Die Schlüsselrolle von Unternehmen in EU-Krisen
Im Vorgängerbeitrag (Öffnet in neuem Fenster) habe ich die lokale Unterstützung von Unternehmen in Katastrophen am Beispiel des Landeskatastrophenrechts von Rheinland-Pfalz betrachtet. Denn nicht nur tatsächlich, auch rechtlich spielen Unternehmen und Mitarbeitende eine wichtige Rolle bei der Bewältigung außergewöhnlich belastender Situationen.
Auf EU-Ebene ist die Schlüsselrolle von Unternehmen im Rahmen von Krisen ebenfalls erkannt worden. In der COVID-19-Pandemie hing insbesondere die Masken-, Impfstoff-, Test- und Spritzenversorgung zu ihrer Bekämpfung von Unternehmen ab. Ohne Unternehmen ging es nicht. (Öffnet in neuem Fenster) Bislang ergangenen und geplanten EU-Rechtsakten ist daher das Ziel gemein, die Kommunikation und Koordination mit Unternehmen zu verbessern. Die Handlungsempfehlungen des DRK-Berichts “Katastrophenbewältigung zwischen Staat und Wirtschaft - Zur Rolle von Unternehmen während des Ahrhochwassers 2021” sind auch deshalb spot on. (Öffnet in neuem Fenster)
1. Bereits in Kraft getretene EU-Regelungen
Ein Beispiel: die Verordnung (EU) 2022/2372 (Öffnet in neuem Fenster) des Rates vom 24. Oktober 2022 über einen Rahmen zur Gewährleistung der Bereitstellung von krisenrelevanten medizinischen Gegenmaßnahmen im Falle einer gesundheitlichen Notlage auf Unionsebene. Danach haben Herstellerunternehmen die EU-Kommission wie folgt zu informieren (hier gemäß Artikel 10 Abs. 2 und 3):
(2) (…) innerhalb von fünf Tagen bei uneingeschränkter Achtung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen über die tatsächliche Gesamtproduktionskapazität und über etwaige bestehende Lagerbestände krisenrelevanter medizinischer Gegenmaßnahmen und deren Bestandteile in ihren Produktionsanlagen in der Union und den Anlagen in Drittländern, die die Hersteller betreiben, unter Vertrag haben oder von denen sie Güter beziehen (…). Die Kommission kann diese Hersteller auch auffordern, ihr für jede Produktionsanlage in der Union einen Zeitplan für die voraussichtliche Produktion der folgenden drei Monate zu übermitteln.
(3) Auf Ersuchen der Kommission unterrichtet jeder Hersteller krisenrelevanter medizinischer Gegenmaßnahmen die Kommission innerhalb von höchstens fünf Tagen über jede von ihm in der Union betriebene krisenrelevante Produktionsanlage für medizinische Gegenmaßnahmen, einschließlich Informationen über ihre Produktionskapazität für solche Gegenmaßnahmen durch regelmäßig aktualisierte Angaben. In Bezug auf Arzneimittel umfassen diese Informationen Anlagen für Fertigerzeugnisse sowie für pharmazeutische Wirkstoffe.
Unternehmen sind dabei auch Teil der Koordination zur Gewährleistung der Verfügbarkeit und Bereitstellung krisenrelevanter medizinischer Gegenmaßnahmen:
Nach Artikel 12 Abs. 1
kann die Kommission, wenn sie das Risiko von Lieferengpässen bei krisenrelevanten Rohstoffen, Verbrauchsgütern, Medizinprodukten und anderen Geräten, Ausrüstungen und Infrastrukturen sieht, im Einvernehmen mit den betroffenen Mitgliedstaaten und nach Absprache mit den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern so schnell wie möglich spezifische Maßnahmen durchführen, um eine effiziente Neuorganisation der Lieferketten und Produktionslinien zu gewährleisten, und die vorhandenen Vorräte nutzen, um die Verfügbarkeit und Bereitstellung krisenrelevanter medizinischer Gegenmaßnahmen zu verbessern.
Mögliche Formen der Koordination sind in Artikel 12 Abs. 2 geregelt. Beispielsweise können dies Erleichterungen bei dem Ausbau, dem Aufbau oder der Änderung von Produktionskapazitäten sein, die Reservierung von Lagerbeständen und Produktionskapazitäten, aber auch die Erleichterung der Zusammenarbeit einschlägiger Unternehmen.
2. Neue EU-Regelungen zur krisenbezogenen Kommunikation und Koordination mit Unternehmen
In Kürze soll ein neues EU-Gesetz verabschiedet werden, welches Unternehmen nach einem ähnlichen Konzept, aber noch viel mehr in die Krisenvorsorge und -bewältigung einbinden wird: das Binnenmarkt-Notfall- und Resilienzgesetz (besser bekannt unter dem Titel: Internal Market Emergency and Resilience Act, IMERA) (Öffnet in neuem Fenster).
Das IMERA sieht drei Phasen vor: Die Planungsphase, den Überwachungs- und den Notfallmodus. Die Kommunikation und Koordination mit Unternehmen, die überwiegend freiwillig ausgestaltet sind, unterscheiden sich entsprechend. Welche Unternehmen eingebunden werden, das sagt das IMERA nicht. Sie ergeben sich vielmehr aus der Praxis. So erfolgt eine Konkretisierung z.B. aufgrund von Konsulationen in der Planungsphase (Artikel 6) sowie Recherchen und Informationsanfragen in der Überwachungsphase, aber auch Listen relevanter Unternehmen, welche die Mitgliedstaaten führen (Artikel 11). Für einen einfachen und reibungslosen Informationsaustausch mit Unternehmen soll die EU-Kommission eine Plattform einrichten (Artikel 4c).
Spannend ist auch, dass die EU-Kommission Unternehmen im Rahmen der Planungsphase dazu anhalten kann, Krisenprotokolle zur Bewältigung einer Krise im Notfallmodus zu erstellen (Artikel 6a). Die EU-Kommission soll zudem nach Artikel 7 Schulungsprogramme und -materialien für Unternehmen entwickeln und diese zur Verfügung stellen. Die EU-Kommission kann Unternehmen auch zur Teilnahme an Schulungen und Simulationen sowie Stresstests einladen.
Sobald eine Krise die Versorgung mit kritischen Waren und Dienstleistungen gefährdet und der Notfallmodus aktiviert ist, kann die EU-Kommission Informationen von Unternehmen anfordern, z.B. zu Produktionskapazitäten oder Lagerbeständen bestimmter Produkte (Artikel 24). Wollen Unternehmen die Informationen verweigern, müssen sie dies begründen. Unter Umständen kann die EU-Kommission in der EU niedergelassene Unternehmen auch auffordern, krisenrelevante Güter herzustellen oder zu liefern (Artikel 27). Nach aktuellem Verhandlungsstand soll es einem adressierten Unternehmen freistehen, abzulehnen. Das IMEA sieht vielmehr wirtschaftliche und rechtliche Anreize vor, der Aufforderung zu folgen.
3. “Informieren über eigene Rechte und Pflichten”
Wie schon im Vorgängerbeitrag geschrieben, ist es an den Unternehmen, sich über eigene Rechte und Pflichten zu informieren. (Öffnet in neuem Fenster) Auch wenn das IMERA vorwiegend auf Freiwilligkeit aufbaut, so sollten Unternehmen doch auf behördliche Ansprachen wie Auskunftsanfragen und Herstellungs- bzw. Lieferaufforderungen vorbereitet sein. Sinnvoll ist es, die Chancen der aktiven Mitwirkung im EU-Krisenmanagement frühzeitig auszuloten und Mitwirkungshandlungen entsprechend vorzubereiten. Dafür bleiben ab Inkrafttreten des IMERA 18 Monate Zeit.