Folge 36
Etwas Neues: Virtual Glitter
Was mich in letzter Zeit gedanklich sehr beschäftigt, ist die Frage, an welchen Stellen virtual goods und digitale Inhalte mittlerweile das Zeug haben, Physisches, Materielles wirklich zu ersetzen, insbesondere, wenn dies ökologische Vorteile mit sich bringt. Für mich persönlich ist der Instagram-Account glitter_pile (Öffnet in neuem Fenster) so wohlig aufregend wie früher für Grand-Tour-Reisende ein Live-Vulkanausbruch gewesen sein muss, ich drehe fast durch, so erhebend finde ich manche dieser Filmchen, kann es wirklich als Weiterwerden des Brustkorbs spüren: Glitzerglück. (Sie soll bitte nur das mit den Totenköpfen seinlassen, das verdirbt alles. Meine Darkness habe ich gern glitzerfrei.)
Zurück zum gelungenen Glitzer: Konkret heißt das für mich, dass ich die Fingernägel zukünftig von Böseböseglitter lasse, mir Biozeug besorge und mir die tägliche Dosis Glitzer auf Instagram abholen gehe. Nun hat ja nicht jede*r wie ich zu Recht in der Schule den Spitznamen Glitter Chris bekommen und als Lebensmotto »Ein bisschen Gold und Silber, ein bisschen Glitzer Glitzer«, nur ohne Silber, aber ich gehe davon aus, dass man auch mit anderen Privat-Erhabenheiten im großen, weiten Internet fündig werden kann. Ich wünsche es allen.
Etwas Altes: Kleiner Aberglaube
Ich bin überhaupt nicht abergläubig, sage ich gern, was aber nicht stimmt, ich bin nur relativ wenig abergläubig, klopfe nicht auf Holz, gehe angstfrei unter Leitern durch und freue mich über den Anblick schwarzer Katzen, egal, ob sie von rechts oder links kommen. Von rechts Kommende stressen mich nur bei meiner eigenen Spezies, von links Kommende auch, die aber nicht grundsätzlich, sondern nur, wenn sie überhebliche sexistische und/oder rassistische Personen sind. Mein relativer Aberglaube umfasst zwei Bereiche: einmal fühle ich mich unbehaglich, wenn ich Fotos von lebenden nahen Menschen wegwerfe, ich mache es aber, weil ich ja weiß, dass es irrational ist. Der andere Aberglaube ist, dass ich niemals laut »Gerade läuft es sehr gut.« ausspreche, weil ich insgeheim davon überzeugt bin, dass dann instan etwas Unangenehmes bis Schlimmes passsiert. Das Problem ist, mit dem Nichtaussprechen ist es nicht getan, es passiert auch, wenn ich es nur denke. Schusterin, bleib bei deinen Leisten, FrauFrohmann, bleib bei deiner Überstressung. Einige Beispiele aus den letzten 15 Jahren.
Ich zu mir: Gerade läuft es sehr gut. – Anruf aus dem Kindergarten. »Nicht aufregen, wir haben den Notarzt gerufen, [Name Kind] ist gegen eine Betonwand gelaufen.
Ich zu mir: Gerade läuft es sehr gut. – Anruf aus der Schule. »Nicht aufregen, [Name Kind] ist kopfüber von einem hohen Baum gefallen, zum Glück aber kurz vor dem Boden mit einem Stiefel hängengeblieben.«
Ich zu mir: Gerade läuft es sehr gut. – Brief von der Schule. Tadel.
Ich zu mir: Gerade läuft es sehr gut. – Brief von der Schule. Schulkonferenz aka Megatadel
Ich zu mir: Gerade läuft es sehr gut. – Ich am nächsten Morgen um 5:30 Uhr: Taschenlampenlicht in meinem Gesicht. Polizeiliche Hausdurchsuchung.
Ich zu mir: Gerade läuft es sehr gut. – Steuerbescheid über hohe Nachzahlung.
Vor drei Tagen überlegte ich, im Newsletter darüber zu schreiben, wie krass es ist, was ich geschafft bekomme, seit ich – exklusive Gedächtnisprobleme – wieder gesund bin und kaum noch Care machen muss. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, und mein Plan, bis zum Jahresende wirklich alles in Sachen Verlag in Ordnung gebracht zu haben, geht, glaube ich, wirklich auf. Nein, auf keinen Fall, schoss es mir durch den Kopf, den Teufel werde ich tun, denn ich weiß ja schon, wie es dann weitergeht. Es war aber leider schon zu spät, und was jetzt Schlimmes los ist, habe ich vorhin auf Twitter geschrieben (Öffnet in neuem Fenster).
Ich möchte deshalb die Kategorie des empirischen Aberglaubens einführen. Es ist ein kleiner Aberglaube, und kleine Formen sind bekanntlich besonders großartig.
Gerade läuft es sehr schlecht. Gerade läuft es sehr schlecht. Gerade läuft es sehr schlecht. Gerade läuft es sehr schlecht. Gerade läuft es sehr schlecht. Gerade läuft es sehr schlecht. Gerade läuft es sehr schlecht. Gerade läuft es sehr schlecht. Gerade läuft es sehr schlecht. Gerade läuft es sehr schlecht. Gerade läuft es sehr schlecht. Gerade läuft es sehr schlecht.
Etwas Geborgtes: Gespräch mit einer Ärztin
Wegen meiner kranken Mutter habe ich mit deren Ärztin gesprochen und die hat mich auf eine wirklich gute Weise in alle meiner Verzweiflung und Überforderung, was jetzt zu tun ist, wieder auf die Spur gebracht. Im Prinzip hat sie gesagt: Wenn Ihre Mutter sich entscheidet, bestimmte, vielleicht vernünftige Schritte, nicht zu unternehmen, müssen Sie das respektieren. Niemand sollte für andere entscheiden, was gut für sie ist. Es ist schwer, aber man muss vermeiden, übergriffig zu sein. Alten Menschen die Würde lassen, ihre zunehmende Fragilität annehmen. Spiegeln Sie lieber ihre Bedürfnisse, bauen Sie Nähe auf, das geht nur noch jetzt, vielleicht noch ein paar Jahre. Später geht es nicht mehr. Und wir haben über diese kaputte Nachkriegsgeneration gesprochen. Über die Frauen, denen man vermittelt hat: Du zählst nicht, sei unsichtbar, du musst nur funktionieren.
I got it. Habe einige Säcke Kröten geschluckt und bin jetzt einfach da, lieb und sanft, nerve nicht mit guten Absichten rum. Danke, Ärztin, du bist gut in deinem Job.
Nicht dankbar bin ich dafür, dass wir die für unsere Mutter-Tochter-Generation normalen Konflikte à la Ich so »Zieh zu mir, lass dir helfen, oder geh ins betreute Wohnen, ich kann von ferne nichts tun, es ist zu gefährlich allein«, sie so »nein nein nein, solange meine Katze« unter Coronabedingungen erleben.
Etwas Uncooles: Divinatorischer Insta-Algorithmus
Ich bis vor einem Jahr: Ach, ich habe gar keine Freude mehr an Mode, Lifestyle und Konsum, habe alles, was ich brauche, kaufe nur noch nach, was kaputtgeht.
Ich jetzt auf Instagram: Also heute würde ich gern goldene und lilametallic Stiefel des gleichen Modells, transparente Ohrringe in Regenschirmform, einen rosa Grand-Tour-Ring, eine Maus-, eine Meisen- und eine Igelbrosche sowie eine hellgelbe, eine hellblaue und eine rosa Glasschale kaufen – wie bitte, woher weiß Insta jetzt schon wieder, dass ich mein Arbeitszimmer mit hellgelben, hellblauen und hellrosa Dingen einrichte, figurative Broschen liebe, einen Fuß im 18. Jahrhundert habe und glitzer glitzer etc.
Meine Impulskontrolle ist dank der Präraffaelitischen Girls glücklicherweise gut trainiert, aber, ey, warum gibt es auf einmal so viel schönes Zeug. Vielleicht wollte ich vorher nur länger nichts kaufen, weil ein paar Jahre lang alle Klamotten und Möbel so eichenerdig-unglamourös aussahen wie im schlechteren Department der 1970er und -80er. Ist mir auch egal, mein neues Ding ist es, schöne Sachen überwiegend als Bild zu genießen und nicht materiell zu erwerben. Womit wir wieder beim Anfang dieser Folge wären.
Rubrikloses
Mein Mann muss mir wegen der Care-Notlage gerade noch mehr als sonst helfen, deshalb mache ich jetzt Werbung für seine Firma: Wenn ihr für eure Arbeit klischeearme Stockfotos braucht und noch Budget habt, gebt es bitte bei Photocase (Öffnet in neuem Fenster) aus. Falls nicht, auch gern im Frohmann-Shop (Öffnet in neuem Fenster), dann kaufe ich ihm 2031 endlich seine Yacht.
Eine kurze, überaus schöne Empfehlung des Hexenbuchs (Öffnet in neuem Fenster) gab es durch Miriam Zeh / Deutschlandfunk Kultur.
Ich habe ja schon vor längerer Zeit den ziemlich großen FrauFrohmann-Account auf Twitter aufgegeben, also unberührt liegenlassen, jetzt habe ich auch auf Insta einen neue Extra-Account für den Verlag angelegt. Gründe:
1. Sowohl der Verlag auch meine Autorinnenkarriere entwickeln sich gerade spürbar weiter, es ist jetzt besser für beide, sie etwas auseinanderzuhalten. Vorher war es ja so, dass ich, wenn überhaupt, Presse für den Verlag meist nur rund um meine Person bzw. Themen bekommen habe, das ändert sich jetzt endlich etwas.
2. Über dieses Mehr an Presseaufmerksamkeit kommen ganz neue Leute auf den Verlag, die sicherlich Probleme haben würden, meinen überpersönlichen Ton und Stil richtig einzuordnen, das könnte Titeln und Autor*innen schaden, was ich vermeiden möchte.
3. Verlagsjubiläumsjahr 2022, Unmengen von Verlags-Content
4. Sehnsucht, im FrauFrohmann-Account auf Instagram wieder mehr Nurschönes und anders gut Sinnloses posten zu können
Nachdem Christina Dongowski (Öffnet in neuem Fenster) meine halbe Twitter-TL in Wombo-Appstase versetzt hat, musste ich es natürlich auch tun, und ich finde, die Girls sind absolut perfekt getroffen. AI versteht mich in der Regel eh besser als meine Branche.
Zurück zur natürlichen Intelligenz zu den als natürlich intelligent Gesetzten. Wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.
XOXO,
Frau Frohmann
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