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Daumen hoch! 

talking hands unterstützt Kinder mit Bilderkino beim Kommunizieren

Was ist Deine Sprache? Worte? Singst Du lieber? Schreibst Du? Malst Du? Liebst Du tanzen, Bewegungen, sprechen Deine Augen eine eigene Sprache? Jeder Mensch braucht ein Kommunikationsmittel, eine Sprache, um sich die Welt zu erschließen und darin zu bewegen. Kinder müssen ihre Sprache erst lernen, und manchmal fällt ihnen das schwer. Für gehörlose Kinder, Kinder mit Autismus, Trisomien oder mit verzögerter Sprachentwicklung ist die erste Sprache eine visuelle: sie lernen, sich über Gebärden auszudrücken. Dafür brauchen sie ein Gegenüber, das ihre Gesten versteht - sei es Gebärdensprache, lautunterstützende Gebärden und gebärdenunterstützende Kommunikation. GUK-Gebärden heißen letztere.

Um Kinder beim Lernen der GUK-Gebärden zu unterstützen, haben Laura Mohn und Maria Möller aus Frankfurt, beide Ende 20, die Daumenkinos talking hands entwickelt. 

Daumenkinos: Handliche kleine Büchlein, deren Seiten beim schnellen Durchblättern einen Bewegungsablauf zeigen. Jedes Bild ist gezeichnet - so, dass Kinder sich darin wiederfinden.

Die Daumenkinos seien ein Instrument der Kommunikation und Integration, ein Brückenschlag der Sprache, erzählt Maria Möller.

„Talking Hands“ hat einen familiären Hintergrund – in der Familie Deiner Freundin und Geschäftspartnerin Laura.

Ja genau. Laura hat eine etwa acht Jahre ältere Schwester mit Trisomie 21. Laura wusste von Erzählungen ihrer Mutter, dass die Kommunikation mit Jami schwierig war. Jamie kann sprechen, ich verstehe sie mittlerweile auch sehr gut, man muss sich aber an ihre Art zu sprechen gewöhnen. „Talking Hands“ war Lauras Abschlussarbeit, wir haben gemeinsam Kommunikationsdesign studiert. Sie wollte für Kinder im Kita-Alter von etwa zwei bis sechs Jahren mit Trisomie 21 ein Produkt entwickeln, das den Alltag erleichtert. So kam die Idee Daumenkinos zu entwerfen, die Bewegungen der gebärdenunterstützenden Kommunikation zeigen.

Die Idee dahinter ist, dass die Daumenkinos das Medium sind, mit dem die Kinder die Gebärden lernen, um sie dann in ihre Alltagskommunikation zu integrieren. Die Kinder sind fasziniert von der Funktionsweise des Daumenkinos, das ist ja eine sehr haptische Herangehensweise. Sie haben die Chance, selbst für sich im eigenen Tempo, aber auch in der Gruppe zu lernen.

Das Daumenkino ist quasi ein Vorläufer vom Film, indem es kleine Geschichten erzählt und kurze Bewegungsabläufe zeigt.

Fotos: Talking Hands

Und wie bist Du zu dem Projekt gekommen?

Ich habe mitbekommen, dass Laura an ihrer Abschlussarbeit gearbeitet hat, und habe ihr ein wenig versucht zu helfen, sie zu beraten. So war ich ein wenig dabei beim Projekt. Laura hat dann den Prototyp einer Kita in Frankfurt geschenkt, die total begeistert war. Diese Kita schlug vor, dass wir unsere Idee mehreren Kitas zugänglich machen sollten, weil hier Interesse bestünde. Daraufhin hat Laura mich gefragt, ob wir uns gemeinsam dransetzen wollen und schauen, wie wir das hinkriegen. Seitdem bin ich mit am Start.

Wie viele Daumenkinos habt ihr mittlerweile in eurem Programm?

Wir sind aktuell bei 130 und haben im vergangenen Jahr gemeinsam mit Kitas weitere 140 Begriffe gesammelt, die als Erweiterung wichtig wären. Wir müssen schauen, wann wir die herausbringen, weil es recht aufwändig ist, ein Daumenkino zu produzieren. Es besteht aus zwanzig verschiedenen Zeichnungen, aus denen die Bewegung entsteht.

Wir haben geplant, bei 300 Daumenkinos einen Cut zu setzen und den weiteren Gebärdenwortschatz in eine App zu integrieren, die wir gerade programmieren.

Welche Wörter wollt ihr neu aufnehmen?

Es sind mehr Verben und mehr Gefühle dabei, zum Beispiel aufräumen, traurig, ängstlich, glücklich, kurze Sätze wie „Ich auch“ oder „Lass das“. Wir hatten bei den ersten Daumenkinos viele Tiere wie Hund, Katze, Elefant, und viele Gegenstände, viele Familienmitglieder, Nomen wie Toilette, verschiedene Nahrungsmittel. Wir haben daraufhin das Feedback bekommen, dass die Kinder mehr Verben brauchen um zu beschreiben, was sie jetzt machen wollen. Die neuen Worte sind daran orientiert, wie Kinder kommunizieren.

Wie funktioniert denn der Herstellungsprozess?

Wir arbeiten mit Videovorlagen eines Berliner Unternehmens, anhand derer Laura die Gebärde nachzeichnet. Wie lange das dauert, hängt von der Komplexität des Wortes ab. Familie ist zum Beispiel eine komplexere Gebärde als Danke. Die Animation wird dann nochmals geprüft, bevor sie in den Druck geht. Deswegen dauert es leider mit der Erstellung neuer Daumenkinos so lange. Schneller würde es gehen, wenn wir einfach Videos in eine App einstellen würden. Dann hätte es aber nicht mehr den kindlichen Lerneffekt.

Welches Material verwendet ihr?

Wir haben ein halbes Jahr lang recherchiert, welches Papier und welche Bindungsart wir nutzen, bevor wir unser Format gefunden haben: 8,5 x 8,5 Zentimeter. Wir arbeiten mit hochwertigem Volumenpapier und lassen unsere Daumenkinos in Deutschland herstellen.

Wäre das Daumenkino für die Schule denkbar?

Wir haben tatsächlich einige inklusive Schulen, die damit arbeiten. Gerade in Schulen besteht aber die Hoffnung, dass die Digitalisierung voranschreitet, so dass die App dort eventuell interessanter ist.

Entwickelt ihr sie deshalb?

Nein, wir haben von Eltern die Rückmeldung bekommen, dass sie die Gebärden auch selbst gerne erlernen würden, um ihre Kinder besser zu verstehen. Auch Erzieher*innen haben uns rückgemeldet, dass sie gerne eine Möglichkeit hätten, schnell nachzuschauen, wie eine Gebärde funktioniert.

Wobei wir ja im Wording sauber sein müssen – es ist nicht Gebärdensprache, sondern gebärdenunterstützende Kommunikation.

Ja genau. Die gebärdenunterstützende Kommunikation unterstützt die Lautsprache durch gebärdete Schlüsselbegriffe. Bei der Gebärdensprache wird eine eigene Grammatik der deutschen Gebärdensprache genutzt. Unsere Gebärden sind ein Hilfsmittel für Kinder, um in Kommunikation zu gehen.

Die App entwickelt ihr selbst?

Ja. Seit September haben wir einen Programmierer dabei, der unser Techi ist und die App programmiert. Zudem bekommen wir über ein Förderprogramm Unterstützung von einem Innovationsdienstleister, der uns schon sehr geholfen hat.

Sind die Kosten ein Knackpunkt des Projekts?

Ja. Wir müssen immer schauen, dass wir die Kosten so gestalten, dass wir weiter existieren und sich die Kitas das Produkt trotzdem leisten können. Wir haben bei der Preisgestaltung für die Daumenkinos – ein großes Set kostet 250 Euro – eine Umfrage unter Kitas gemacht, welche Preise realistisch wären. Das Gleiche machen wir jetzt für die App.

Welche Rolle spielen die steigenden Papierpreise für euch?

Tja, die machen uns schon Sorgen. Wir haben aktuell noch die Auflage vom vergangenen Jahr auf Lager, werden aber im Herbst eine neue drücken müssen, und dann werden wir wirklich schauen müssen, wie wir kostentechnisch hinkommen.

Mit „Helping Hands“ habt ihr eine Plattform gegründet, über die Spender Daumenkino-Sets für Kindergärten erwerben können. Wie läuft das?

Wir haben mittlerweile wirklich viele Kitas, die über die Plattform ausgestattet wurden. Wir gehen auch aktiv auf größere Unternehmen zu und bitten um Unterstützung der Kitas in deren Umkreis. Diese Unternehmen können natürlich ganz andere Summen ausgeben.

Was ist aus eurer Idee geworden, Spiele zu entwickeln?

Wir haben tatsächlich gerade eben das Spiel in die Produktion gegeben, so dass es Ende September, Anfang Oktober in unseren Shop kommt. Es ist ein Puzzlespiel zum Erlernen des Fingeralphabets. Das ist wichtig, weil nicht jedes Wort durch eine GUK-Gebärde abgebildet wird.

Welche Rolle spielt Diversität für eure Produkte?

Eine sehr große! Bei uns gibt es alle Haarfarben, Hautfarben, verschiedene Klamotten. Es soll sich jeder und jede wiederfinden.

Ihr habt unter anderem den Future Award 2019 gewonnen, den Frankfurter Gründerpreis 2021, wurdet von der Bundesregierung als Kultur- und Kreativpilotinnen ausgezeichnet: Wie wichtig sind euch die vielen Preise, die ihr mittlerweile gewonnen habt?

Sie waren einfach wichtig für unsere Sichtbarkeit und haben uns gerade in der wilden Anfangszeit sehr darin bestärkt, dass es gut ist, was wir machen.

Was würdet ihr brauchen, um weiter wachsen zu können?

Uns bringt es immer total viel, wenn über und von uns geredet wird, andere uns empfehlen. Wir können nur wachsen, wenn wir Kunden haben, die weiterkaufen, damit wir reinvestieren können. Wir sind aktuell in 2000 Kitas, in Deutschland gibt es aber ungefähr 55.000 Kitas.

Im Spätsommer wollen wir die erste Beta-Version unserer App in den Store bringen und hoffen auch hier auf viel Feedback.

Habt ihr mal über ein Crowdfunding nachgedacht?

Wir haben uns tatsächlich ganz am Anfang damit auseinandergesetzt und uns mit anderen Teams ausgetauscht. Crowdfunding scheint ein massiver Zeitaufwand zu sein, und das Geld bekommt man ja auch nur, wenn man das vorab gesteckte Ziel erreicht hat. Das wollten wir so nicht. Wir haben also unser Sparkonto geplündert, unsere Eltern haben uns unterstützt. So konnten wir schneller starten.

Hätten wir gewusst, was auf uns zukommt, hätten wir vielleicht gar nicht so schnell gesagt, wir machen das einfach. Es war eine gute Mischung aus Naivität und dass wir frisch aus dem Studium waren. Man hat keine eigenen Kinder, nicht so viel Verantwortung, außer für sich selbst. Deshalb haben wir gesagt, wir machen das jetzt einfach. Man muss mutig und naiv sein, und dann kriegt man es doch gebacken. Es ist eine Achterbahnfahrt, aber es gehört einfach dazu.

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