Wie ist es, Ärztin im Irak zu sein, Lina Ko?
Lina Ko war 2019 für vier Monate als Ärztin im Irak. Wir sprechen über ihre Erlebnisse und darüber was sie von dort für das Leben mitnehmen konnte.
Zwischen new normal und nichts ist normal
Obwohl Lina und ich unser Gespräch bei mir im heimischen Studio aufgenommen haben, sitze ich jetzt, zwei Tage später, in ihrer Heimat Hamburg. Ich bin beruflich hier.
Mit Blick auf einen merkwürdigen Verschlag, der nicht ins Stadtbild passt, sitze ich vor einer kleinen Eckbäckerei und genieße den kühlen Hamburger Frühherbst. An dem Verschlag flattert ein Plakat, der den nächsten Fridays-For-Future Streik ankündigt. Menschen joggen an mir vorbei, die Briefträgerin grüßt höflich und die Politesse stellt unzufrieden fest, dass alle Autos ordnungsgemäß geparkt sind.
Meinen Kaffee trinke ich aus einem braunen ToGo-Becher, auf dem in umweltfreundlichem Grün “save the world” gedruckt steht. Mir scheint, in Hamburg ist noch alles in Ordnung.
In Gedanken bin ich bei unserem Gespräch. So gewöhnlich dieser Morgen, so ungewöhnlich erinnere ich die Erlebnisse, von denen Lina mir berichtet hat.
Als Ärztin war sie mit der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen für vier Monate im Irak. Dort hat sie in der zweitgrößten Stadt des Landes, Mossul, in einem Krankenhaus gearbeitet. Jeder dort habe sein eigenes Trauma, berichtet sie. Es gibt keinen, der keine Geschichte hat, zum so genannten Islamischen Staat. Tatsächlich war Mossul die letzte Bastion des IS im Irak, bevor die Alliierten Truppen das Land 2017 offiziell als befreit erklärten.
Sie meint es gut mit dem Leben, nicht umgekehrt
Lina ist eine außergewöhnliche Person. So lange wie ich sie kenne und das sind immerhin schon mehr als 20 Jahre, habe ich sie noch nie schlecht gelaunt erlebt. Ehrenwort! Nicht übertrieben.
Wenn andere Menschen ausrasten oder niedergeschlagen sind, ist sie einfach, naja, Lina halt. Für jeden Spaß zu haben, positiv. Es wird schon irgendwie weiter gehen.
Sie ist klug, wuppt die Schule so nebenher, mit Mitte 20 fertige Ärztin, aktuell macht sie ihren zweiten Facharzt.
Neider würden sagen „das leben meint es gut mit ihr“. Ich denke „sie meint es gut mit dem Leben“ und darum dankt es das Leben ihr. Denn so geht sie durch die Welt, offen und vor allem unverstellt.
„Wenn ich unsicher bin, muss ich halt einfach immer lachen“
Zwei Tage zuvor: Nach unserem Gespräch spazieren wir durch die Wahner Heide. Während ich versuche das Interview zu verarbeiten, möchte ich sinnvolle Fotos zum Gespräch fotografieren, doch bietet das Kölner Umland nicht unbedingt die Szenerie, die ihren Erzählungen in irgendeiner Form nahe kämen. Weder die Vegetation, noch das Wetter passen.
Wir wandern zu einem sandigen Platz am Rande der Heide, unmittelbar neben dem Zaun zum Flughafen Köln/Bonn gelegen. Auf dem Weg mache ich immer wieder ein paar Bilder.
Lina legt den Kopf schief, grinst, lacht und bricht in schallendes Gelächter aus. Sie mag keine Fotos. Deswegen müsse sie immer lachen. Das kenne ich aus meinem Berufsleben anders. Menschen, die Fotos nicht mögen, drehen sich um, sind verlegen, wollen weg. Und sie? Sie lacht. „Wenn ich unsicher bin, muss ich halt einfach immer lachen“, sagt sie. Vielleicht ist das ihr Geheimnis, denke ich. Die schlechten Dinge im Leben einfach weglachen.
Am Zaun angekommen, stelle ich fest, dass dieser Ort schwer stereotyp ist. Sand, Zaun, Stacheldraht. Wir machen ein paar Fotos. Aber wir sind ja nicht im Irak, hier ist ihr Bewegungsradius nicht eingeschränkt, es liegt kein Stacheldraht um das Krankenhaus herum. Warum das dann hier reproduzieren?
Mir wird klar, dass in diesem Fall der Weg zum Ziel geführt hat. Hier kann sie frei sein, so wie damals bei den Pfadfindern, auf Ferienfreizeit in Schweden, als wir tagelang durch die Natur gelaufen sind. Beruhigt, dass etwas im Kasten ist und dennoch völlig unsicher worüber ich schreiben soll, trennen sich unsere Wege wieder.
48 Stunden später. Ich sitze alleine in ihrer Heimat Hamburg. Nieselregen setzt ein. Für einen kurzen Moment bin ich verärgert, denn der Laptop wird nass. Doch dann packe ich ein und fange an zu lächeln. Die schlechten Dinge im Leben einfach weglachen. Vielleicht fange ich jetzt damit an.
Viel Spaß beim Zuhören.
Die Shownotes findet ihr unter www.viel-schoenes-dabei.de (Öffnet in neuem Fenster)