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Zärtlich sein, jeden Tag

Wie schaffst Du das nur? Ja, wie? Das. Die Kinder. Den Haushalt. Und dann auch noch arbeiten. Hast Du wirklich sechs Kinder? Ernsthaft? So viele? Oh mein Gott. Ich könnte das nicht. Wahnsinn. Woher nimmst Du die Energie?

Ich weiß es nicht. Oder falsch. Natürlich weiß ich es. Meistens. Die Energie kommt aus dem Glück des Tuns. Keine Frage: Irgendwas ist immer zu tun, und meistens viel zu viel. Jede Mutter weiß das, ganz egal, ob eins, zwei oder viele Kinder. Irgendwas ist immer zu schaffen. Die Wäsche! Das Spielzeug überall! Hierhin und dorthin bringen. Abholen. Und gefühlt immer hat mindestens einer Hunger! Hat eine ganz dringende Frage. Will spielen. Braucht jemanden zum Reden. Steht nachts am Bett und muss fest in die Arme genommen werden. Latein, Mathe, Englisch, Hundertertafel, Russland-Referat. Mama! Expertin für alles. Mama! MAMA! Tag und Nacht Rufbereitschaft. Wie das nur schaffen? Ohne wahnsinnig zu werden? Ja, wie nur?

Foto: Christine Sauer

Es ist eigentlich ganz einfach. Indem man das Schaffen nicht so groß werden lässt, so übermächtig und erdrückend. Klar gibt es viel zu tun. Na und? Ist halt so. Es wird auch wieder anders werden. Natürlich eine Kunst, dieses Loslassen im richtigen Moment. Immer kann man es ja schlecht umterm Dreck sauber sein lassen. Aber: Man kann das Loslassen schon auch lernen, und sei es durch Ausprobieren. Jeden Tag aufs Neue. Und man lernt nie aus. Ist das nicht toll?

Mit sich selbst im Reinen sein hilft ungemein. Die richtigen Menschen um sich wissen. Mut zum Chaos heißt: Ja zu mehr Zeit für Schönes. Zärtlichkeiten. Miteinander lachen. Umarmungen. Streicheleinheiten. Spiele. Vorlesen. Kuchen backen. Musizieren. Fußball spielen. Ach, es gibt so vieles, das so schön ist. Und so glücklich macht. Im Glück liegt die Zärtlichkeit.

Das trägt über durchwachte Nächte, von denen es viel zu viele gibt. Über Morgende, an denen ein Kind mit dem falschen Fuß aufgestanden ist. Oder Nachmittage, an denen es angestrengt ist vom Kindergarten. Von der Schule. Von seinen vielen Eindrücken. Oder, das gibt´s natürlich auch: an denen Mama oder Papa genervt sind.

Die Zärtlichkeit: Sie hat schon manchen schiefen Moment gerade gebogen, manchen Gewitterhimmel blank gefegt. Jeden Tag zärtlich sein, mit jedem Kind. Dafür ist immer Zeit. Darf Zeit sein. Jeden Tag jedem Kind zeigen, wie sehr es geliebt wird, auch wenn es vielleicht Ärger und Streit gab. Das ist das Hohelied der Zärtlichkeit.

Denn eines ist ja ganz wichtig: Familie, Mutter und Vater sein ist so viel mehr als nur schaffen. Überlastung. Hamsterrad. Den Tag irgendwie schaffen. Es ist immer gut, den Blick abzuwenden vom Schaffen und auf das zu schauen, was Familie auch ist. Vor allem ist. Oder vor allem sein sollte. So viel Geborgenheit. So viel Liebe. So viel Glück, so viel Spaß, Lebensfreude. Und Zärtlichkeit. Zärtlichkeit hoch sechs (oder zwei oder drei, je nach Familie): Ist das nicht irre? Irre schön?

So oft diesen unvergleichlichen Zauber des Anfangs erleben zu dürfen, zu spüren, wie ein neues Menschlein heranwächst, die allerersten Stunden mit dem Neugeborenen. Und sofort nicht mehr zu wissen: Wie war es jemals ohne Dich? Du hast uns zu unserem Glück gerade noch gefehlt! Mitzuerleben, mit wie viel Zärtlichkeit ein neues Geschwister monatelang erwartet und dann behutsam in den Kreis aufgenommen wird, wie sich das Familienmobile mit der Zeit neu austariert? Wie liebevoll das Kleinste umsorgt wird?

Es tut gut, den Blick wegzulenken vom täglichen Geschwisterstreit, der irgendwie sein muss, der häufigen Mutter-Rolle als Sündenbock des Haushalts („Mama, es passt einfach so schön!“) hin zu den täglich ausgetauschten Küssen, dem verschworenen Gekicher, den Heimlichkeiten, den Stunden im vertieften Spiel, dem zarten Schokoladenduft, all der Zärtlichkeit, die den Tag einhüllt, so dass am Abend jedem Kind doch irgendetwas einfällt, was heute schön war, auf das es sich zu freuen lohnt.

Immer ist jemand da, der schmusen will, der unvermittelt umarmt, der gerade unbedingt etwas erzählen möchte, der kleine und große Geheimnisse zuflüstert, der kichert, sich freut, schlechte Laune mit guter kompensiert.

Nie ist man allein. Mindetens ein kleiner Körper schmiegt sich immer an, tastet nach Urvertrauen und Geborgenheit. So viel Zärtlichkeit. In einer Familie, einer großen sowieso, findet jeder seinen Platz. Wenn man den Raum dafür schafft. Sein lässt, wenn es geht. Das schaffen. Eine Kunst. Aber: Sie wächst, so mit der Zeit. Und mit der Zärtlichkeit.

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