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Frohes Scheitern

Hier sollte seit zwei Wochen eine informative und exzellent illustrierte Reportage über die Ausstellung "Seidenstrasse" im MARKK Museum stehen …

Nur leider ist sie noch nicht fertig. Deswegen liest Du hier einen spontanen Bericht darüber, wie ich aus Niederlagen lerne. Wenn Du am Ende findest, das war totaler Humbug, lass es mich wissen! Ich übe gerade das Scheitern.

Übrigens soll das Wort HUMBUG aus dem Englischen kommen und eigentlich für HAMBURG stehen. Man habe wohl früher Nachrichten über Ost- und Mitteleuropa aus Hamburg erhalten. Die sind aber viel zu oft viel zu falsch gewesen, so dass der Begriff HAMBURG in Englad im 19 Jahrhundert als ein Synonym für ENTE benutzt wurde. 

Falls Du es noch nicht gemerkt hast, habe ich schon seit zwei Wochen nichts mehr veröffentlicht. Zum Einen liegt es an der Jahreszeit. Es ist dunkel, die Tage sind ganz kurz und zerrinnen zwischen den langen Nächten. Andererseits ist Dezember eine Zeit, in der alle um mich herum aufgewacht zu sein scheinen, während ich am liebsten in den Winterschlaf fallen möchte. Aufträge prasseln auf mich ein, Bilder werden bestellt, Anfragen müssen beantwortet werden … Ich wünschte, ich hätte mehr Ruhe, gerade zum Jahreswechsel. Geht es Dir auch so?

In den letzten Wochen haben mich drei Workshops von meiner aktuellen Reportage abgehalten. Es war so spannend und es musste so viel nachgearbeitet werden, dass ich mich nicht mehr auf das Thema "Seidenstrasse" konzentrieren konnte. Dabei bedeutet es mir so viel. Aber gerade weil es mir viel bedeutet und ich mich nicht darauf konzentrieren konnte, wollte ich es nicht zwischen Tür und Angel machen.

Deswegen möchte ich  Dir heute lieber über die Workshops berichten, denn es war sehr spannend und Skizzenreich.

Das Reporter:innen Forum

Schon der erste Sprecher –  Chefredakteur der "Zeit" Giovanni di Lorenzo – fing damit an, dass das persönliche Scheitern der Intrviewten eine Grundlage für seine Interviews bildet. Seiner Meinung nach kommen Menschen erst dann aus ihren Schneckenhäusern raus, wenn sie auf ihre Niederlagen angesprochen werden, aber dafür braucht man Fengefühl und viel Empatie. Das kann ich mir gut vorstellen! Darüber hinaus hat er noch dazu ermutigt, sich vom Scheitern nicht abschrecken zu lassen: "Es gibt auch Interviews, da warst du schlecht. Punkt!". Fand ich großartig! Daraufhin habe ich sein Buch gekauft "Vom Aufstieg und anderen Niederlagen." – sehr zu empfehlen, auch wenn man sich nicht für Journalismus interessiert.

Einen der Vorträge, die mich ebenfalls sehr angesprochen haben, ohne dass ich den Zusammenhang mit dem Thema Scheitern erkannt habe, war "Karte und Gebiet. Wenn die Wirklichkeit vom Plan abweicht" von Heike Faller. Für sie ist der Punkt, an dem man seine Vorstellung gegen die gegenteilige Realität eintauschen muss, genau der Moment, wo der Journalismus entsteht.

Das dritte Thema, das ich hier erwähnen möchte war der Fall Julian Reichels – ehemaligen Chefredakteurs der Bild. Vier Reporter:innen haben über den Prozess der Enthüllung berichtet, an dem sie selbst beteiligt waren. Das Thema interessierte mich eher weniger. Es war nur spannend, vier Porträts gleichzeitig auf einem Blatt zu erstellen.

Live Drawing Symposium

Das Online-Workshop haben zwei Zeichnerinnen aus New York geführt, denen ich schon lange auf Instagram folge. Das Symposium sollte um 10 Uhr vormittags statt finden. Als ich mich unausgeschlafen und etwas gehetzt mit einem Kaffe vor den Rechner setzte und mich anmelden wollte, musste ich fest stellen, dass zwischen Hamburg und New York 6 Stunden Zeitunterschied liegen. 

Zu meinem großen Glück sind die New Yorker hinterher. So dass ich nach einem chaotischen Start in den Tag erleichtert auf dem Sofa versackte und erst um 16 uhr entspannt teilnehmen konnte. Stell Dir mal vor, es wäre anders herum ...

Es war ein spannendes Erlebnis. Da waren Leute aus Alaska und Tokyo … Es waren unterschiedlichste Tageszeiten und Menschen dabei. Wahnsinn!

Steady Growth Day

Über die Einladung zum Treffen in Berlin habe ich mich riesig gefreut. Endlich Menschen in Echt kennen lernen! Ich habe die Betreuung für mein Kind an dem Tag organisiert. War kurz davor, mir Bahntickets zu buchen … Und dann kam die Mail – abgesagt. Statt dessen eine Online-Veranstaltung. Was für eine Enttäuschung, aber das sind wir ja in den letzten zwei Jahren gewöhnt. 

Trotzdem rauchte mein Kopf nach sechs Stunden Input und Porträts-Zeichnen.

Joscha Sauer, der berühmte Cartoonist von "Nicht lustig" hat von vielen Niederlagen erzählt. Die lustigste (für ihn eher weniger) war eine Eieruhr in Form eines Dinosauriers, die aufgrund der falschen Statik nicht aufrecht stehen konnte – "Ich weiss jetzt, dass Eieruhren vorn nicht zu schwer sein dürfen … so haben wir viele teuere Türstopper produziert."

Der Mitgründer von "Übermedien" Stefan Niggemeier hat von der persönlichen Erfahrung mit Werbekampagnen für sein Projekt gesprochen: "Leute zu nerven hat weh getan." Ich konnte es so gut nachvollziehen und meinen Hut davor ziehen. Das muss ich noch dringend lernen, wenn ich unabhängig bleiben möchte. 

An dieser Stelle: Wenn Du noch nicht schon dabei bist, kannst Du mich gern unterstützen und eine Mitgliedschaft abschliessen! Das fängt schon mit 30 Euro für ein ganzes Jahr an! Für mich bedeutet jedes Mitglied ein Stück mehr Bestätigung und auch Motivation. Wenn Du nicht weiß, wie das geht, oder was das bedeutet, melde Dich gern bei mir, ich helfe Dir dann.

… Autsch!

Daniel Fiene von "Was mit Medien" hat über Mitgliedergewinnen und -verlieren gesprochen. Ein Satz, der mir besonders gefallen hat: "Sich von etwas zu verabschieden bedeutet nicht unbedingt, einen Verlust zu erleiden."

An einer Wand neben meinem Arbeitsplatz hängen lauter Zettel mit Sätzen und Zitaten, die ich immer im Blick haben möchte. Einer davon heisst "Mach es trotzdem". Ich habe mir diesen Satz vor die Nase gehängt, um in schwierigen Zeiten, in denen ich am liebsten alles hin schmeissen möchte, mich daran zu erinnern, dass das Weitermachen – auch ohne viel Motivation oder auf die Gefahr hin, einen Fehler zu begehen – eine bessere Altenative ist, als nichts zu machen. 

Jetzt schaue ich mir den Button WEITER an und merke, dass eine leichte Übelkeit in mir aufsteigt … 

Mach es trotzdem und frohes Scheitern!

Bis nächste Woche!

Tschüss.

Julia Scheiterkind

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Diese Reportage wurde erstellt mit freundlicher Unterstützung von

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