Folge 45
Vorweg
Wenn ihr heute keine Lust habt, New Frohmanntic zu lesen, weil alles so schlimm ist und sich nichts richtig anfühlt, tut es einfach nicht.
Etwas Altes: Über den Tod hinaus wohltätig
Ich habe schon häufiger von dem alten Baum in unserem Garten erzählt, der über hundert Jahre alt war und nach einem Sturm irgendwann denkbar unzerstörerisch umkippte. (Lieb.) Der tote Baum, eine Pseudoweide, liegt seither in der Mitte des Gartens und rottet vor sich hin, im Frühling schlagen kleine Fuchsis im oben offenen Stamm disneytauglich Purzelbäume, und im Tiefgeschoss wohnt Kröti.
Jetzt dürfte die letzte Saison des Stumpfs gekommen sein, immer mehr Stücke und Brocken lösen sich. Gleichzeitig ist der Garten jetzt schon völlig ausgetrocknet. [Panik-Emoji] Deshalb habe ich heute mit Stücken von der Weide mehrere Beete im Garten gemulcht. (Früher hat mich Mulchen genervt, aber dank Klimakrise bleibt mir nichts anderes übrig, denn in Berlin ist Wasser dreist teuer.) Damit ist der tote Baum über seinen Tod hinaus wohltätig. Sein aus einem Zweiglein gemachtes Kind steht einen halben Meter von seinem alten Platz entfernt, ist selbst mittlerweile gute drei Meter hoch, blickt auf das größte gemulchte Beet und favt das. (Zumindest in meinem Kopf.)
Mich hat diese Vorstellung heute sehr gerührt, ich hoffe, euch tut etwas ungeschwurbelte Nature Wholeness auch gut.
Etwas Neues: »Blumen anstarren«-Anfängerin
Das Konzept »Blumen (oder andere Pflanzen) anstarren«, um nicht endgültig zu verzweifeln, findet immer mehr Anhänger*innen. Ich habe, weil mir Chatten nicht so liegt, nur zwei über rein Praktisches hinausgehende Chatgruppen, eine ist die Animal-Crossing-Spielgruppe, die in Liebe zusammenhält, obwohl gerade wenig gespielt wird, die andere dreht sich ums Gärtnern oder besser gesagt ums virtuelle Abhängen miteinander im denkbar angenehmen Themenrahmen. In der Gartengruppe sind wir nur zu dritt, und wir sind gleich alt, was – ein ungesuchter Nebeneffekt – seltsam wohltuend ist, weil wir alle drei sonst sehr viel mit ganz unterschiedlich alten Menschen befreundet sind. Beim digitalen Pflanzen-Anstarren gönnen wir uns jetzt, leicht exzentrische, schwer abgeklärte, fortgeschritten mittelalte Ladys zu sein, die sich gegenseitig absolut gar nichts erklären müssen.
Meine aktuell größe »Blumen anstarren«-Freude ist aber in Gestalt einer jungen Person aufgetaucht. Die Freundin meines einen Kindes ist relativ viel bei uns, und sie ist instantan Teil der Bewegung geworden. Neulich hatte sie eine Plastikschüssel mit einer blauen Primel bei sich: »Ich wollte in meinem Zimmer etwas haben, das blüht.«
Ich war ein paar Jahre älter, als es bei mir mit »Blumen anstarren« losging, aber weil ich ja heute weiß, was noch alles auf sie zukommt und dass es ohne »Blumen anstarren« nicht auszuhalten ist, habe ich mich noch nie so über den Anblick einer Primel gefreut.
Nachgedanke: Letztlich sind beide Neigungs-Chatgruppen »Blumen anstarren«-Sphären, denn auch in Animal Crossing starre ich viel auf Blumen. Gut so, denn es gibt wenig, was besser hilft, ohne gleichzeitig wieder neuen Schaden anzurichten.
Lasst Blumen sprechen ist Patriarchat. Blumen anstarren macht bereit für die Revolution. Oder erleichtert zumindest das Klarkommen, wenn sich einfach nichts ändert. Macht BA, aber an der Hexen-Uni.
Etwas Geborgtes: Ein Zitat
»Lass liegen, Kinder lesen nicht mehr.« – Person im Großelternalter angesichts meiner Bücher-Mitnehmkiste vor dem Haus zu ihrer Begleitung
Etwas Uncooles: Neue Formate, neue Überforderungen
Es ist okay, Newsletter nicht zu lesen. Einzelne nicht, viele nicht oder auch gar keine. Bereits abonnierte mal nicht oder auch niemals. Dein Leben, deine Mediennutzung. Newsletter sind für dich da, nicht du für sie.
Auch okay ist, Zeitungen, Magazine, Blogs, E-Books, Bücher nicht zu lesen, Filme, Serien nicht anzusehen, Musikstücke, Songs und Tracks nicht anzuhören, Theateraufführungen, Performances, Ausstellungen, Lesungen, Konzerte nicht zu besuchen. Auch trotz der Pandemie, auch nach der Pandemie. Medien sind für dich da, nicht du für sie.
Sei du für andere Menschen da, das auch gern ab und zu mal entgegen der eigenen Behaglichkeit. Sei für die Demokratie da und geh für Menschenrechte auf die Straße, das auch gern ab und zu mal entgegen der eigenen Behaglichkeit. Du hast ja jetzt mehr Ressourcen für Notwendiges frei, weil du nicht mehr unnötig von in deinem Gesichtsfeld aufpoppenden Medienangeboten stressen lässt.
(Und wenn dich deine selbst erstellten, ausufernden, chaotischen Play-, Watch-, Leselisten stressen: Lösch sie. Sie sind für dich da, nicht du für sie.)
#UmsehenLernen
Rubrikloses
Auf Insta Foto mit Caption »Birthday« gesehen, auf dem Foto die Hände von vier Personen, alle mit je einem spektakulären Ring an jeder Hand. Ich so innerlich: Wow, was ist das für eine tolle Familie onder Freund*innen-Ansammlung. Dann sehe ich: Es ist der Account einer Juwelierin, der ich folge.
onder = Kurzform für und/oder, eingeführt in NF44
Beautytalk: In allem ist jetzt Hyaloren, wann kommen Hyalorenbrötchen. Anschlussgedanke: Warum hypen Menschen plötzlich wieder Collagen, ich habe Schlachtabfälle weder gern im Kaffee noch im Gesicht. Anschlussgedanke: Ob Botoxen jetzt wegen Putin unschick wird, na ja, gibt ja noch Filler, die sind Maskus bestimmt zu verweichlichend. Anschlussgedanke: Botox ist wie Koks, Filler sind wie Ecstasy. Anschlussgedanke: Gut, dass ich keine Popliteratin bin.
Da ich die Möglichkeit habe, Menschen im betreffenden Alter aus der Nähe zu beobachten, kann ich sagen: Ich würde nicht gern von gerade volljährigen Menschen gepflegt werden, die unfreiwillig ein Soziales Jahr machen: Wenn man überhaupt ein verpflichtendes Soziales Jahr und Pflege zusammendenken möchte, würde ich von Menschen gepflegt werden wollen, die das unfreiwillige Soziale Jahr bereits hinter sich gebracht, dadurch Erfahrungen mit Verantwortung, Handeln und Konsequenzen haben und sich nun freiwillig entscheiden, in der Pflege zu arbeiten. Ihnen würde ich schon zu Beginn der Ausbildung mehr zutrauen.
Ich habe seit letzter Woche keine Feedback-Mail bekommen, also schreibe ich NIE MEHR im Newsletter über die instantane Zeit, sondern nur noch über Blumen und Katzen.
Guerlica
Zurück zu den Machtspielen, den um Macht Spielenden, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.
XOXO,
FrauFrohmann
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