Folge 48
Vorweg
Die versprochene Literatur-Ausgabe kommt im Laufe der Woche als Folge 48,5 – mir fehlt immer noch ein bisschen Gedankenarbeitszeit, um sie zufrieden loszulassen. Heute versuche ich, euch prophylaktisch aufzuheitern, während in Frankreich die Stimmen ausgezählt werden. Außerdem gibt es in dieser Ausgabe nun wirklich etwas Häme, ich habe mir sagen lassen, etwas Häme sei in Ordnung, und es gab sogar Personen, die ausdrücklich nach Häme verlangten.
Etwas Altes: Brettspiele
In letzter Zeit ist mir ein bisschen unangenehm aufgefallen – nicht nur an anderen, auch an mir selbst –, dass bei Treffen immer die gleichen alten Geschichten erzählt werden. Ja, gut, viele Menschen kennt man einfach so lange, dass Redundanzen nicht zu vermeiden sind, und es nervt auch nicht wirklich, sich Geschichten mehrfach anzuhören, wenn man die Erzählenden gern hat. Aber die Pandemie hat das Phänomen arg verstärkt, wir haben halt gut zwei Jahre lang fast alle fast nichts erlebt – was soll man also erzählen. Sich gegenseitig das Internet zu referieren, bringt es auch nicht, man ist ja aktuell eher froh, wenn man mal Internet verpasst.
Bei mir zuhause fällt das Pandemieenden-Simulakrum zusammen mit einer anbrechenden neuen Lebensphase, in der mein Mann und ich allmählich auf die Reihe bekommen müssen, wieder etwas miteinander und mit uns selbst anzufangen, weil das 24/7-Rotieren um die Kinder weggefallen ist.
(Macht euch bitte keine falschen Hoffnungen, dass ihr nach dem 18. Geburtstag eurer Kinder, wenn ihr welche habt, sofort damit loslegen könnt, attraktive Menschen in mittleren Jahren, die das Leben genießen, zu sein. Es warten noch ganz und gar unaussprechliche Erlebnisse auf euch. – Ich habe zum Glück zwei etwa gleichaltrige Freundinnen, mit denen ich die besonderen Nöte von Eltern junger Erwachsener teilen kann.)
Zurück zum Thema, es kann also festgehalten werden, dass viele Menschen sich gerade zwar nach Treffen mit anderen Menschen sehnen, aber sozial nicht viel zu bieten haben. Okay, man könnte sich jetzt treffen und dann einander schweigend wie die tree hugger in den Arm nehmen. Aber für mich persönlich wäre das nichts, obwohl ich zugegebenermaßen geistig mittlerweile mehr Baum bin als vor Corona. Nein, schweigend lieb rumstehen, das halte ich nicht aus; die Unterhaltung muss sich aus anderen Quellen speisen.
Ich glaube, ich habe eine sehr gute Lösung gefunden: Brettspiele. Wir spielen in der Familie (schon passiert) und mit Besuch (geplant). Unser sozialer Re-entry wird also nicht über Dinnereinladungen laufen, bei denen Menschen uns ihre ollen Kamellen ins Haus tragen und im Tausch unsere bekommen, sondern über Spieleabende. Natürlich muss dabei exzellent gesnackt werden: Ich backe Brot und rühre Dips zusammen (Die besten Brettspielabend-Dips, Berlin: Frohmann 2023), und dann wird gespielt.
Wir haben das gemeinsame Spielen – delightful horror – mit Pandemie (Öffnet in neuem Fenster) begonnen und leider verloren. Es war trotzdem sehr schön.
Gestern waren wir im erweiterten Familienkreis (zwei Mütter, zwei sehr unterschiedlich alte Söhne, ein Girlfriend) bowlen, und das war auch total super. Bowling ist ja quasi ein Brettspiel, wenn man sich selbst als Spielfigur betrachtet.
Es ist mein Ernst: Spielen ist so viel besser als alte Geschichten erzählen oder alte Fotos in sozialen Medien posten. Probiert es aus. Ich glaube, es wird ein Trend. Trends sind ja nicht immer schlecht.
Etwas Neues: Queen Meme
Karl Lagerfeld hat sich in seinen letzten Lebensjahren bewusst als Meme neu erfunden, was ich persönlich ultranervig fand, spätestens bei der inszenierten Liebe zu Choupette war bei mir der Ofen aus. Aber was ist jetzt mit der Queen los, will sie mit ihren zwei weißen Plüschponys ein Meme werden?
Ich würde sagen: Nein, das war nicht ihre eigene Idee. Aber die Queen ist jetzt ein Meme, so läuft das halt, und damit hat sie das Game souveräner durchgespielt als Karl der Kopist.
Auf Insta hat mir eine sehr geschätzte Malerin geschrieben, »Für mich total Queen auf dem Weg ins Jenseits«. Ich finde, das trifft es sehr gut.
Als Meme soft ausfaden, sehr stilvoll à la 2022. Kolonialismus ist aber trotzdem nicht vergessen.
Queen Meme oder Meme Queen
Etwas Geborgtes: Ein Zitat
»An Stelle von Heimat / halte ich die Verwandlungen der Welt. « – Nelly Sachs
Aus dem Gedicht »In der Flucht«, zit. nach Katharina Herrmann, Dichterinnen & Denkerinnen (Öffnet in neuem Fenster), Stuttgart: Reclam 2020, 175
Etwas Uncooles: Schweinchen beim Metzger
Ja, es ist grundsätzlich uncool, dass Schweinchen beim Metzger verkauft werden, weil Schweinchen wie alle Lebewesen nicht verhackstückt werden und lieber unbehelligt leben möchten, aber aufregen möchte ich mich nicht darüber, sondern über eine andere Art der Präsenz von Schweinchen beim Metzger: diese cute-kitschigen, fröhlichen Dekoschweinchen, die im schlimmsten Fall auch noch eine Kartografie ihrer Schlachtzonen am Leib tragen. Der Anblick der fröhlichen Schweinchen hat mich schon als Kind verstört, obwohl ich damals noch sehr gern das Stück Fleischwurst von der Metzgerin entgegengenommen habe. Ich glaube, es war tatsächlich das erste Mal, dass ich etwas ästhetisch böse fand – in einem Beerdigungsinstitut stehen schließlich auch keine Nippesfiguren mit quietschfidelen verwesenden Leichen. Was soll das! Schluss damit.
[kein Bild, aus Respekt]
Stichwort ästhetisch böse: Nicht okay finde ich das Verramschen, das in vielen Instashops mit Frida Kahlo betrieben wird. Lauter schnuffelige Produkte – irgendetwas sagt mir, dass dahinter meist nette weiße Menschen stecken, die Frida Kahlo total gut finden und nicht gut genug überlegen, ob es okay ist, dass sie als nette weiße Menschen damit Geld verdienen, ein Künstlerinnen-Image zu verflachen. Eine Frida-Kahlo-Seifenschale? Was soll das! Schluss damit. Wir können gern mal Klobürsten mit dem Konterfei der Shopbetreiber*innen produzieren.
[kein Bild, aus Respekt]
Wenn wir schon bei Warenkritik sind: Auf folgendem Bild ist nicht etwa eine Gesichtsmaske zu sehen und auch keine Modelliermassen für Schlümpfe. Es handelt sich um supergesundes Essen, und eine Portion kostet nur 31,20 € geteilt durch 8. Bestimmt optimiert mich der ominöse blaue Brei und ich habe mehr Zeit und bin länger satt und fit, um dem Kapitalismus zu dienen. Ich glaube, ich nehme rasch eine Portion, bevor ich losziehe und das Internet anzünde.
Vorher aber gehe ich noch zu einem Event:
Malen. In Bars. Mit Menschen!
Ich bin unendlich froh, diese Anzeige entdeckt zu haben, weil ich jahrelang glaubte, mir eine Begebenheit vor ein paar Jahren nur eingebildet zu haben: Ich war im Wedding unterwegs und kam im Dunkeln an einem neuen Café vorbei. Drinnen saßen lauter Menschen mit Man Buns und Nicht Man Buns, alle hatten kleine Leinwände vor sich, und alle malten Audrey Hepburn. (Dieses Bild, was man auch bei Ikea kaufen kann.) Es war eine vollkommen unreale Szene, so als wäre man plötzlich, ohne etwas Böses getan zu haben, in GZSZ aufgewacht. Wichtig: Ich mache mich nicht über Menschen lustig, die ihr ganzes Leben vor Screens verbracht haben und jetzt mal mit den Händen malen wollen. Das finde ich sogar lieb. Meine Häme gilt der grotesken Lifestyle-Vermarktung von so einem Erlebnis. Das ist so, als hätte ich oben nicht den Text über Brettspiele geschrieben und euch zum Nachmachen ermuntert, sondern ein megalomanes Startup gegründet und auf Insta Werbung geschaltet:
Malen. In Bars. Mit Menschen!
Morgen. Erfinde. Ich das Rad.
Übermorgen. Spiele ich. Mit euch.
Ich werde jetzt häufiger Warenkritik machen, weil ich finde, dass manche Warenangebote einfach die beste Comedy sind. Es wird Einkaufsbummel mit FrauFrohmann heißen, angelehnt an eine Rubrik in den Reader's Digest Monatsheften, die mein Opa in den 1970ern abonniert hatte, da hieß es Einkaufsbummel mit Angelika, und ich habe es extrem geliebt.
Rubrikloses
#PerfectFavMatch
Wie kontextabhängig Zeichen sind, sieht man auch daran, dass aktuell alle, die an unserem Garten vorbeigehen oder darin herumspazieren, denken, wir hätten eine Solifahne für die Ukraine hängen, dabei ist es nur die farblich am wenigsten in den Garten passende und deshalb zuletzt benutzte von vier Hängematten, die wir vor zehn Jahren von einer langen Reise mitbrachten. Natürlich ist sie jetzt trotzdem ein Solizeichen, aber eben so ein ziemlich billiges, für das man keinen Finger rühren muss. (<<<deep)
Wenn die Magnolie noch mal kurz vor dem Blühen Frost abbekommen hat, ist es meist ziemlich vorbei mit der Beauty, weil dann braune Schlieren die äußeren Blütenblättern verhunzen. Aber irgendwie hat sie es nun doch hinbekommen, zwar ein bisschen spät und ein bisschen weniger, aber doch sehr schön zu blühen. Und daran nehme ich mir jetzt ein Beispiel und gehe nicht selbstverständlich davon aus, dass meine Hoffnung in nächster Zeit in jedem Fall braune Schlieren hat.
Das Allerschlimmste ist aber, wenn die Magnolie bereits in voller Pracht blüht und es dann stark regnet. Das ist schlimmster Garten-Splatter. Hauchzarte rosaweiße Blätter verwandeln sich in braunen Glibber. – Ein passendes Bild, um die Veränderung meines Twittergefühls in den letzten zehn Jahren zu beschreiben.
Was ich gut finde – ich ordne es in meine breite Begeisterung für virtuelle Styles ein – sind Haarflechtetutorials. Ich sehe mir ganz oft eines an und mache dann exakt niemals eine der Frisuren nach.
Guerlica
Zurück zur Geschichte, zu den Schichtenden, wir sehen uns nicht erst nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.
XOXO, FrauFrohmann
Werbung Seht mal beim Frohmann Verlag (Öffnet in neuem Fenster) vorbei und kauft Bücher, E-Books, PGExplaining-Postkartensets (Öffnet in neuem Fenster), bei Letzteren gebe ich dauerhaft drei Euro pro Set an Mission Lifeline (Öffnet in neuem Fenster) weiter. Der Versand innerhalb von Deutschland ist kostenlos.
Besucht die PGExplaining-Boutique bei Supergeek und werdet mit Hoodies oder T-Shirts (Öffnet in neuem Fenster) lebende ästhetische Intervention im öffentlichen Raum.
Empfehlt #NewFrohmanntic bitte weiter, postet Links besonders gemochter Folgen in sozialen Medien. Falls ihr diese Folge teilen möchtet, hier zum Kopieren der Link:
https://steadyhq.com/de/newfrohmanntic/posts (Öffnet in neuem Fenster)