Felsen in der Brandung: Unternehmen als Unterstützer in Katastrophen
Kurz vor dem Osterwochenende hat das Deutsche Rote Kreuz die Ergebnisse einer vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen durchgeführten Studie veröffentlicht. Der 124-seitige Bericht einschließlich Handlungsempfehlungen lautet auf den Titel “Katastrophenbewältigung zwischen Staat und Wirtschaft - Zur Rolle von Unternehmen während des Ahrhochwassers 2021” (Öffnet in neuem Fenster). Matthias Max (Deutsches Rotes Kreuz e.V.) ist Herausgeber.
Ich möchte das Studium des DRK-Berichts zunächst sehr empfehlen. Er ist gut und leicht verständlich geschrieben. Der Inhalt ist spannend und hochaktuell. Die Handlungsempfehlungen sind spot on. (Öffnet in neuem Fenster)
I. Der DRK-Bericht in a nutshell
1. Das Ergebnis der Studie
Die dem Bericht zugrunde liegende Studie hat ergeben, dass Unternehmen und Mitarbeitende gerne bei der Bewältigung des Ahrhochwassers geholfen haben, jedoch mit zahlreichen Erschwernissen zu kämpfen hatten. Viele mit der Katastrophe konfrontierte Nicht-KRITIS-Unternehmen hatten wenig bis keine Ressourcen und Erfahrungen, wie mit Krisensituationen umgegangen werden soll. Soweit es in ihren Möglichkeiten stand, haben Unternehmen gemäß Seite 48 f. des DRK-Berichts Unterstützung geleistet mit
“(…) der Bereitstellung von Fahrzeugen (z. B. Bagger und LKWs) sowie Maschinen (z. B. Pumpen) und Fachpersonal zur Bedienung dieser Gerätschaften. Auch stellten Unternehmen ihre Räumlichkeiten und Gelände Hilfsorganisationen zur Verfügung. Außerdem wurde in den Interviews die Freistellung von ehrenamtlich im Katastrophenschutz tätigen Mitarbeitenden als wichtige Engagementform benannt. Je nach Art des Unternehmens konnten verschieden Formen der Expertise und der unternehmerischen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.”
Unternehmen erlebten die Kommunikation und Koordination mit den Katastrophenschutzbehörden und Hilfsorganisationen dabei überwiegend als unzureichend. Strukturen fehlten und Zuständigkeiten blieben oft unklar. So wurden v.a. fehlende behördliche Ansprechpersonen zur Koordinierung der Hilfsangebote moniert, zudem aufwendige und langsame bürokratische Prozesse. Mehrere Unternehmen vermissten Behördenvertreter vor Ort und suchten sich deshalb Aufgaben und Einsatzort selbst. Auf Hilfsangebote seien Behörden und Hilfsorganisationen nicht vorbereitet, aber erkennbar angewiesen gewesen.
Einigkeit bestand gemäß DRK-Bericht in der Unverzichtbarkeit von Unternehmensressourcen in Katastrophensituationen. So wird auf Seite 67 festgehalten:
“In den Interviews wurde übereinstimmend die Einschätzung geäußert, dass eine große Katastrophe nicht allein durch Behörden und Hilfsorganisationen bewältigt werden könne – es geht also nicht ohne Unternehmen.”
Eine Pflicht der Unternehmen zur Unterstützung bei der Katastrophenbewältigung wurde nicht erkannt. So wird auf Seite 68 ausgeführt:
“Katastrophenschutz wurde dabei in fast allen Interviews als politische Aufgabe und damit primär als Aufgabe des Staates gerahmt. Als verantwortlicher Akteur solle der Staat in Form der zuständigen Katastrophenschutzbehörden und auch Hilfsorganisationen den Katastropheneinsatz koordinieren und organisieren. Die Aufgabe von Unternehmen im Katastrophenfall wurde von den Interviewten in der allgemeinen Unterstützung des Katastrophenschutzes verortet.”
Einer Verpflichtung zur Unterstützung im Katastrophenfall standen Unternehmen sogar häufig ablehnend gegenüber (Seite 75). Dies v.a. aus Unsicherheit bezüglich der im konkreten Fall bestehenden Unterstützungsmöglichkeiten und -potenziale (ebenda), wegen offener Haftungs- und Versicherungsfragen (Seite 71), aber auch aus Gründen der möglichen eigenen Überforderung (Seite 75).
2. Die Handlungsempfehlungen
Als Handlungsempfehlungen hält der DRK-Bericht ab Seite 94 fest:
Die Unternehmensressourcen vor Kriseneintritt systematisch zu erfassen, wobei der Fokus nicht nur auf materiellen, sondern auch immateriellen Ressourcen wie Fachwissen liegen sollte;
Strukturen zu schaffen, die z.B. Kommunikationskanäle und konkrete Ansprechpersonen sowie Rechtsklarheit umfassen, auf die im Krisen- bzw. Katastrophenfall zurückgegriffen werden kann;
Unternehmen für ihre Bedeutung in Krisen- und Katastrophensituationen zu sensibilisieren, v.a. Bewusstsein durch Informationsveranstaltungen und Übungsangebote zu schaffen;
Kontakte und Netzwerke zu schaffen, auf die im Krisen- bzw. Katastrophenfall zurückgegriffen werden kann.
3. Offene, zu klärende Fragen
Aus dem Vorstehenden ergeben sich offene Fragen zu den Rechtsgrundlagen der unternehmerischen Unterstützung bei der Katastrophenbewältigung (II.) sowie der Umsetzung der Handlungsempfehlungen (III.).
Für die Beantwortung möchte ich die o.g. klugen Handlungsempfehlungen zusammenfassen: So sehe ich Ziffern 1-4 als untrennbar verbunden, denn ohne regelmäßigen Kontakt und Netzwerk, die Kommunikationskanäle und konkrete Ansprechpersonen voraussetzen, ist es nicht möglich, Unternehmensressourcen und z.B. individuelles Fachwissen systematisch zu erfassen und aktuell zu halten. Erst wenn bekannt ist, welche Unternehmen und Mitarbeitenden für die Bewältigung von Katastrophen relevant und wie sie darauf vorbereitet sind, können Sensibilisierung durch Information und Übungen sinnvoll stattfinden. Die richtige Allokation von knappen Ressourcen ist wichtig. Somit würde ich diese Punkte unter einer Handlungsempfehlung “Einbindung von Unternehmen und Mitarbeitenden in die Katastrophenvorsorge und -bewältigung durch bessere Kommunikation und Koordination” zusammenfassen.
Die im Rahmen der zweiten Handlungsempfehlung angesprochene fehlende Rechtsklarheit löse ich heraus als zweite, gesonderte Handlungsempfehlung, die sich auch an Unternehmen richtet: “Informieren über eigene Rechte und Pflichten”.
II. Rechtsgrundlagen der unternehmerischen Unterstützung bei der Katastrophenbewältigung
1. Fehlendes Rechtsverständnis bei Unternehmen
Der DRK-Bericht lässt bei den Unternehmen fehlende Rechtskenntnis erkennen. Das Rechtsgefühl, dass bei der Katastrophenbewältigung die Initiative grundsätzlich “vom Staat” ausgehen muss, ist dabei korrekt. Nicht korrekt ist jedoch das Verständnis, dass es für Unternehmen und Mitarbeitende keine Pflicht zur Unterstützung bei der Katastrophenbewältigung gibt oder geben kann.
Tatsächlich enthalten alle Landeskatastrophenschutzgesetze (Öffnet in neuem Fenster) die erforderlichen Rechtsgrundlagen, um Unternehmen und Mitarbeitende zur wie im DRK-Bericht beschriebenen Unterstützung in Anspruch zu nehmen. “In Anspruch nehmen” meint hier: in die Pflicht nehmen. Eine zuständige Katastrophenschutzbehörde ist im Rahmen der Abwehr von Katastrophengefahren nicht auf die Freiwilligkeit von Unternehmen und Mitarbeitenden angewiesen. Die eingeforderte Unterstützung verweigern ist nur in engen gesetzlichen Grenzen möglich.
Mit der behördlichen Inanspruchnahme sind Haftungs- und Versicherungsfragen regelmäßig geklärt. Helfende haften dann grundsätzlich nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit gegenüber der in Anspruch nehmenden Behörde - nicht jedoch gegenüber Geschädigten (Öffnet in neuem Fenster). Wenn Unternehmen Grundstücke, Gebäude, Fahrzeuge, Maschinen, Geräte oder sonstige Hilfsmittel auf behördliche Veranlassung zur Verfügung stellen, dürften sich zu klärende Haftungs- und Versicherungsfragen eher auf Fälle konzentrieren, in denen von den Gegenständen unerwartete Gefahren ausgehen, die trotz Kenntnis nicht kommuniziert werden und sich realisieren.
2. Rechtsgrundlagen von Inanspruchnahme im LBKG
Für Rheinland-Pfalz ergeben sich die durch behördliche Anordnung ausgelösten Unterstützungspflichten aus § 27 Abs. 1 und 3 LBKG (Öffnet in neuem Fenster), dem Landeskatastrophenschutzgesetz in der Fassung des Jahres 2020. Wer einer solchen Anordnung nicht nachkommt, dem droht eine Geldbuße nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 bzw. 3 LBKG (Öffnet in neuem Fenster). Die Unterstützungsleistung darf nur verweigern, wer durch sie eine erhebliche eigene Gefahr befürchten oder andere wichtige Pflichten verletzen müsste. Gesetzliche Duldungspflichten, z.B. hinsichtlich des Betretens von Grundstücken und baulichen Anlagen, ergeben sich aus § 28 Abs. 1 Nr. 1 LBKG (Öffnet in neuem Fenster).
Konkret ist die Rechtsgrundlage für die Bereitstellung (s.o.) von
Fahrzeugen (z.B. Baggern und LKWs) sowie Maschinen (z.B. Pumpen): § 27 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LBKG
Fachpersonal zur Bedienung dieser Gerätschaften: § 27 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LBKG
Räumlichkeiten und Gelände: § 27 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 LBKG und § 28 Abs. 1 Nr. 1 LBKG
Expertise: § 27 Abs. 1 LBKG.
Die Freistellung von Mitarbeitenden ist in § 2 Abs. 6 LBKG (Öffnet in neuem Fenster) vorgesehen.
Wer durch die Inanspruchnahme nach den § 27 oder § 28 LBKG einen Schaden erleidet, kann Entschädigung nach § 30 LBKG verlangen. Das gilt auch für bestimmte Fälle, in denen die förmliche Inanspruchnahme nicht erfolgte. Der Angst vor Überforderung und Nachteilen ist damit grundsätzlich Genüge getan.
Eine Pflicht schafft also klare Rechtsverhältnisse. Sie entlastet die Unternehmen und Mitarbeitenden um Haftungssorgen sowie das Tragen finanzieller Nachteile.
3. Rechtsgrundlage für Kommunikation und Koordination im LBKG
Oben hatte ich die Handlungsempfehlungen des DRK-Berichts mit “Einbindung von Unternehmen und Mitarbeitenden in die Katastrophenvorsorge und -bewältigung durch bessere Kommunikation und Koordination” zusammengefasst. Dafür gibt es tatsächlich eine spezifische Rechtsgrundlage: § 27 Abs. 4 LBKG (Öffnet in neuem Fenster). In dieser Vorschrift steht:
Die Aufgabenträger sind berechtigt, Personen mit besonderen Kenntnissen oder Fähigkeiten zur Hilfeleistung sowie Hilfsmittel nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 1, Verbrauchsmaterial nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 2, Beherbergungsstätten, bauliche Anlagen und Einrichtungen zur kurzfristigen Unterbringung evakuierter Personen nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 vorher zu erfassen; die betreffenden natürlichen und juristischen Personen, Personenvereinigungen sowie die Eigentümerinnen und Eigentümer, Besitzerinnen und Besitzer oder sonstigen Nutzungsberechtigten sind verpflichtet, die notwendigen Auskünfte zu erteilen und Änderungen zu melden.
Damit soll sichergestellt werden, dass im Katastrophenfall schnell und wirksam in Anspruch genommen werden kann, samt sog. Matchings von Hilfebedarf und Hilfsangebot.
Das Anlegen und Führen eines solchen Verzeichnisses unter Mitwirkung der Erfassten kann als Handlungsmodalität im Rahmen der Aufgaben der Landkreise bzw. kreisfreien Städte als “sonstige, zur wirksamen Verhütung und Bekämpfung von Gefahren größeren Umfanges notwendige Maßnahmen” gesehen werden (§ 4 Abs. 1 Nr. 5 bzw. § 5 Abs. 1 Nr. 5 LBKG (Öffnet in neuem Fenster)). Andere Formen der Kommunikation und Koordination sind also nicht ausgeschlossen.
III. Umsetzung der Handlungsempfehlungen
Zurück zu meinen zwei Handlungsempfehlungen, auf denen die vier detaillierteren Handlungsempfehlungen des DRK-Berichts aufbauen:
Wie der DRK-Bericht richtig festhält, bedarf die “Einbindung von Unternehmen und Mitarbeitenden in die Katastrophenvorsorge und -bewältigung durch bessere Kommunikation und Koordination” grundsätzlich behördlicher Initiative. Dies bestätigt auch die hier vorgestellte Rechtsgrundlage § 27 Abs. 4 LBKG (Öffnet in neuem Fenster). Entscheiden sich rheinländische Aufgabenträger zu Anlage und Führen eines solchen Verzeichnisses, ist ein wichtiger Grundstein für die Umsetzung der Handlungsempfehlungen des DRK-Berichts gelegt. Darauf aufbauend können die Details der Kommunikation und Koordination festgelegt werden, auf die dann im Katastrophenfall zurückgegriffen werden kann. Nicht-rheinländische Aufgabenträger sollten die für sie geltenden Katastrophenschutzgesetze auf entsprechende Rechtsgrundlagen prüfen.
“Informieren über eigene Rechte und Pflichten” müssen sich tatsächlich auch die Unternehmen. Rechtsberatung ist nicht Aufgabe der Behörden und Hilfsorganisationen im Katastrophenschutz und kann auch in einer Katastrophenlage nicht erwartet werden. Verständlich ist natürlich, dass ohne die notwendigen behördlichen Anordnungen in einer katastrophalen Lage Unsicherheit herrschte. Umso mehr ist löblich, dass viele trotz Unsicherheit geholfen haben. Wenig verständlich ist jedoch, dass die Unternehmen im Nachgang scheinbar keine rechtliche Prüfung vorgenommen haben, um z.B. Entschädigung geltend zu machen und im Falle der nächsten Katastrophe besser vorbereitet zu sein. Wie oben gezeigt, sind die aufgeworfenen Rechtsfragen grundsätzlich durch Blick ins Gesetz klärbar. Es kann von Unternehmen erwartet werden, dass sie - auch für ihre Mitarbeitenden - klären, wann und wie sie zu Unterstützungsleistungen verpflichtet sind. So wird vermieden, dass eine im Rahmen ihrer rechtlichen Befugnisse handelnde Behörde auf einen die Katastrophenbewältigung störenden Widerstand stößt, weil Unternehmen und Mitarbeitende fälschlich annehmen, keinerlei Unterstützungspflichten zu unterliegen, unnötig Angst vor Haftung haben oder finanziellen Schaden befürchten.
Insofern möchte ich diesen Beitrag abschließen mit einem Zitat aus dem DRK-Bericht (Seite 98):
“Die Bearbeitung von Katastrophen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.”
Deshalb müssen sowohl die Aufgabenträger als auch die Unternehmen die Rechtslage kennen. Dann klappt es auch mit der Katastrophenbewältigung zwischen Staat und Unternehmen.