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Bengalos im Körper – Was es heißt, alt zu werden...

Es war lange ruhig hier. Es gab zwar viel Fußball und viel Forschung, doch irgendwie kam beides für mich nicht mit ausreichend Zeit zusammen. Nach  einer etwas längeren Pause hoffe ich, hier wieder regelmäßige Beiträge veröffentlichen zu können. Es wird weiterhin Bezüge zum Fußball geben, aber im Zentrum wird meine eigene Forschung stehen - das ist schlichtweg pragmatisch. Am 14. Oktober 2022 stand ich auf der Gegengerade des Hamburger Millerntor-Stadions, es war gerade die Halbzeitpause im Stadtderby zwischen dem magischen FC St. Pauli und dem Hamburger Sportverein. Auf der Südtribühne wurden bengalische Feuer gezündet und als ich den Anblick genießend ein Foto davon schoss, hatte ich plötzlich den Titel zum heutigen Text im Kopf: "Bengalos im Körper - Was es heißt, alt zu werden..." Bevor ich erkläre, was ich damit meine, komme ich kurz zu meinem Lieblingsspieler, der nicht beim FC St. Pauli spielt(e): Francesco Totti. 

Alter, Totti!

Francesco Totti ist nicht allein aufgrund seiner fußballerischen Fähigkeiten bewundernswert. Seine Spielübersicht, sein Zug zum Tor, seine Abschlussqualitäten. Er spielte trotz renommierter Angebote (etwa von Real Madrid) seine ganze Karriere für nur einen Verein: die AS Roma. Außerdem nahm er sich selbst nie zu wichtig. Dass er nicht sehr belesen ist, nimmt er mit Humor: So verkaufte ein Witzebuch mit Einträgen wie: "Gestern ist die Bibliothek von Francesco Totti abgebrannt. Schade, er hatte die beiden Bücher noch gar nicht zu Ende ausgemalt". Mehr als zwei Millionen Exemplare wurden verkauft, die Einnahmen gingen als Spenden an Unicef. 

Julius Müller-Meiningen hatte im März 2014 bei 11Freunde einen tollen Text über Totti geschrieben: "Die ewige Zehn (Öffnet in neuem Fenster)".  Warum ich Totti hier erwähne: Er ist - Stand heute (30.10.2022) - der älteste Torschütze der UEFA Champions League (Link (Öffnet in neuem Fenster)). Im Alter von 38 Jahren und 59 Tagen traf Totti am 25.11.2014 zum 0:1 gegen ZSKA Moskau (Endstand 1:1). Von Radja Nainggolan auf die Reise geschickt, entwischt Totti der russischen Defensive und lupft den Ball im Vollsprint gefühlvoll mit dem rechten Außenrist an Akinfeev vorbei ins lange Eck. Die ikonische Daumenlutsch-Geste beim Jubeln darf nicht fehlen. Bengalos im Gästeblock sind zwar nicht zu sehen, aber im Körper Tottis wird auch ein Feuerwerk abgebrannt worden sein, denn er ist ein alternder Mann.

Was passiert beim Altern im Körper?

Das Altern ist ein zentraler Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Auch abseits der Akademie interessiert man sich für das Thema: "Anti-Aging" - das Altern aufzuhalten - ist Ziel kleiner Startups und großer Konzerne gleichermaßen. Die Fernsehmoderatorin Nina Ruge erklärte beim Apokalypse & Filterkaffee Heimspiel (Öffnet in neuem Fenster) letztens den aktuellen Forschungsstand ganz gut. tl;dr:

  • Es gibt "Altersuhren", mit denen sich eine Version des "biologischen Alters" aus Erbgut-Veränderungen berechnen lässt.

  • Diverse Medikamente und Lifestyles werden erforscht, um das Altern zu verlangsamen bzw. gesünder zu gestalten.

Meine Frau hat das Altern auch ganz anschaulich in ihrem Sach(geschichten)buch: "Abschied von Hermine" beschrieben, das ihr hier (Öffnet in neuem Fenster) bestellen könnt.

Alter, Ego!

Aber warum denke ich bei Bengalos und Erinnerungen an Francesco Totti direkt an das Alter? Das liegt daran, dass meine eigene Forschung auch mit der Alterung zu tun hat. Ich finde das Altern besonders interessant, weil das Fettgewebe, das im Zentrum meiner Forschung steht, bei Übergewicht und im Alter sehr ähnlich aussieht. 

Das Fett einer übergewichtigen, jungen Person gleicht dem einer normalgewichtigen, alten Person. 

Warum ist das so? Das hat mit unserem Immunsystem zu tun. 

Das Phänomen ist unter dem englischen Begriff inflammaging bekannt - eine Verschmelzung der beiden Worte für eine Entzündungsreaktion (inflammation) und für das Altern (aging). Der Theorie zufolge entzünden sich Organe im Alter zusehends, weil sich zelluläre Abfälle anreichern, die eigentlich vom Immunsystem beseitigt werden. Immunzellen wandern in  Gewebe ein und werden dort aktiviert. Wobei noch nicht geklärt ist, ob die Immunzellen mit zunehmendem Alter vermehrt auf dem Gaspedal stehen oder eher die Bremsen kaputt sind – das Ergebnis ist jedenfalls dasselbe: Inflammation! 🔥🔥🔥 

Es werden also im übertragenen Sinne Bengalos gezündet im Fettgewebe einer übergewichtigen, jungen Person und in einer normalgewichtigen, alten Person.

Mein bester Kumpel in Israel, Tomer, interessiert sich besonders für das Altern. Tomer hat Philosophie und Physik studiert, bevor er begann, am Computer die Biologie des Alterns zu entschlüsseln. Sein Ziel: Tomer möchte ewig leben. (Sein Bestreben ist frei von jeglicher Spiritualität, sondern getrieben von intellektuellem Ehrgeiz!) Tomer hat sich zunächst die Frage gestellt, ob das, was für das Fett gilt, auch für andere Organe gilt. 

Sind sich kranke (entzündete), junge Organe und gesunde, alte Organe auf zellulärer und molekularer Ebene besonders ähnlich? 

Um diese Hypothese (alt = entzündet) zu überprüfen, warf Tomer einen Blick in frei zugängliche Datenbanken. In seinem datengetriebenen Ansatz verglich er Lungen, Lebern und Nieren von Mäusen, die entweder chronisch entzündet und jung (Bengalos) oder gesund und alt (Totti) waren. Tomer fand bei diesem Vergleich mehr Übereinstimmungen in der Genaktivität als rein zufällig zu erwarten gewesen wären. Genaktivität heißt, dass bestimmte Bereiche des Erbguts abgelesen werden und zum Beispiel dafür sorgen, dass Zellen ihre Signalverarbeitung verändern – bei Entzündung des Gewebes und im Alter. Inflammaging zeigte sich also in einer Korrelation von Genaktivität zwischen Entzündung und Alter. Bengalos in alternden Lungen, Lebern und Nieren.

Dass Korrelation nichts mit Kausalität zu tun haben muss, zeigt eindrucksvoll die Internetseite spurious correlations (Öffnet in neuem Fenster). Deshalb testete Tomer seine Hypothese (alt = entzündet) in einem Experiment. Es existieren nämlich Substanzen, mit denen die zellulären Abfälle, die sich im Alter anreichern, aufgelöst werden können. Diese Substanzen firmieren unter dem Namen senolytics. Tomer fand heraus, dass die senolytics-Behandlung die beobachteten Trends der Genaktivität umkehren kann und sowohl die Entzündungsreaktion als auch die Alterungsprozesse abmildert.

Alter vor Genzeit

Insgesamt ist die Ge(n)mengelage dennoch sehr unübersichtlich. Im Alter entzünden sich Organe mehr und mehr. Beide Phänomene (Altern, Entzündung) scheinen sich aber so sehr gegenseitig zu beeinflussen, dass ein zielgerichteter Eingriff in den Prozess nur mit vielerlei Nebenwirkungen möglich scheint. Es braucht noch viel Forschung. Bis dahin schaue ich mir noch ein paar Videos von Francesco Totti an, denke an Tifosi und Inflammaging

Ob die Organe von Francesco Totti besonders wenig entzündet waren, und er deshalb auch noch in einem für Profifußballer (!) hohen Alter Top-Leistungen bringen konnte, ist übrigens nicht bekannt. Aber zum Abschluss habe ich noch  ein Bengalo-Schlaglicht auf die Alters-Entwicklung von Profi-Fußballern in der Champions League geworfen: Tatsächlich stieg der Altersdurchschnitt der Spieler innerhalb der letzten dreißig Jahre an (Quelle (Öffnet in neuem Fenster)). Fällt also bald der Alters-Tor-Rekord von Francesco Totti? Die Zeit wird es zeigen...

Für die Nachspielzeit

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