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Über das Gefängnis Vielleicht

“Wenn zwei zusammenleben, die sich nie etwas anmerken lassen, dann leben sie nie wirklich zusammen und sich auch nie wirklich auseinander, dann leben sie in einem immerwährenden Vielleicht.“

Mein Lieblingssatz aus der Kurzgeschichte „Gewitter und Bowle“, die noch dieses Jahr in meinem Band „Wild“ bei kul-ja! publishing erscheint.

Als ich ihn aufgeschrieben hatte, diesen Satz, da hörte ich erst einmal eine Weile auf mit Schreiben und dachte darüber nach.

Das sind dann diese Momente, in denen mich mein Mann so entdeckt und ich ihn daran erinnern muss, dass eine Autorin auch dann arbeitet, wenn sie aus dem Fenster blickt.

Oder auf dem Teppich herumliegt.

Oder mitten am Tag Horrorfilme schaut.

Oder Eis isst.

Alles kann entweder ein innerliches Suchen nach Sätzen oder wenigstens Recherche sein. 

Aber diesmal war es ein Sinnen über den letzten Satz, nicht den nächsten, der mich stumm machte.

Weil es so einfach ist, sich in einem Vielleicht einzurichten. Weil ein Vielleicht erst einmal nach Freiheit klingt und sich dann ganz schleichend und unbemerkt zu einem Gefängnis formt  – denn ein Vielleicht wird selten schmerzhaft genug, um es verlassen zu müssen.

Es ist weich und warm und lockt mit Möglichkeiten, die nie eintreten. Es ist nett und unbestimmt und grenzenlos.

Ein klares Ja und ein hartes Nein, beides ist gekleidet in Klarheit und scharfe Kanten, an denen man sich schneiden kann und das auch oft genug tut.

 

Ein Ja zu etwas kommt mit dem Gewicht einer Verantwortung und mit der Angst davor.

Ein Nein schließt Türen endgültig, und dass dies oft genug zusammen mit wirklich großer Angst kommt, das ist nicht erwähnenswert, denn es ist eine Angst, die wir alle kennen.

Zuerst ist es die Tür zum Kinderzimmer, durch die noch eine Spaltbreit Licht dringt, das hoffentlich alle Monster verjagt. Wir bitten, dass sie geöffnet bleibt.

Dann ist es die Tür zum Elternhaus, die manch einer auch nie so richtig schließen kann, obwohl er dachte, er hätte sie hinter sich zugeschlagen.

Und dann all die anderen Türen, die etwas beenden und uns allein im Dunkeln mit unseren Monstern zurücklassen.

Nein, wir schließen nicht gern Türen. Und oft genug bitten wir immer weiter, dass andere sie auch nicht schließen.

Wir glauben dafür, dass wir gern Ja sagen. So nebenbei im Alltag ist das auch leichter als ein Nein. Jaja, es geht mir gut, jaja, das mache ich doch gern, jaja. Weil wir glauben, das mache uns liebenswerter, was aber nicht stimmt.

Aber wenn es dann darum geht, zu etwas Ja zu sagen, das eine Türe öffnet in einen völlig neuen Raum, hinter dem ganze neue Welten liegen, dann schweigt so mancher einer lieber.

Was habe ich gezittert, als ich Ja sagte, dort, in dem gespenstisch leeren Saal, als wir die Ringe tauschten, und ich im Vorfeld achselzuckend dachte, das sei nur eine austauschbare Tradition.

Das Ja wog überraschend schwer auf meiner Zunge, und als es dann herauskam, da flog es zwar auf Schwingen aus purer Freude, aber die Federn waren aus einem bindenden Versprechen, das lautlos alte Türen schloss und neue öffnete. Endgültig.

Selten sagen wir so laut und so bewusst ein Ja. Meist passiert es nur innendrin und ohne weiße Kleider und Blumen, zum Glück, was wäre das sonst für ein Aufwand.

Obwohl wir uns ruhig hin und wieder ein Gläschen Sekt einschenken dürfen, wenn wir uns zu einem Ja trauen, auch wenn es nur ein kleines Ja ist. Mut gehört gefeiert.

Aber wir spüren es immer, wenn wir uns für ein Ja oder ein Nein entscheiden, und wir spüren die Kanten, und wenn wir im Vielleicht bleiben, dann spüren wir nichts als Watte und hören das Echo unserer eigenen Illusionen und glauben, es wäre die Wahrheit.

Ich mochte das Vielleicht noch nie.

Vielleicht ist das der Grund, warum mich viele nicht so mögen.

„Was jetzt, ja oder nein?“, kann ich mich selber ständig fragen hören, so penetrant, dass man das unmöglich mögen kann.

Ob das Mut ist, weiß ich nicht.

Vielleicht ist es auch nur die Angst vor diesem ewigen Wattefegefeuer namens Vielleicht.

 „Wenn zwei zusammenleben, die sich nie etwas anmerken lassen, dann leben sie nie wirklich zusammen und sich auch nie wirklich auseinander, dann leben sie in einem immerwährenden Vielleicht.“

Ich hörte dann aber recht schnell auf, darüber nachzudenken, und schrieb dann weiter über Sex, weil es zum Glück nicht nur eine nachdenkliche, sondern auch eine erotische Geschichte ist, und weil nichts besser ablenkt, als übers Vögeln zu schreiben, na gut, außer dem Vögeln selbst wahrscheinlich.

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Kategorie Trotzigschön

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