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„Dare to live“

Bastian erzählt in seinem Blog Leben mit PEG von 20 Jahren Sondenernährung 

Ja, er kann trotz PEG „richtig“ essen und nein, eine PEG tut nur dann weh, wenn irgendwas nicht stimmt: Offen, direkt und aus erster Hand erzählt Bastian auf seinem Blog „Leben mit PEG“ aus zwei Jahrzehnten Ernährung über seine Magensonde. Warum der Ilmenauer den Blog gestartet hat und was er erreichen will, darüber habe ich mit Bastian gesprochen, der als Journalist und Unternehmer unterwegs ist. Sein Alter verrät er übrigens nicht. Er will nicht in noch eine Schublade gesteckt werden. Denn mit seiner progressiven Muskelschwäche, einer unheilbaren, fortschreitenden Erkrankung, steckt er schon in Schublade genug.

Bevor wir ins Thema PEG einsteigen... Du hast Dein Herz an den Journalismus verloren und zusätzlich ans Unternehmertum. Welcher Bereich ist Dir wichtiger?

Tatsächlich das Unternehmertum, weil es mir mehr Möglichkeiten eröffnet, und das ist gerade in meiner Lebenssituation wichtig. Denn meine Möglichkeiten sind per se nicht so üppig wie bei manch anderen, und so ist das Unternehmertum ein tolles Werkzeug, um doch das ein oder andere möglich zu machen. 

Nichtsdestotrotz möchte ich den Journalismus nicht missen, denn durch diese Arbeit habe ich Einblicke bekommen in viele Lebenswelten, die ich mir nie hätte vorstellen mögen. Nach wie vor finde ich auch, dass der Journalismus eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe hat. Mit meiner Perspektive kann ich diese Aufgabe erfüllen, weil ich eben diese Perspektive widerspiegele.

Foto: privat

Welche Möglichkeiten meinst Du damit?

Ich kann sehr viel selbst bestimmen und gestalten, das ist in meinem Alltag besonders wichtig, denn meine besondere Lebenssituation macht es erforderlich, dass man die Rahmenbedingungen selbst festlegen kann, damit ich mein Leben selbstbestimmt gestalten kann und nicht von anderen Menschen bestimmt werde. Deshalb ist das Unternehmertum mir sehr wichtig, weil es mir ein Werkzeug eröffnet, um diese Möglichkeiten zu nutzen und Gestaltungsspielräume zu haben.

Du hast eine progressive Muskelschwäche. Was genau bedeutet das?

Die Erkrankung schreitet kontinuierlich fort. Inzwischen gibt es Medikamente, die diesen Prozess verlangsamen können, was sehr viel wert ist. Denn progressive Muskelschwäche bedeutet, dass alle Muskeln betroffen sind und es um weit mehr geht als „Ok, kann halt nicht laufen“. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, was im Körper alles Muskeln sind – das Herz, die Atmung – und wenn man dann bedenkt, dass auch diese Muskeln immer schwächer werden, bekommt es eine dramatischere Dimension. Und das begleitet mich schon mein gesamtes Leben.

Schlagen die Medikamente bei Dir an?

Tatsächlich ja. Ich habe das Glück, dass ich zu den sogenannten Respondern gehöre, bei denen die Medikamente wirken. Damit habe ich ein paar Jahre mehr auf dieser fantastischen Welt gewonnen.

Wann hast Du die Diagnose bekommen?

Ich selbst bin damit aufgewachsen. Meine Eltern haben die Diagnose bekommen, als ich 11 Monate alt war, weil sie bemerkt haben, dass etwas mit mir nicht stimmt, als ich fünf Monate alt war. Diese Zeit kenne ich nur aus Erzählungen, auch wenn eine meiner frühesten Erinnerungen an eine Szene im Babybett im Krankenhaus ist. Für meine Eltern begann damals eine wahre Odyssee von Arzt zu Arzt, von Klinik zu Klinik, niemand konnte ihnen sagen, was mit ihrem Sohn los ist, sie wurden teilweise abgewiegelt, bis sie schließlich die Diagnose Spinale Muskelatrophie Typ II bekamen.

Wie ging es dann weiter?

Dann haben meine Eltern die sympathische Aussage bekommen: Wir wünschen Ihnen noch ein schönes Jahr mit ihrem Sohn! Das war natürlich absolut empathielos. Meine Eltern haben nach dem ersten Schock aber eine Sache gemacht: Sie haben gesagt, wir wissen nicht, wie lange wir haben, wir machen das Beste daraus und sind ins Tun gekommen. Sie haben versucht mir ein möglichst normales Leben zu ermöglichen. 

Sie sind natürlich inzwischen raus aus der Verantwortung, aber sie haben mir sehr viel mitgegeben: Dass man Vorwärts schaut, Ziele hat, auf die man hinarbeitet, nicht stehenbleibt, immer in Bewegung bleibt. Wir alle wissen ja nicht, wie viel Zeit wir auf dieser Erde haben, es kann in nächster Nähe vorbei sein oder wir werden beide ganz alt. Deshalb lebe ich nach der Devise das Beste aus dem zu machen, was wir haben. Damit bin ich bisher gut gefahren, im wahrsten Sinne des Wortes.

Du hast das Motto Deiner Eltern für Dein Leben übernommen.

Sie haben mein Leben auf jeden Fall sehr geprägt und mein persönliches Lebensmotto ist Dare to live, wage es zu leben. Es gibt immer einen Weg, notfalls einen anderen, und das ist etwas, das ich im Laufe meines Lebens gelernt habe. Geht nicht gibt es nicht, es ist immer eine Frage der Ressourcen. Damit sind wir wieder beim Unternehmertum. Damit habe ich die Möglichkeit andere Ressourcen zu schaffen, als wenn ich angestellt wäre.

Woher nimmst Du die Energie?

Ich habe Dinge vor! Ich möchte noch Sachen erreichen, erleben. Ich bin ein Erlebnisjunkie, ich habe Spaß daran Sachen zu machen, zu erleben und dann auch wirklich im Moment zu sein. Ich nehme Erlebnisse, Emotionen mit. Das gibt mir rückblickend Kraft, wenn man mal einen schlechten Tag hat, und zum anderen habe ich immer auch Leuchttürme für mich, Wegweiser, wo ich hinwill, was ich machen möchte, noch erleben möchte. Das ist das, was mich antreibt.

Ist Dein Blog ein solcher Leuchtturm?

Lustigerweise ja, war er ab gar nicht von Anfang an. Ich war journalistisch mit meiner Medienproduktionsfirma für ein anderes Projekt tätig und sollte dort Erfahrungen einbringen aus meinem eigenen Alltag. Ernährung ist ein wichtiges Thema, auch für mich, also nehmen wir mal die Perspektive eines Lebens mit PEG, also einer Magensonde, und habe dann im Rahmen der Recherche festgestellt, dass es unglaublich viele Informationen zu dem Thema gibt, aber aus der Sicht von medizinischem Personal, also Ärzte, Krankenschwestern, es gibt Austausch von Eltern schwerst mehrfachbehinderter Kinder. 

Aber es gibt kaum Informationen aus der Perspektive von jemanden, der selbst, so wie ich, seit zwanzig Jahren mit einer Sonde lebt. Das hat mich beschäftigt, dass es hier so wenige Informationen gibt. So habe ich am 28. Februar, dem Tag der Internationalen Erkrankungen, angefangen, diesen Blog zu veröffentlichen.

Welche Themen sind Dir wichtig?

Es gibt jede Woche einen neuen Beitrag zu allen Belangen, die dich umtreiben, wenn du eine solche Magensonde hast. Informationen von jemandem, der es aus eigenem Erleben, Erfahrungswissen hat. Das hat sich inzwischen fantastisch entwickelt. Ich merke, dass hier ein unglaublich großer Bedarf besteht, weil immer wieder Menschen auf mich zukommen, mit Fragen oder um sich einfach bedanken. Es sind teils Fragen, bei denen ich mich wundere, dass sie überhaupt heutzutage noch gestellt werden. Diese Antworten bedeuten für die Menschen einen unglaublichen Mehrwert. So entwickelt sich dieser Blog aktuell zu einem meiner größten, wichtigsten Projekte.

Welche Fragen werden Dir gestellt?

Eine der wirklich häufigsten Fragen ist: Tut das weh? Kann ich danach noch was oral essen? Die Antwort ist: es kommt auf das Krankheitsbild an. Letztlich ist eine Magensonde ja ein Hilfsmittel, das unterstützen soll, ausreichend Kalorien, Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen, wenn das über den oralen Weg nicht mehr funktioniert. Es wird also ein Nebenzugang geschaffen für die Nahrungsaufnahme, der Mund wird ja aber nicht zugemauert. Ein PEG bedeutet nicht mehr se und für immer, dass keine orale Nahrungsaufnahme mehr möglich ist.

Du hast die Themen fürs gesamte Jahr vorgeplant. Warum ist Dir das wichtig?

Das war mir aus der Erfahrung mit anderen Projekten wichtig. Ich habe ein unglaublich intensives Leben, in dem sehr, sehr viel passiert, und ich möchte einfach ein verlässliches Medium bereitstellen. Die Themenplanung erleichtert mir das. Menschen in gesundheitlich angespannten Situationen werden viel zu oft allein gelassen, das weiß ich aus eigener Erfahrung, deshalb war es mir besonders wichtig, Zuverlässigkeit zu bieten.

Wie gehst Du konkret vor dem Hintergrund Deiner progressiven Muskelschwäche bei der Texterstellung vor?

Das ist das Tolle an Textarbeit: Meine Assistenten müssen mir lediglich den Computer anschalten und das Headset für die Sprachsteuerung aufsetzen, und dann kann ich es komplett alleine machen. Ich kann den Text dann selbst online stellen, das ist recht unkompliziert. Deshalb gefällt mir der Job, weil er für mich so unkompliziert ist. Bei anderen Jobs brauche ich immer Menschen, mit denen ich zusammenarbeite.

Wie groß ist Dein Team?

Das schwankt immer, es sind im Normalfall zwischen sechs und zehn Leuten. ES ist immer jemand in meiner Nähe, weil ich aufgrund der Muskelschwäche außer Sprechen nichts mehr alleine machen kann. Ich brauche wirklich bei allen Aktivitäten im Alltag Unterstützung.

Nervt Dich das manchmal?

Das ist der Preis, den ich zahlen muss. Dafür habe ich die Freiheit, dass ich jederzeit tun und lassen kann, was ich will, wann ich will. Aber auch das mache ich schon seit vielen, vielen Jahren, ich bin hineingewachsen seit der Pubertät, als ich mal rauswollte mit Freunden ohne Eltern. Irgendwann hatte ich rund um die Uhr Assistenz und war komplett autark von meiner Familie.

Was wünschst Du Dir für Dein Portal?

Ich wünsche mir, dass es vielen Menschen hilft, mit einer PEG oder einer anderen Magensonde zu leben, das als Hilfsmittel zu akzeptieren und zu verstehen. Ich erlebe immer wieder, dass die Leute es ablehnen, weil sie Angst haben, es ablehnen. Da ist mein großer Wunsch, dass die Menschen merken, dass man sich reinfuchsen muss, es aber sehr nützlich und praktisch ist.

Letztlich geht es Dir darum, eine PEG wie eine Brille oder ein Hörgerät als Hilfsmittel zu sehen?

Genau. Das wäre toll. Und mehr Akzeptanz in der Gesellschaft. Es ist einfach nur essen. Es gibt so viele Facetten dieses Themas, und Sondenernährung ist eine. Es ist eine Stigmatisierung der Menschen, die absolut unnötig ist. Ich schaue ja auch nicht blöd, wenn sich jemand Fast Food reinzieht, obwohl wir alle wissen, wie ungesund das ist. Mit einer Sonde ernährt sich ja niemand, weil er gerade Bock darauf hat, sondern weil es notwendig ist. Deshalb sollte man damit auch offen umgehen können.

Ich denke, das Leben mit PEG ist ein Lebensbereich, der sehr viel Aufklärung bedarf, weil Menschen mit PEG viel zu oft mit Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit in Verbindung gebracht werden. Die meisten Menschen erwarten nicht jemanden, der mit beiden Beinen im Leben steht, seinen Beruf ausübt, Reisen unternimmt. Jemanden wie Dich.

Das stimmt, und es ist einfach falsch. Wenn ich hier einen ganz kleinen Beitrag leisten kann, freut mich das natürlich.

Hast du persönlich etwas für Dich gelernt durch den Blog?

Ich habe auf jeden Fall gemerkt, dass meine Perspektive offensichtlich sehr wichtig ist und ich damit Menschen helfen kann. Und das ist ein unglaublich tolles Gefühl gerade für jemanden wie mich, der von außen betrachtet eigentlich derjenige ist, der Hilfe braucht. Dass ich aber andererseits jemand sein kann, der Menschen hilft, ist cool.

Ich bin nicht der Herr Krösche, sondern der Bastian. Ich will gar nicht versehentlich in eine medizinisch fachliche Sprache rutschen.

Es ermöglicht eine Kommunikation auf Augenhöhe, an der es leider häufig fehlt…

Ja, absolut.

Ja, und in meiner Lebenssituation noch öfter. Du glaubst gar nicht, wie viele Erlebnisse ist hatte, in der man nicht mit, sondern über mich spricht in meiner Anwesenheit. Sehr beliebt ist in Restaurants: Was möchte er denn essen? Er möchte jetzt gehen und sein Geld woanders ausgeben. Ich sage das dann auch genauso. Ich werde nicht für voll genommen. So herabgestuft zu werden macht keinen Spaß. Da ist man dann auch manchmal ein bisschen sensibel.

Ich denke, das darf man auch sein. Es macht uns als Menschen ja aus, dass Trauriges und Schönes uns berührt. Es ist vielleicht wichtig, dass man versucht das Negative in einer gewissen Weise ins Positive zu wenden.

Ja, das stimmt. Mit meinem Blog mache ich das gewissermaßen. Ich lasse Menschen an meinen Erfahrungen teilhaben in der Hoffnung, dass es jemandem hilft.

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Mehr Menschen kennenlernen?

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