2,5 Kilo sorbisches Leben
17. Februar 2023
Liebe Lesende,
Poesie - das klingt federleicht. Poesie kann aber auch schwer sein - so wie ein 2,5 Kilogramm wiegendes und 500 Seiten starkes Buch beispielsweise. Solche Poesie war gestern Abend im Lübbener Wappensaal zu erleben - bei der Präsentation des Buches "Wěcej ako drastwa - Mehr als eine Tracht", das von der Sorbenbeauftragten Sabrina Kuschy und Kreisarchivar Thomas Mietk herausgegeben und von einem Autorenkollektiv verfasst wurde. Der Lübbenerin Marga Morgenstern war es gelungen, mit beeindruckenden poetischen Sätzen zu umreißen, worin es in der neuen Publikation über das sorbische/wendische Leben im Landkreis Dahme-Spreewald geht.
Marga Morgenstern ist ein Lübbener Original - Trachtenträgerin, die gerne Spreewälder Mundart spricht, und Touristenführerin mit einem großen Wissens- und Erfahrungsschatz zu sorbischem/wendischem Leben. Sie selbst bezeichnet sich am liebsten als "Wendsche" - und spricht doch nur wenige Worte sorbisch/wendisch. In ihrer Kindheit, erzählt sie, war es verboten, die Sprache ihrer slawischen Vorfahren zu sprechen. Und wenn die Oma anhob, sorbisch/wendisch zu sprechen, ging die Mutter dazwischen - aus Angst, die Kinder könnten die Sprache mit in die Schule nehmen.
Damit griff Marga Morgenstern einen wesentlichen Punkt der sorbischen/wendischen Geschichte der Region auf: Es ist eine Geschichte von Assimilation und Unterdrückung, und zugleich dem unbedingten Wunsch der Menschen, die eigene Kultur, Sprache und Traditionen zu leben. Marga Morgenstern wiederum gehört zu jenen Sorben, die lieber das Wort Wenden benutzen, um ihr Volk zu benennen. Mit der in Brandenburg gebräuchlichen offiziellen Bezeichnung Sorben/Wenden wird dieser Gepflogenheit entsprochen.
Marga Morgenstern (r.) neben Ute Henschel und Bernd Pitkunings.
Apropos Sprache. Wussten Sie, dass Spreewälder Mundart durch die sorbische/wendische Sprache beeinflusst ist? Interferenz (Öffnet in neuem Fenster) nennen Sprachwissenschaftler diese Erscheinung - und sie findet sich beispielsweise darin wieder, dass die Spreewälder häufig das h am Wortanfang weglassen: "eerschte den Klang des Schweigens" (hörst du ...), "oh liebes Erze" (...Herze) oder auf den Artikel verzichten: "uff Dachfirscht die Schlange" (auf dem Dachfirst...), "die Erln stehn an Fließ" (... an dem Fließ).
Der Auftritt von Marga Morgenstern war ein emotionaler Höhepunkt einer guten Stunde sorbischer/wendischer Lebenslust im Wappensaal. Die Ethnologin Ute Henschel präsentierte Trachten aus der Lübbener Region - und die Models waren Bekannte: jene Menschen, die diese Trachten heute tragen: beim Kahnfahren, bei festlichen Anlässen, zum Dorftanz. Die Lausitzer Sängerin Lena Hauptmann, Gewinnerin des Deutschen Pop-Preises 2021 mit dem Lied "Tysac Cowanjow (Öffnet in neuem Fenster)" (Tausend Träume), sang eigene Texte mit jazzigen Kompositionen - auf Sorbisch.
Trachtenträgerinnen aus der Lübbener Region.
Was all das mit dem gesamten Landkreis Dahme-Spreewald zu tun hat, darüber gibt das Buch Auskunft. Wendische Geschichte, schreibt Alfred Roggan im ersten Kapitel, sei "keine Sache von 200 Jahren, sondern eher von 1.000 Jahren". Der Nordteil des heutigen Landkreises ist "genauso ein Teil der historischen Niederlausitz" - eine Karte vom Kurmärkisch-wendischen Distrikt (Öffnet in neuem Fenster) zeigt das auf eindrucksvolle Art. Alle diese Gebiete hätten "lange Zeit einer relativ 'wendenfreundlichen' Verwaltung" unterlegen. Das war 1667 mit dem "Dezember-Reskript" vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm vorbei.
Das Buch (Öffnet in neuem Fenster) legt aber auch Zeugnis über die jüngste Geschichte ab: wie das Sorbische/Wendische in der DDR-Zeit mal mehr, mal weniger (über-)leben konnte und wie mit zahlreichen Initiativen und Projekten seit der Wende versucht wird, das Schwinden der Sprache aufzuhalten. Kultur und Bräuche leben ohnehin weiter - in den Dörfern, bei der Fastnacht, in der Spinte (Spinnstube), in den Kitas und mehr. Das letzte Kapitel ist schließlich jenen Menschen gewidmet, die sich heute besonders um das sorbische/wendische Erbe verdient machen. Denn nicht nur Sorben/Wenden, sondern auch Nichtsorben setzen sich dafür ein, dass die Sprache bleibt und dass Kultur und Bräuche gelebt werden.
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