für die Einsendung deiner Frage und für dein Vertrauen. Boah, ich kann so gut mitfühlen, wie zermürbend die Situation sich anfühlen muss, in der du da steckst. Lass dir also erst einmal gesagt sein, dass ich deinen Struggle, aber auch die Kraft, die du da rein gibst, total sehe <3
Bevor wir gemeinsam schauen, welche Handlungsmöglichkeiten du vielleicht hast, möchte ich gerne der Vollständigkeit halber deine Wahrnehmung stärken. Ja, das Androhen von Gewalt oder davon zu sprechen, Gegenstände zu entwenden und zu entsorgen, die dem Kind gehören, ist Gewalt. So sagt Unicef (Öffnet in neuem Fenster)zur Frage, wo Gewalt anfängt, Folgendes:
“Gewalt gegen Kinder kann bereits dort beginnen, wo kindliche Grundbedürfnisse wie Respekt, Sicherheit, körperliche Unversehrtheit und emotionale und soziale Unterstützung nicht erfüllt werden.”
Und das steht schlicht und ergreifend im Widerspruch zum § 1631 im BGB, der lautet: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.”
Das einmal klar zu benennen und dir damit in deinem Bauchgefühl den Rücken zu stärken, war mir wichtig. (Am Ende dieses Newsletters habe ich dir noch ein paar Kontaktstellen aufgelistet, falls du mehr oder andere Unterstützung in Anspruch nehmen möchtest).
Und es heißt auch, dass die Impulse und Ideen aus dieser Mail das Ziel haben, dich zu ermutigen und zu stärken - und nicht sagen wollten, dass du nur dies oder jenes anders machen müsstest, damit dein Mann sich an diesen Stellen anders verhält. Sein Verhalten ist nicht deine Verantwortung. Ich würde dir also gern ein paar Ansätze anbieten, die deine eigene Handlungsfähigkeit stärken könnten, ohne die Verantwortung für die Situation auf deine Schultern zu laden. Einverstanden? (:
Mehr Standfestigkeit für deine Grenzen
Du schreibst du wüsstest, dass es “nicht der beste Weg ist, dann da einzugreifen”, wenn dein Mann auf seine Art mit den Kindern spricht. Gleichzeitig ist dein Impuls, auch bei fremden Kindern in diese Art von Interaktion eingreifen zu wollen, ja genau richtig (siehe oben). Also, der wichtigste Punkt, in dem ich dich heute stärken möchte, ist genau der: DOCH, du hast alles Recht der Welt, in diesen Situationen einzugreifen. <3
Ich setze dabei voraus, dass du das tun kannst, ohne selbst in eine bedrohliche Situation zu geraten. So habe ich dich verstanden, wenn du sagst, du weißt, er würde das niemals tatsächlich tun. Sollte das anders sein, sind die Beratungsstellen unten ein wichtiger Anlaufpunkt.
Was ich sinnvoll finde, ist einmal im Vorfeld mit deinem Mann darüber zu sprechen, dass du den Entschluss gefasst hast, diese Situationen anders handlen zu wollen. Ohne Vorwürfe, ohne Grundsatzgespräch. Eher in der Form von:
“Hej Schatz/Torsten*/…. . Ich habe nochmal darüber nachgedacht, wie schwer mir das fällt, die Situationen auszuhalten, in denen du den Kindern sagst, du würdest ihre Sachen wegnehmen oder sie verprügeln, wenn sie nicht machen, was sie sollen. Ich habe entschieden, dass ich das nicht mehr möchte. In Zukunft werde ich dich und die Kinder in solchen Situationen daran erinnern, dass es nicht in Ordnung ist, solche Dinge zu sagen. Wir können gerne gemeinsam überlegen, wie wir die Situation dann auflösen wollen und ich verstehe, was dir in dem Moment wichtig ist. Aber dieser Weg ist nicht der richtige und wir brauchen eine andere Lösung.”
In der Situation selbst stelle ich mir vor, dass es dir mit deiner eigenen Erlaubnis und der Vorankündigung leichter fallen könnte, direkt in die klare Handlung zu gehen. “Torsten, es ist nicht in Ordnung, diese Dinge zu sagen. Ich nehme die Kinder jetzt mit in den Garten und wir können später nochmal in Ruhe sprechen. Kommt, Kinder.”
Die Situationen dieser Ausbrüche sind auch nicht der Moment, um ihm verständlich machen zu wollen, dass das, was er tut, nicht okay ist. Salopp gesagt: deine Energie, da vernünftig zu argumentieren, wird leider verpuffen. 🙈
Meine Vorstellung wäre, dass dein klarer Plan auch dich davor bewahrt, in diesem Moment in eine Grundsatzdiskussion zu purzeln, mit der Hoffnung, dass er deinen Punkt einsieht. Hat man diese Hoffnung nämlich, wird man selbst immer emotionaler in dem Versuch, den anderen zu überzeugen. Das ist quasi Öl ins Feuer für die Eskalation.
Ein klarer, vorher zurecht gelegter Satz, den du im Zweifel schallplattenartig wiederholst, kann dich dabei unterstützen. “Es ist nicht in Ordnung, diese Dinge zu sagen. Ich nehme die Kinder jetzt mit ins Kinderzimmer/in den Garten/… und wir sprechen später in Ruhe nochmal.” Und dann machst du das.
Kommt er hinterher, setze die Grenze nochmal: “Ich kann verstehen, dass es sich gerade noch nicht geklärt anfühlt, aber so aufgewühlt können wir gerade auch nichts klären. Bitte lass uns später nochmal sprechen.” Disclaimer: zeigt er an irgendeinem dieser Punkte ein Verhalten, das sich bedrohlich anfühlt oder das dich ängstigt, ist es Zeit, die Situation mit Expert*innen (siehe Beratungsstellen unten) nochmal neu zu evaluieren. Bitte pass da auf dich auf, ja? 💛
Ein kurzer hypothetischer Ausflug in sein Gehirn
Ein Aspekt, den ich an dieser Stelle nur kurz einmal erwähnen möchte, ist eine hypothetische Annahme über seinen Grund für dieses Verhalten. Das ist immer ein wenig heikel, weil dein Mann ja gerade nicht da sagen kann, was für ihn stimmt. Deshalb löse ich das an dieser Stelle von ihm als Person und erzähle ein wenig darüber, was allgemein Hintergrund für so ein Verhalten sein könnte und du suchst dir da raus, was für dich nützlich ist, abgemacht?
Menschen, die u.a. viele Aufgaben und viel Druck haben, laufen mit diesem hohen Stresslevel viel schneller Gefahr, den Krisenmodus in ihrem Gehirn auszulösen (Hallo, liebe Mitelternde, you are not alone 💛). Der ist ursprünglich in uns eingebaut für so Säbelzahntiger-Situationen und hat zur Folge, dass entweder viel Energie für einen Angriff oder eine Flucht bereitgestellt wird oder wir in Starre oder Unterwerfungsgebahren fallen.
Je nach Glaubenssätzen, die so ein Mensch hat (“Wenn Kinder nicht funktionieren, brauchen sie halt Härte” → “Wer seine Kinder nicht unter Kontrolle hat, ist ein Versager”,...), wird auch das Verhalten von anderen Menschen plötzlich zu einer Bedrohung des Selbst, wie es sonst nur ein Säbelzahntiger-Kaliber ausgelöst hat. Vor allem, wenn die Menge an Stress, die man noch halbwegs regulieren kann, eh schon ausgereizt ist.
Auf diese Bedrohung des Selbst und den einhergehenden Kontrollverlust zu reagieren, kann das ganze Spektrum von Flucht, Angriff, Starre, Unterwerfung abrufen, je nach Typ und Situation. Entsteht eine (verbale/angedrohte) Angriffsreaktion, die sich gegen jemand anderen richtet, spricht die Partnerschaftsforschung von situativer Gewalt (u.a. Weiss, 2018), also der Entladung von Stress und Ärger in gewaltvollem oder grenzverletzendem Verhalten.
Angenommen, das ist auf eure Situation halbwegs übertragbar, könnte es hilfreich sein, zum einen auf Stressminderung zu achten (welche Situationen sind es insbesondere, in denen es eskaliert? Was passiert kurz vorher? Was könnt ihr da anders gestalten? Welche Unterstützung könnt ihr euch holen?).
Zum anderen wäre - wenn er gesprächsbereit ist - ein Austausch darüber interessant, welche Gefühle das Verhalten der Kinder in ihm auslöst. Und an welchen Stellen diese Gefühle (z. B. Ohnmacht, Kontrollverlust, Neid, Trauer…) dieses heftige Bedrohungsgefühl in ihm auslösen. Hier kann bei beiderseitiger Bereitschaft eine Paarberatung hilfreich sein, das musst du nicht alleine enttüddeln.
Dich und die Kinder stärken
Einen letzten Punkt möchte ich gerne noch machen. Etwas, das du auf jeden Fall jetzt und hier und direkt tun kannst, ist dich selbst und die Kinder zu stärken. Kinder brauchen mindestens eine zuverlässige, feinfühlige Bezugsperson, um ein sicheres Bindungsgefühl entwickeln zu können. Die haben deine Kinder!
Alleine schon zu hören, welches Verhalten in Ordnung ist und welches nicht, kann ihnen dabei helfen, Papas Verhalten einzuordnen. Ich bin keine Pädagogin, aber ich könnte mir vorstellen, dass auch ein generelles Aufarbeiten und Betonen von ihrer Schuldfreiheit und den verschiedenen Gründen, die Menschen für nicht okayes Verhalten haben können, dabei helfen, sich besser von diesen Konfliktsituationen abgrenzen zu können. Auch hier kannst du dich gerne einmal bei einer der Beratungsstellen informieren, welches Vorgehen die Kolleg*innen in Bezug auf die Kinder empfehlen würden.
Zum Abschluss einer der wichtigsten Punkte: sorg gut für dich. Ich weiß, dass das manchmal leichter gesagt als getan ist, aber viele gute Gedanken zum Nachlesen habe ich zum Beispiel in Nora Imlaus neuestem Buch “Bindung ohne Burnout (Öffnet in neuem Fenster)” (Werbelink) gefunden. Aus Psychologinnenperspektive kann ich alles unterschreiben, was in diesem Buch steht. Vielleicht findest du darin auch noch mehr tröstliche Gedanken für dich 😊
Pass gut auf dich auf, ich wünsche dir alles Liebe!
Nadine
Das war die aktuellste Zucker & Gold Ratgeber-Kolumne - schön, dass du dir dafür Zeit genommen hast :) Falls du eine individuelle Antwort auf dein eigenes Thema bekommen möchtest, kannst du deine eigene Beziehungsbaustelle gern einreichen! Kostet nichts, bringt aber vielleicht ja einen kleinen Anstoß in eine gute Richtung. 😊
Darüber hinaus habe ich mit einigen von euch schon ausgeheckt, dass wir an meinem Steady Angebot noch etwas schrauben. Das habe ich gemacht! 😄
Seit Juli 2024 gibt es für 15€ einmal im Monat einen Impuls-Vortragsabend/Mini-Workshop mit anschließendem Austausch und Fragerunde! Diese Veranstaltungen werden online am jeweils letzten Mittwoch Abend im Monat um 20:45 stattfinden. Ausnahmen werden rechtzeitig angekündigt.
Nach dem Vortrag/Mini-Workshop zeichne ich ein Video für euch auf, das ihr euch auch im Nachhinein noch anschauen könnt. Außerdem lade ich die Tonspur als Secret Podcastfolge bei Spotify hoch, mit einem Steady-Zugang kannst dir die Aufzeichnung auch easy in Spotify anhören :)
Und als wäre das noch nicht genug, kannst du eine weitere Person mit einem eigenen Zugang kostenlos dazu einladen 😊 (So funktioniert das. (Öffnet in neuem Fenster)).
Und das Beste: zum Kennenlernen dieses Angebots habe ich einen kostenlosen Probezeitraum (7 Tage) für das Steady Paket eingerichtet. Du kannst also, wenn du dich via Steady anmeldest, den nächsten Impulsvortrag/Mini-Workshop mit einer Person deiner Wahl auf jeden Fall für 0€ mitmachen!
Das Abo über Steady ist monatlich kündbar - und auch, wenn du schon weißt, dass du nur für einen Vortrag dabei sein magst, freue ich mich, wenn du das ausprobieren magst. #KeinSchlechtesGewissen
So oder so ist es schön, dich dabei zu haben! Ich wünsche dir eine gute Zeit und schicke dir herzliche Grüße!
Deine Nadine
Beratungsstellen
Hier findest du eine Auswahl an weiterführenden Beratungsstellen, die du jederzeit kontaktieren kannst oder Verzeichnisse von weiterführenden Stellen:
Angebote der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) (Öffnet in neuem Fenster)
Kostenloses Elterntelefon der Nummer gegen Kummer e.V. (Öffnet in neuem Fenster)