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Wort-Dock #6

Buch- und Ausstellungstipps für den Mai 2024. Immer am 15. des Monats.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in der Mai-Ausgabe meines monatlichen Newsletters „Wort-Dock“ stelle ich Euch folgende Bücher vor: eine packende und informative Zukunftsvision über den Untergang der Stadt Venedig und einen witzigen Kurzgeschichtenband über das Älterwerden. Dazu kommen eine Ausstellung im Ernst Barlach Haus in Hamburg und ein Surftipp für diejenigen, die Kunst von zuhause aus genießen möchten.

Übrigens: In den vergangenen Wochen habe ich einige Bücher aussortiert und auf öffentliche Bücherschränke verteilt. Auch hier im Viertel gibt es einen Ort, an dem seit einiger Zeit öfters gebrauchte Bücher liegen - es ist eine Art Beton-Lüftungsschacht unter einem großen Vordach am Gehweg. Bei trockenem Wetter werden dort immer wieder Bücher hingelegt. Und wer weiß, vielleicht entsteht daraus ja mal ein weiterer öffentlicher Bücherschrank…

Gebrauchte Bücher, abgelegt auf einer Art Lüftungsschacht in Hamburg.

Ich wünsche Euch eine schöne zweite Maihälfte!

Packende und informative Zukunftsvision

Roman "Acqua Alta" von Isabelle Autissier, erschienen bei mareverlag

Titel: Acqua Alta

Autorin: Isabelle Autissier

Verlag: mareverlag

Originaltitel: Le naufrage de Venise

Aus dem Französischen übersetzt von: Kirsten Gleinig

Erstveröffentlichung: 2022

Deutsche Erstveröffentlichung: 20.02.2024

Gebundene Ausgabe: 208 Seiten, 23 Euro

Inhalt: Der Roman beginnt im Jahr 2021 in Venedig, das durch die Wassermassen eines verheerenden Hochwassers (Acqua Alta) zerstört worden ist. Guido Malegatti hat überlebt und fährt mit einem Boot zurück durch die Ruinen der Stadt. Seine Frau Maria Alba und seine Tochter Léa sind verschwunden. Während der Bootsfahrt erinnert er sich an die Katastrophe.

Vor dem Horrorszenario hatte der Anstieg des Meeresspiegels einen Generationenkonflikt bei den Malegattis ausgelöst, der die Familie Schritt für Schritt auseinanderbrachte. Während Venedigs Wirtschaftsrat Guido an den Tourismus glaubte und an das riesige Sperrwerk „M.O.S.E.“, erkannte die 17-jährige Léa während ihres Studiums, in welcher Gefahr sich ihre geliebte Heimatstadt befindet, und wurde zur Umweltaktivistin. Maria Alba hingegen stammte aus einer Adelsfamilie, blendete die Probleme aus und träumte von Venedigs alter Pracht…

Hauptteil: Isabelle Autissier (geboren 1956 in Paris) machte nach Angaben des mareverlags im Jahr 1991 Furore als erste Frau, die allein im Rahmen einer Regatta die Welt umsegelte. Sie war von 2009 bis 2021 Präsidentin des WWF Frankreich. „Acqua Alta“ ist ihr dritter bei mare erschienener Roman.

In der Zukunftsvision über den Untergang der Stadt Venedig geht es um den Klimawandel, den Massentourismus, den Glauben an die Technik und den Konflikt innerhalb einer Familie, ausgelöst durch unvereinbare Positionen zu den genannten Themen.

Die Autorin erzählt ihren Roman aus drei Perspektiven: Die Lesenden erleben in einzelnen Kapiteln Guidos, Léas und Alba Marias Erlebnisse und Sicht der Dinge. Die Gegenwartsform überwiegt, es gibt jedoch Rückblenden, zum Beispiel auf die Katastrophe in Guidos Erinnerung, auf seinen Aufstieg und auf Maria Albas Zeit mit Léa, als diese noch ein Kind war.

Das Buch ist klar und flüssig geschrieben. Zwischen sinnlichen, fast poetischen Worten über Lichtstimmungen und die Schönheit der Stadt finden sich immer wieder Passagen, die aus einem Sachbuch stammen könnten.

Fazit: Diese Zukunftsvision über die Überflutung und Zerstörung Venedigs ist ebenso packend wie bedrückend. Zugleich erfahren die Lesenden viel über die Lagunenstadt, das tatsächlich existierende Hochwasserschutz-System „M.O.S.E.“ und die Probleme, die der Massentourismus mit sich bringt. Ein wichtiges, informatives Buch - Leseempfehlung!

Sehr witziger Kurzgeschichtenband

Kurzgeschichtenband "Lebensmitteallergie. Mein Leben in Autokorrektur" von Susanne M. Riedel, erschienen bei Satyr Verlag

Titel: Lebensmitteallergie. Mein Leben in Autokorrektur

Autorin: Susanne M. Riedel

Verlag: Satyr Verlag

Erscheinungsdatum: 04.03.2024

Klappbroschur: 192 Seiten, 17 Euro

Inhalt: Was ist eine Lebensmitteallergie? Zunächst nur ein kleiner Tippfehler - ein vergessenes „l“. Doch es ist viel mehr, nämlich humorvolle Beobachtungen und Episoden rund um die Freuden und Schrecken des Älterwerdens. Die Kurzgeschichten aus dem Alltag einer Fünfzigjährigen, die mit ihrer Familie in Berlin lebt, drehen sich unter anderem um Komplimente, die sich in der Lebensmitte ändern, um die Erfahrungen in einer Rehaklinik mit ganzheitlichem Ansatz, um einen Junggesellinnenabschied und um die Kleiderwahl für den Abiball, immer wieder untermalt mit Dialogen mit ihren Teenager-Söhnen…

Hauptteil: Susanne M. Riedel (geboren 1971 in Berlin-Lichterfelde) gehört den Berliner Lesebühnen „Der Frühschoppen“ und „Reformbühne Heim & Welt“ an. Ihr - ebenfalls im Satyr Verlag erschienener - erster Kurzgeschichtenband „Ich hab mit Ingwertee gegoogelt“ aus dem Jahr 2021 wurde zum Independent-Bestseller.

In ihrem zweiten Kurzgeschichtenband „Lebensmitteallergie. Mein Leben in Autokorrektur“ begibt sich die Autorin, wie sie schreibt, „im Kosmos zwischen Corona, Krieg, Klimakrise und Klimakterium“ auf die Suche nach den guten Momenten - Momenten, die uns zum Lachen bringen.

Fazit: Susanne M. Riedels kurze Geschichten eignen sich toll zum Lesen zwischendurch. Sie sind überwiegend urkomisch und laden immer wieder dazu ein, das Leben etwas leichter zu nehmen. Vor allem wer über 40 ist, wird die Geschichten sicherlich mögen…

Ausstellung: Werner Scholz im Ernst Barlach Haus

Außenansicht des Ernst Barlach Hauses im Jenischpark, Baron-Voght-Straße 50a in 22609 Hamburg. Laufende Ausstellung: „Das Gewicht der Zeit. Werner Scholz. Menschenbilder 1927-37“.

Das Ernst Barlach Haus im Hamburger Jenischpark zeigt momentan eine beeindruckende Ausstellung über das Frühwerk des Berliner Malers Werner Scholz (1898 - 1982). Die - seit dem 11. Februar laufende - Schau „Das Gewicht der Zeit. Werner Scholz. Menschenbilder 1927-37“ umfasst rund 40 Ölgemälde und Pastelle des Künstlers, den die Nationalsozialisten im Jahr 1937 als „entartet“ verfemt hatten, und der sich 1939 nach Tirol zurückgezogen hatte.

Die expressiv-realistischen Werke zeigen Kleinbürger- oder Halbweltexistenzen und schauen sozialkritisch mit viel Empathie auf die eher dunklen Seiten der Jahre zwischen den Weltkriegen. Scholz malte Menschen aus Halbwelt, Zirkus und Proletariat, oft in Paar- oder Gruppendarstellungen, und immer wieder Trauernde. Ein Beispiel dafür ist das Werk „Kind zwischen Gräbern“ aus dem Jahr 1933.

Viele Figuren drehen den Betrachtenden den Rücken zu oder schauen ins Leere, sie haben die Augen geschlossen, senken ihren Blick. Oft strahlen sie Traurigkeit aus, Einsamkeit, Resignation. Die Werke zeigen zum Teil auch Macht und Gewalt, am deutlichsten in „Mord“ aus dem Jahr 1930.

Ich verlasse diese Ausstellung nachdenklich, die eindringlichen Gemälde begleiten mich durch den Park.

Die Ausstellung im Ernst Barlach Haus läuft noch bis zum 9. Juni 2024.

Surftipp: Kunst von zuhause aus entdecken

Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt eine 360-Grad-Tour durch die Ausstellung „Modigliani. Moderne Blicke“ mit Werken von Amedeo Clemente Modigliani (1884 - 1920). Es handelt sich um die erste Modigliani-Ausstellung in Deutschland seit dem Jahr 2009.

Die Schau betrachtet das Werk des italienischen Künstlers aus einer europäischen Perspektive, so das Kunstmuseum, bettet ihn in sein kosmopolitisches Pariser Umfeld ein und zeigt erstmals konkrete Gegenüberstellungen mit Künstlerinnen und Künstlern aus dem deutschsprachigen Raum, die ihm größtenteils nicht persönlich bekannt waren. Zudem bewertet die Ausstellung das Frauenbild Modiglianis neu und zeigt ihn als Chronisten eines erstarkenden weiblichen Selbstbewusstseins in den Jahren vor und während des Ersten Weltkriegs.

Die Ausstellung ist eine Zusammenarbeit der Staatsgalerie Stuttgart, wo sie vom 24.11.2023 bis zum 1.4.2024 gelaufen ist, und dem Museum Barberini, Potsdam, unter der Schirmherrschaft der Botschaft der Italienischen Republik in Deutschland.

Möchtet Ihr die Werke in natura sehen? Die Ausstellung läuft noch bis zum 18. August 2024 im Museum Barberini, Potsdam.

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