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Russland wird den Krieg gewinnen und die NATO angreifen – Teil 1

Ukrainische Soldaten in Trümmern

Wurden Sie durch die Überschrift angelockt? Weil Sie eine diffuse Angst haben und sich Antworten erhoffen? Weil selbst das gewisse Unglück besser erscheint als die Ungewissheit?
Oder gehören Sie gar zu denjenigen, die glauben, den militärischen Durchblick zu haben? (Sie haben ihn nicht, versprochen.)
Das trifft sich gut. Genau mit Ihnen wollte ich reden.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine, der für Viele wohl völlig unerwartet kam, habe ich begonnen, Hintergründe zum Krieg, zur Politik und zu den Medien zu erklären. Denn zufälligerweise war ich in einem früheren Leben Nachrichtendienstler und habe dabei geholfen, die russische Marine „auszuspionieren“. (Kurz-Vita hier… (Öffnet in neuem Fenster))
Und ich stoße an meine Grenzen. Es wird nicht besser, es wird immer schlimmer.

Denn dieses Projekt U.M. (Öffnet in neuem Fenster) lebt auch durch auch die Interaktion (Öffnet in neuem Fenster). Aber es werden immer mehr Dinge in den Äther geblasen, die so dusselig sind, dass man nicht dagegen ankommt, vor allem auf X und auf Telegram. Und es werden Fragen gestellt, von denen ich nie gedacht hätte, dass jemals jemand auf die Idee käme, sie zu stellen.

Das liegt sicher daran, dass ich ein völlig anderes Weltbild habe, als die meisten Menschen. Was mir aber auch erst so langsam klar wird. Sie wissen schon, diejenigen, die dachten, der Kalte Krieg sei für immer Vergangenheit und wir bräuchten keine NATO und keine Bundeswehr mehr. Diejenigen, die bis heute glauben, Frieden sei nur mit Verhandlungen zu erreichen; naiv ausblendend was passiert, wenn eine Seite nicht verhandeln will.

Im Folgenden werde ich einige Aussagen, Behauptungen und Fragen wiedergeben und eine Perspektive anbieten. So, wie sie mir in den vergangenen Wochen über den Bildschirm gelaufen sind.
Nicht „die Wahrheit“, sondern nur einige Gedanken, mit denen Sie dann machen können, was Sie wollen. Es hilft vielleicht mehr mir als Ihnen, zu sortieren.

Wird Russland die NATO angreifen?

Russland will schon lange zu Europa gehören.
Aus dem Grund hatte Zar Peter (Pjotr Romanow) St. Petersburg Anfang des 18. Jahrhunderts mit 40.000 russischen Sklaven aus dem Boden gestampft. Um einen Hafen mit Binnenanschluss und eine repräsentative Hauptstadt nach europäischen Vorbildern zu haben. Auch in der russischen Elite wurde gerne französisch gesprochen.
Wirklich funktioniert hat das nie. Während in Europa die industrielle Revolution tobte, geriet der Agrarstaat Russland immer weiter ins Hintertreffen.

St.Petersburg

Die Sowjetzeit drehte das ganze um. Russland besann sich auf seine slawischen Wurzeln und die Sowjetunion mit ihren meist durch Zwang angegliederten Satelliten wurde zur zweiten Weltmacht.
Doch sie zerfiel. Aus den gleichen Gründen, aus denen alle Imperien der Weltgeschichte zerfallen sind.

Dann kam der starke Mann Putin - Russland mag vermeintlich starke Männer – und kehrte zur Zarenzeit zurück. Seit über 20 Jahren wird Russland von der Partei Einiges Russland regiert. (Jedinaja Rossija, Единая Россия) Die rechts von der AfD steht. Nationalismus, Konservativismus und Etatistmus.
Letzteres bedeutet, dass der Staat auch die Wirtschaft regelt, eigentlich alles regelt. (franz.: État = Staat)
Das sehen wir auch daran, dass inzwischen fast alle Rüstungsbetriebe Russlands wieder verstaatlicht sind, die Medien in der Hand des Staates sind und beispielsweise zu Beginn des Ukrainekrieges selbst russischen Politikern in den Verwaltungsbezirken die Pässe abgenommen wurden, damit sie nicht fliehen konnten.
Etatistmus ist ein Gegenspieler der freien Marktwirtschaft und der Idee, dass der Staat nur die Bande vorgibt, innerhalb derer sich die Gesellschaft frei entwickeln kann.

Zudem wurde die panslawistische Idee in den letzten zwanzig Jahren neu aufgelegt. Diesmal nicht unter dem Banner des Kommunismus, sondern unter dem Banner eines Großrussischen Reiches. In dem alle slawischen Völker vereint leben.

Damit ist Russland wieder in die Zarenzeit zurückgefallen, in der der vergleichsweise reiche, europäische Teil Russlands das Leitmotiv ist. Und der weite Rest bis zum Pazifik und die Satelliten lediglich ein kaum besiedelter oder zumindest bettelarmer Zuarbeiter für St. Petersburg und Moskau.
Ein Viertel aller Russen verfügen über keinen Anschluss an die Kanalisation.

Der Eindruck, Russland sei nach dem Zerfall der Sowjetunion ein demokratischer Staat nach europäischem Vorbild geworden, ist schlicht falsch.
Über Jahre hinweg, etwa bis 2008, hat Russland versucht, sich bei Europa anzubiedern. Das blieb erfolglos. Denn Europas Interesse ist immer wirtschaftlich geblieben. Und da hatte Russland nie etwas zu bieten. Man hat dem Regime gerne die Bodenschätze abgekauft, an den Waffen, dem zweiten Exportschlager, hatte Europa jedoch kein Interesse. Und selbst wenn: Kalaschnikows sind in China billiger. Und Russland hatte für europäisches Zeug kein Geld, bis auf wenige Oligarchen.

Und das hat Russland nach dem Zerfall ein weiteres Mal tief gekränkt. Russland ist ein historisch zutiefst gekränktes Land, das sich nach Anerkennung sehnt.
Und so wurde vom Regime das Bild der zwei Wertesysteme gemalt. Der dekadente, geldgeile und durch Demokratie schwache Westen auf der einen und der russische Staat auf der anderen Seite, der arm aber sexy und von starker Hand geführt dem Westen widersteht.

Würde Russland die NATO angreifen und es würde den Kürzeren ziehen, wäre dieses Narrativ zerplatzt. Es sind zwei Wertesysteme, die sich gegenüberstehen. Und der Nachweis, dass das eine System dem anderen doch überlegen ist, würde das russische Regime nicht überleben.

Was Putin tut, ist ein Drahtseilakt.
Zum einen muss er dem Westen drohen. Um im Inneren als starker Mann zu gelten und die Mär vom mächtigen Russland aufrecht zu halten. Das kann man immer wieder deutlich erkennen, wenn man sich diesen Hintergrund einmal vor Augen führt.

Aktuell berichten die Medien beispielsweise, Putin habe gedroht, auch NATO-Flugplätze anzugreifen, wenn F-16 Kampfjets geliefert werden. Gleichzeitig betonte er, das Russland nicht vorhabe, ein NATO-Land anzugreifen. Das steht aber nur im Fließtext.
Ebenso wie die Erklärung, dass Putin lediglich damit droht NATO-Flugplätze anzugreifen, wenn ukrainische F-16 auf ihnen landen oder starten.
Das ist eine hole Phrase, denn das wird selbstverständlich nicht passieren. Das entsprechende Land würde damit völkerrechtlich zu Recht angegriffen werden, weshalb man das logischerweise vermeiden wird.
Eben das ist der Drahtseilakt: Auf der einen Seite eine leere Drohung für das Innere und um die Dummen zu verunsichern, auf der anderen Seite die Beschwichtigung Richtung NATO.
Und nach diesem Muster sind alle Drohungen abgelaufen, die Putin bisher geäußert hat. Alle.

Was andere Politiker und Militärs aus der zweiten Reihe poltern, ist völlig unerheblich. Denn nach dem russischen Verständnis ist Putin der Zar und die Untergebenen haben lediglich die Funktion, seinen unfehlbaren Willen umzusetzen. Versagen sie dabei, ob tatsächlich oder als gesuchter Grund, werden sie abgesetzt, verurteilt oder fallen aus dem Fenster (Öffnet in neuem Fenster).

Igor Girkin, Deckname Strelkow, war Oberst des Geheimdienstes FSB. Er war der Anführer, als im August 2014 52 Russen in die Ukraine eindrangen, um im Donbass einen Bürgerkrieg anzuzetteln. Nachdem er nach eigener Aussage nicht einmal 1000 Mann Unterstützung fand, trat er offen auf. Er wurde von Denis Puschilin, dem Anführer der selbsternannten „Volksrepublik Donezk“ zum Militärchef ernannt.

Ab da kriselte es. Denn Strelkow alias Girkin erwartete, dass Russland auch den Donbass annektiert und offizielle Truppen schickte. Doch das war dem Regime in Moskau offenbar noch zu heikel. Man war gerade erst mit der Annektion der Krim durchgekommen, hatte dadurch den Militärhafen Sewastopol gesichert, und wollte den Westen wohl nicht zu sehr reizen.

Und so begann Girkin, sich öffentlich – vor allem auf Telegram – zu äußern. Immer schärfer gegen die Führungsriege in Moskau. Gemäß dem Zaren-Bild vermied er es jedoch, Putin direkt anzugreifen. Sein Feindbild war vor allem Militärchef Schoigu.
Nachdem er dann doch auch etwas gegen Putin sagte, wurde er im Januar 2024 zu vier Jahren Straflager verurteilt. Es bleibt abzuwarten, ob er das überlebt. Gulag bleibt Gulag.

Igor Girkin bei der üblichen Zurschaustellung vor Gericht

So funktioniert das Regime. Der Selbstschutz geht über alles. Und er richtet sich zur Not auch gegen Menschen, die auf seiner Seite stehen.

Könnte Russland gegen die NATO gewinnen?

Wie bereits erwähnt, ist Russland wirtschaftlich und demografisch klein.
Dennoch hat sich in Europa, vor allem in Deutschland, offenbar die Vorstellung festgesetzt, Russland sei nach der Sowjetzeit ein Riese geblieben.
Doch es ist auf keiner Ebene mit der Sowjetunion zu vergleichen. Es ist ein Schwellenland, kurz vor dem Abstieg zum Entwicklungsland. Und in diesem riesigen Land leben weniger Menschen, als in Deutschland und Frankreich zusammen.
Das Bruttoinlandsprodukt Russland beträgt etwas mehr als die Hälfte des deutschen.

So makaber das ist, aber auch der Ukrainekrieg ist eher klein.
Die Roten Kmer haben in Kambodscha weit mehr Menschen getötet, als bisher in der Ukraine gefallen sind. In Vietnam sind mehr Zivilisten gestorben und in China sitzen derzeit mehr Uiguren in Umerziehungslagern.
Es kommt uns alles so groß vor, weil Systeme aufeinanderprallen und die Medien sich überschlagen. Würde es in Fernost passieren, wüssten wir kaum etwas davon.

Unterstützt wird die sehr naive Einschätzung von der Vorstellung, ein Krieg würde so ablaufen, dass die beiden Militärs aufeinandergehetzt werden, und wenn bei einem nix mehr übrig ist, hat es verloren.
Aber Militär, Kriegs- und Verteidigungswille sind lebende, sich entwickelnde Geschöpfe. Sie verändern sich, passen sich an.
Dauert ein Krieg länger, und jeder größere Krieg dauert Jahre, kommt es nicht darauf an, was ein Staat am Anfang hat. Sondern was er nachliefern kann, was während des Krieges unternommen wird.

Beispiel: Es wurden alte und eigentlich ausgemusterte Gepard Flugabwehrpanzer an die Ukraine gegeben. Diese Art der Flugabwehr fand in Deutschland eigentlich gar nicht mehr statt. Durch die Erfahrungen aus der Ukraine - die Gepard liefern gegen Drohnen dort richtig ab - hat Deutschland inzwischen die neuste Generation dieser Panzer bei Rheinmetall gekauft. Das bedeutet dynamische Anpassung.

Grafik von Rheinmetall: Skyranger

Und deshalb befinden wir uns längst im Krieg mit Russland. Nicht militärisch. Aber in einem Wirtschaft- und einem Informationskrieg. Und aus russischer Sicht in einem Systemkrieg.
Der Kalte Krieg 2.0 ist längst Realität. Wie er sich gestaltet liegt nur daran, wie Russland aus dem Ukrainekrieg hervorgeht.

Der so genannte Westen besteht nicht nur aus dem Westen. Er besteht aus Bündnissen. Beispielsweise gehört Australien mit dazu (ANZUS und AUKUS), ebenso Japan und Südkorea. Übrigens war auch Finnland immer Teil dieser Allianzen, ebenso wie der Österreicher General Robert Brieger derzeit Chef des Verteidigungsausschusses der EU ist, Europas oberster Soldat, obwohl Österreich kein Mitglied der NATO ist. Wobei das europäische Verteidigungsbündnis, das viel strenger als die NATO ist, medial keine Aufmerksamkeit erhält.
Es ist ein Netz, kein statischer Block.

General Brieger

Die NATO ist Russland aus dem Stand militärisch etwa um das 18fache überlegen. Die USA machen davon die Hälfte aus. Was bedeutet, dass Europa auch ohne die USA Russland mindestens 9fach überlegen ist. Und was auch etwas darüber aussagt, was kommen könnte, wenn Trump Präsident wird und Hilfen versagt. Aus der NATO aussteigen kann Trump nicht, das ist durch ein inzwischen verabschiedetes Gesetz unmöglich geworden.

Doch diese Vorstellung eines Schachspiels entspricht dem kurzgedachten Modell. Es vernachlässigt das, was wirtschaftlich dahintersteht. Man müsste ein Schachspiel denken, in dem Figuren gemäß wirtschaftlichem Hintergrund nachgeliefert werden könnten. Und eine einfache aber plausible Milchmädchenrechnung besagt, dass „der Westen“ Russland um das mindestens 64fache überlegen ist.
Und das weiß auch Putin. Schon im Februar 2022, kurz vor dem Überfall auf die Ukraine, sagte er in einer Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Macron „Natürlich sind das Potential der NATO und das Russlands nicht zu vergleichen. Wir verstehen das.“
Und ihm fiel nichts Besseres ein, als erneut damit aufzuwarten, dass Russland ja eine Atommacht wäre. Aber das sind viele andere eben auch, unter anderem England und Frankreich.

Was wir wieder und wieder in den Medien sehen, sind vermeintliche Schwächen der NATO. Uneinigkeit, fehlende Rüstung, angeblich kaputte Flugzeuge.
Was wir selten wahrnehmen ist, was die NATO tatsächlich tut. Derzeit quasi täglich durch das Begleiten von russischen Fliegern im baltischen Raum. (Alleine 2023 über 300 Mal, Foto) Es ist ein Bias, eine durch Medien verursachte und durch Social Media und durch russische Propaganda geförderte Verzerrung.

NATO Kampfjets begleiten einen russischen Aufklärer

Um das zu verstehen, müsste man im Detail in die jeweilige Frage gehen. Doch das ist unmöglich, denn dann müsste man jedem Unterricht in Strategie geben und an verschiedenen Waffensystemen schulen. Ich kann nur versprechen, dass wenn jemand diese Perspektive hat, er die Frage ob Russland auch nur eine Chance hätte, absurd finden muss.

Ein Faktor dafür ist die russische Doktrin von Masse statt Klasse. Die ich bereits mehrfach versucht habe zu erklären (Öffnet in neuem Fenster). Schon Ende der 80er gab es den Spruch, dass die Sowjetunion entlang der deutsch-deutschen Grenze alle 20 Meter einen Panzer stellen könnte… Die Hälfte davon aber nach 500 Metern liegenbleiben würde.
Das mag in der Sowjetunion noch sinnvoll erschienen sein. Dreißig Jahre später und mit 144 Millionen Einwohnern aber nicht mehr. Da macht es sich auch wirtschaftlich bemerkbar, wenn man dem Arbeitsmarkt mal 300.000 Arbeitskräfte entzieht. Dennoch scheint bei dem ein oder anderen die Vorstellung zu bestehen, die russischen Ressourcen seien endlos.

Inzwischen ist eher die Frage, womit Russland überhaupt auf einer Länge angreifen soll, die sich durch den Beitritt Finnlands auf 3000 Kilometer mehr als verdoppelt hat.
Bereits Ende 2022 sagte ein russischer MilBlogger im Staatsfernsehen, dass die mystisch-legendären russischen Luftlandetruppen (deutsch: WDW, in Russland eine eigene Teilstreitkraft, blaue Barrets) um 70% zusammengeschmolzen wären.
Derzeit versucht Russland mindestens zwei mechanische Brigaden östlich der Ukraine wieder aufzubauen. Weil sie nicht mehr existent waren. Und Brigaden sind wirklich nicht groß.

Russische Luftlandetruppen bei der Parade

Am 24.01.24 sagte Generalmajor Christian Freuding in einem Interview mit der Welt am Sonntag:
80% des Territoriums sind frei, das müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen. Und 50% des Gebietes, das Russland schon geraubt hatte, wurde zurückerobert. Die modernen russischen Streitkräfte sind de facto zerstört. Die gut ausgebildeten Truppenteile existieren nicht mehr, ganze Divisionen sind vernichtet.
Freuding ist Leiter des Lagezentrums Ukraine und gehört damit zu einer Handvoll der am besten informierten Menschen in Deutschland.

Generalmajor Christian Freuding

Die Frage ist weniger, ob Russland gegen die NATO gewinnen könnte. Die Frage ist eher, warum Russland überhaupt versuchen sollte, den Riesen mit einer Gabel zu pieken.

In den folgenden Teilen werde ich u.a. auf China eingehen, auf Medienmeldungen und auf die Frage eingehen, wer denn nun wirklich Ahnung vom Krieg hat. Und natürlich, ob die Ukraine verlieren kann.

Kategorie Krieg

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