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Kniefall - Warum reißt das  Kreuzband bei Frauen häufiger?

Es war ein Schock: Am 5.7.2022 wurde bekannt, dass sich Weltfußballerin Alexia Putellas im Training das Kreuzband im Knie gerissen hatte und damit für die Fußball-Europameisterschaft der Frauen ausfällt. Das ist eine persönliche Tragödie, es ist schade für das Team und das Publikum, sowie für den Sport an sich. Verbunden mit den besten Genesungswünschen übersende ich hier ein paar wissenschaftliche Betrachtungen darüber, inwieweit sich Frauen beim Fußball häufiger am Kreuzband verletzen als Männer.

Kreuzzug ins Unglück

Kurze Sprints, schnelle Richtungswechsel, harte Schüsse, Pressschläge – all diese Bewegungsabläufe kommen im Fußball gehäuft vor und belasten die Bänder im Knie. Die Kreuzbänder erhielten ihren Namen von der X-förmig überkreuzenden Positionierung im Kniegelenk und erfüllen normalerweise den Zweck, das Knie bei Bewegungen zu stabilisieren. 

Besonders beim Fußballspielen kann es dazu kommen, dass der Bandapperat überstrapaziert wird und reißt. Eine Kreuzbandverletzung sorgt bei Fußballprofis für eine Ausfallzeit von etwa einem halben Jahr – so lautet momentan auch die Prognose für Putellas. Laut fussballverletzungen.com (Öffnet in neuem Fenster) sind Knieverletzungen auch für die meisten Verletzungstage verantwortlich, sprich: Knieverletzungen bedeuten in Summe die längste Ausfallzeit. Allerdings stammen die Daten aus der Saison 2014/2015 und aus der ersten Fußballbundesliga der Männer. Dabei gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen, was Kreuzbandverletzungen im Profifußball betrifft.

„Es gibt Untersuchungen im Bereich Fußball, die zeigen, dass Frauen sich das Kreuzband fünf mal häufiger reißen als Männer“

Es gäbe Belege, dass beim Fußballspielen im Profi-Bereich das Kreuzband bei Frauen fünfmal häufiger reißen als bei Männern, wird Dr. med. Henning Ott, Teamarzt bei Eintracht Frankfurt, von der Badischen Zeitung zitiert (€€) (Öffnet in neuem Fenster). Der Artikel stammt übrigens von der wunderbaren Tamara Keller (Öffnet in neuem Fenster). Bei der Gelegenheit sei auch noch die FRÜF-Folge zum Thema Sportverletzungen und Gender (Öffnet in neuem Fenster) empfohlen, in der auch erschreckende Zahlen genannt werden, wie viel häufiger Kreuzbandverletzungen im Fußball bei Frauen auftreten im Vergleich zu Männern.  Über verschiedene Sportarten (wie Basketball, Wrestling, Skifahren) hinweg scheint sich diese Tendenz zu bestätigen. Ich habe eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2013 (€€) (Öffnet in neuem Fenster) gefunden, in der es heißt, Frauen würden sich im Profifußball 2,67-mal häufiger das vordere Kreuzband reißen als Männer. Warum ist das so? Es gibt mehrere Erklärungsansätze.

Der beste Bandapparat der Welt

  • Anatomie: Die Stellung des Gelenks und demgemäß dessen Bewegungsabläufe unterscheiden sich zwischen Frauen und Männern. Frauen neigen eher zur "X-Bein-Stellung", bei der die Knie etwas näher beisammen sind als Oberschenkelhälse und Füße. Gerade das Einknicken der Kniegelenke zur Mitte hin strapaziert die Kreuzbänder. Die Körperhaltung, etwa beim Abspringen zum Kopfball oder bei der Landung danach, ist bei Frauen ebenfalls anders als bei Männern. Ein Videostudium verdeutlicht, dass Frauen beim Schuss den Oberkörper tendenziell weiter nach hinten neigen als Männer. Die Rücklage verändert auch die Kraftwirkung auf das Kniegelenk und den Bandapparat, wodurch sich das Verletzungsrisiko erhöht. 

  • Muskeln: Muskelmasse bietet nur bedingten Schutz, verbessert möglicherweise aber die Reflexe, damit unglücklichen Bewegungen entgegengewirkt werden kann. Besonders wichtig, um dem Einknicken der Knie und damit Kreuzbandverletzungen vorzubeugen, sind die Hüft- und Gesäßmuskeln. Doch Muskeln allein helfen nicht, wenn die funktionellen Bewegungsabläufe nicht gezielt trainiert wurden und deshalb die Koordination fehlt.

Diese Beobachtungen decken sich mit den Ergebnissen einer Forschungsarbeit (Öffnet in neuem Fenster), die am 28.4.2022 erschienen ist. Darin wurden insgesamt 106 Jugendliche während der Fußball-Saisonvorbereitung in Spanien untersucht. Ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern war dabei die innere Hüftrotation, welche bei Mädchen durchschnittlich in einem größeren Winkel geschah als bei Jungen. Das bedeutet, dass die Mädchen beim Fußballspielen die Hüfte und damit auch die Kniegelenke vermehrt nach innen einknickten im Vergleich zu den Jungen. Dass der Bewegungsablauf bei Frauen im Fußball also durchschnittlich zu mehr Kreuzbandverletzungen führt, ist soweit nachvollziehbar. Es wird allerdings noch komplizierter.

Knie wieder Hormone

Denn der Hormonhaushalt ist zwischen Frauen und Männern unterschiedlich. Östrogen ist ein wichtiges Sexualhormon, das eine entscheidende Rolle im Zyklus der Frau spielt. Darüber hinaus ist Östrogen aber auch bei der Entwicklung von Muskelgewebe, Bändern und Sehnen wichtig. Leider ist es so, dass ein erhöhter Östrogen-Spiegel dazu führen kann, dass der Bandapparat im Knie an Festigkeit verliert. Entsprechend treten vermehrt Risse des vorderen Kreuzbandes auf, wenn die Östrogen-Werte im Verlauf des weiblichen Zyklus erhöht sind. Diese Korrelation wurde in Laborversuchen überprüft. Dabei wurden Zellen aus dem menschlichen Bandapparat mit Östrogen versetzt und dann deren Reißfestigkeit gemessen. Das Ergebnis war eindeutig: 48 Stunden nach Östrogengabe ging die Festigkeit der Bänder messbar zurück. Die Ergebnisse erschienen 2019 in einer Übersichtsarbeit (Öffnet in neuem Fenster)

Zusammengefasst: Auf die Verletzung des Kreuzbandes wirkt sich nicht nur der Bewegungsablauf aus, sondern auch der Hormonhaushalt. Beide Aspekte unterscheiden sich zwischen Frauen und Männern. Es ist also nicht überraschend, dass Kreuzbandrisse bei Frauen und Männern unterschiedlich häufig auftreten. Das gilt übrigens nicht nur für den Fußball, nicht nur für den Profisport, und nicht nur für das Verletzungsrisiko an sich; es gilt auch für andere Sportarten (Basketball), und auch in der Freizeit (Joggen auf unebenem Untergrund). Bewegungsabläufe und Hormone bestimmen dabei nicht nur das Verletzungsrisiko, sondern auch die Regenerationsdauer. Insofern wünsche ich neben Putellas allen Betroffenen die nötige Geduld und nachhaltig Gesundheit.

Für die Nachspielzeit

Twitterpost des spanischen Nationalteams zur Verletzung Putellas: 

https://twitter.com/SEFutbolFem/status/1544373977900060674?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1544373977900060674%7Ctwgr%5E%7Ctwcon%5Es1_c10&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.faz.net%2Faktuell%2Fsport%2Ffussball-em%2Ffrauenfussball-em-weltfussballerin-alexia-putellas-faellt-aus-18152948.html (Öffnet in neuem Fenster)

Die Frauen reden über Fußball (FRÜF)-Podcast-Episode zum Thema Sportverletzungen und Gender: 

https://www.fruef.de/11-sportverletzungen-und-gender (Öffnet in neuem Fenster)

Twitterpost von Max-Jacob Ost, der mich dazu gebracht hat, das Thema zu bearbeiten: 

https://twitter.com/GNetzer/status/1545145242659299328 (Öffnet in neuem Fenster)

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