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In den nächsten zehn Minuten reist Du in den Nahen Osten, nach Kenia, Nigeria und in die Arktis – mit maximaler Beinfreiheit und ohne ekliges Sandwich.

Vorab ein Shoutout für eine Veranstaltung, die Dir als Treibhauspost-Leser*in gefallen könnte. Die Heinrich-Böll-Stiftung lädt zu einem kostenlosen Online-Talk zum Thema Klima-Desinformation und fossiler Lobbyismus ein. Was kann den mächtigen Interessengruppe entgegengesetzt werden? Und wie kommt die Klimabewegung mit einer positiven Vision wieder in die Offensive? Darüber sprechen Louisa Schneider (Autorin von „Grad° jetzt“) und Christian Stöcker (Autor von „Männer, die die Welt verbrennen“). Der Talk findet am 13. Dezember um 11:45 Uhr auf Zoom statt. Wenn Du dabei sein möchtest, kannst Du Dich hier kostenlos anmelden:

Volle Transparenz: Der Shoutout ist eine bezahlte Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung.

Danke an alle Steady-Mitglieder und an alle Partnerorganisationen (Öffnet in neuem Fenster), die unsere Arbeit ermöglichen. Wenn auch Du uns unterstützen möchtest, kannst Du das hier tun (Öffnet in neuem Fenster). Und hier geht’s zur kostenlosen Newsletter-Anmeldung (Öffnet in neuem Fenster).

#83 #Diplomatie #Sicherheit #Hintergrund

Malakka, Gerd und Graffiti 

Die Erderhitzung ist ein Multiplikator für bestehende Konflikte, vor allem im Globalen Süden. Höchste Zeit, dass wir Klima, Sicherheit und Frieden zusammendenken. ~ 10 Minuten Lesezeit

Warst Du schon mal in einer Situation, in der Du am liebsten beide Daumen nach oben strecken und gleichzeitig hättest kotzen können? Mir ging es so bei meiner Recherche für diese Ausgabe – als ich von vollelektrischen US-Militärfahrzeugen und solarbetriebenen Aufklärungs-Drohnen gelesen habe. 

Das klingt wie Schweinehack mit Soja-Anteil. Oder ein barrierefreier AfD-Parteitag. Irgendwo richtig und gleichzeitig abgrundtief falsch. 

Aber keine Sorge, heute geht es nicht um emissionsarme Kriegsgeräte, sondern um einen viel größeren Zusammenhang. Den zwischen Klima, Sicherheit und Frieden. Über diese Schnittstelle sollten wir dringend sprechen, denn während sie in der Klimadebatte noch völlig unterrepräsentiert ist, bestimmt sie heute schon das Leben von Millionen von Menschen.

Die Erderhitzung ist ein Multiplikator für bestehende Krisen und gesellschaftliche Konflikte. Sie ist wie Öl, das in loderndes Feuer gegossen wird – und im schlimmsten Fall ganze Brände verursachen kann.

Das deutsche Außenministerium bezeichnet die Klimakrise sogar als die größte Sicherheitsbedrohung unserer Zeit. Die Art und Weise wie das Klima Konflikte anheizt, ist dabei durchaus überraschend – wie uns ein Graffiti, ein schwurbelnder Onkel und eisige Öl-Vorräte gleich zeigen werden.

Eine Dürre für die Geschichtsbücher

Stell Dir vor, Du wärst Landwirt*in. Deine Felder sind fruchtbar, Deine Ernte reicht zumindest, um Dich und Deine Familie zu ernähren. Aber Du bist abhängig vom Regen – und der bleibt plötzlich aus.

Eine Dürre, wie Du sie noch nie zuvor erlebt hast, sucht Eure ganze Region heim. In einem einzigen Jahr verlierst Du 80 Prozent Deiner Ernte. Genau in dem Moment, wo Du ihre Hilfe am dringendsten gebraucht hättest, streicht Dir die Regierung fast alle Subventionen. 

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Dürre und Konflikt korrelieren miteinander. 🗺: Vally Koubi/​Annual Review of Political Science

Du kannst Dir keinen Dünger mehr leisten und auch keinen Treibstoff, um Deine Felder mit Pumpen zu bewässern. Als letzten Ausweg siehst Du für Dich und Deine Familie nur noch die Flucht in die Stadt. Vielleicht findest Du hier Arbeit. 

Deine Familie ist nicht die einzige, der es so ergeht. Außer Dir flüchten Hunderttausende weitere Menschen vom Land – vielleicht auch mehr, genau weiß das niemand. Chaos entsteht, die Mieten in der Stadt steigen, die Löhne sinken, da Ihr alle verzweifelt nach Arbeit sucht. Eines Tages läufst Du niedergeschlagen an einer Schule vorbei und siehst an der Wand ein Graffiti:

يسقط النظام 

Nieder mit dem Regime

15 Kinder und Jugendliche werden wegen dieses Graffitis festgenommen und misshandelt. Der Unmut, der sich längst bei vielen breit gemacht hat, kippt. Die Menschen um Dich herum nehmen all ihre Wut, ihren Hunger und ihren Frust in die Hand und gehen auf die Barrikaden. 

Es ist der Auslöser (Öffnet in neuem Fenster) des syrischen Bürgerkriegs, der bis heute rund 500.000 Menschen das Leben gekostet hat und immer noch andauert. Ungefähr eine Million Syrer*innen haben seitdem allein in Deutschland Zuflucht gefunden.

Heute wissen Forschende: Die Dürre in Syrien und den angrenzenden Staaten war menschengemacht. Durch fossile Emissionen wurde sie doppelt bis dreimal so wahrscheinlich.

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Proteste in Damaskus 2011. 📸: Flickr

Wenn Diktatoren heiß auf Klimafolgen sind

Also war die Klimakrise schuld am syrischen Bürgerkrieg? Eine Erzählung, die einleuchtet, und die Dir vielleicht auch schon begegnet ist. Aber es ist komplizierter.

Im aktuellen IPCC-Bericht (Öffnet in neuem Fenster) gibt es dazu sogar eine eigene Case-Study. Das Fazit darin lautet: Die Klimakrise war vielleicht einer von vielen Faktoren, aber ausgelöst hat sie den Bürgerkrieg eher nicht. 

Jan Selby, Professor für internationale Beziehungen an der University of Sheffield, kommt sogar zu dem Schluss (Öffnet in neuem Fenster), dass es kontraproduktiv wäre, den syrischen Bürgerkrieg vor allem durch die Klimakrise zu erklären und nicht durch verfehlte Politik. Profitiert habe von diesem Narrativ vor allem einer: Diktator und Kriegsverbrecher Bashar al-Assad. 

Er und sein Regime leugneten anfangs noch, dass die Dürre überhaupt so gravierend gewesen wäre – nur um sich anschließend hinter ihr zu verstecken. Die Dürre sei „jenseits unserer Macht“ gewesen, behauptete Assad. Und der stellvertretende Ministerpräsident Abdullah al-Dardari sagte: „Syrien hätte seine Ziele in Bezug auf Arbeitslosigkeit, Armut und Wachstum erreichen können, wenn es die Dürre nicht gegeben hätte.“

Dieses Narrativ haben viele westliche Medien, Aktivist*innen und Politiker*innen vorschnell aufgegriffen, schreibt Selby. Assad und seine Schergen konnten so die Dürre für ihre Propaganda instrumentalisieren. 

Gerd geizt mit Wasser

2.500 Kilometer weiter südlich braut sich gerade ein weiterer Klima-Konflikt zusammen. Einer, der das Potenzial hat, zu einem dauerhaften Pulverfass zu werden. Denn hier wird Wasser als Waffe eingesetzt. 

Der Auslöser ist Gerd.

Was sich anhört wie ein klimaskeptischer Onkel, den Du am zweiten Weihnachtsfeiertag factchecken musst, wenn er mal wieder rumschwurbelt, ist einer der größten Staudämme Afrikas. Der Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) sorgt seit kurzem nicht nur dafür, dass Äthiopien eine neue Energiequelle hat, sondern auch mehr Kontrolle (Öffnet in neuem Fenster) darüber, wie viel Wasser die flussabwärts gelegenen Länder vom Blauen Nil abbekommen. 

Der GERD in Äthiopien. 📸: Flickr, Ana E. Cascão

Vor allem Ägypten und seine 113 Millionen Einwohner*innen beziehen 90 Prozent ihrer Wasserressourcen aus dem Nil. Ein Großteil davon wiederum kommt aus dem Blauen Nil – der nun einmal durch den GERD muss. 

Der Staudamm konnte 2021 und 2022 aufgrund von starken Regenfällen im äthiopischen Hochland noch recht unproblematisch gefüllt werden. In Dürreperioden, die durch die Klimakrise häufiger werden, sähe das anders aus (Öffnet in neuem Fenster). Ägypten wäre dann ein Land mit einer schnell wachsenden Bevölkerung, immer weniger Wasser und der größten Armee auf dem afrikanischen Kontinent. 

Fossile Depots für fossile Despoten

Noch ein letztes Klima-Konflikt-Beispiel aus dem (nicht mehr so) ewigen Eis. Laut der US Geological Survey befinden sich etwa 30 Prozent der weltweit unentdeckten Erdgasvorkommen und 13 Prozent der Ölvorkommen in der Arktis. Durch die klimabedingte Eisschmelze werden diese fossilen Energieträger nun schrittweise freigelegt – und die Arktis erhitzt sich rund viermal so schnell (Öffnet in neuem Fenster) wie die globale Durchschnittstemperatur.

Vor allem die USA und Russland haben schon ein Auge auf die fossilen Goldadern geworfen und verstärken dort ihre Militärpräsenz. Netter Nebeneffekt: Mit dieser können sie direkt Ansprüche an neue Schifffahrtsrouten anmelden, die sich durch die Eisschmelze ergeben. 

Erst vergangenen Monat fuhr Russland erstmals eine Arktis-Patrouille gemeinsam mit China (Öffnet in neuem Fenster). Russland will perspektivisch mehr Öl und Gas an China verkaufen und China will sich unabhängiger von der Straße von Malakka machen (eine Meerenge zwischen Indonesien und Malaysia, die sich nicht nur unfassbar lustig für alle Griech*innen (Öffnet in neuem Fenster) anhören muss, sondern auch die wichtigste Handelsroute zwischen dem Indischen und dem Pazifischen Ozean ist).

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Die Straße von Malakka zwischen Indonesien und Malaysia. 🗺: Wikipedia/CIA World Factbook

Frieden schließen trotz Klimakrise

Die Klimakrise als Öl im Feuer – dieser Zusammenhang wird uns in Zukunft immer häufiger begegnen. Forschende haben in der Fachzeitschrift Nature (Öffnet in neuem Fenster) prognostiziert, dass sich der Einfluss von Klimafolgen auf Konflikte in einer zwei Grad heißeren Welt verdoppeln wird. Und diese zwei Grad mehr sind mittlerweile abgemachte Sache, wie Klimaforscher Mojib Latif der Tagesschau (Öffnet in neuem Fenster) sagte. 

Um auf die Gefahren auch international angemessen reagieren zu können, landete 2021 ein Resolutionsentwurf vor dem UN-Sicherheitsrat, der die Erderhitzung als zentrales Risiko für den weltweiten Frieden definierte. Eigentlich ein No-Brainer – trotzdem scheiterte der Entwurf. Dreimal darfst Du raten an wem. Genau, an der FDP Russland. 

Aber Handeln funktioniert auch ohne den UN-Sicherheitsrat. Da gibt es zum Beispiel Adelphi, einen Berliner Think-Tank, der dabei mitgewirkt hat, diese hilfreiche Karte (Öffnet in neuem Fenster) zu erstellen.

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Über 130 Fallbeispiele für Klima-Konflikt in einer Karte. 🗺: Climate Diplomacy

Auf ihr sieht man mit einem Blick, welche Klima-Konflikte es weltweit gibt – und wie einige von ihnen gelöst werden konnten. 

Wie im Nordwesten von Kenia (Öffnet in neuem Fenster). Hier kämpfen Viehhirten seit Jahren gewaltvoll um immer knapperes Weideland und Wasserstellen für ihre Ziegenherden. Zusammen ist es Graswurzelbewegungen und NGOs gelungen, vor allem durch die Beteiligung junger Menschen, die rivalisierenden Gruppen wieder in den Dialog zu bringen und die Gewalt einzudämmen.

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Wer mehr über diesen Konflikt erfahren will, dem kann ich den Film Between the Rains sehr ans Herz legen. 📸: Screenshot

Und in Somalia gibt es Konfliktlösung jetzt als Radiosendung: In Garasho-wadaag (Öffnet in neuem Fenster) („Wissen teilen“) kommen lokale Friedensstifter*innen zu Wort und teilen, wie der Name schon sagt, ihr Wissen und ihre Erfahrungen, inklusive Storytelling und ein bisschen Drama – was Somalis laut dem Moderator lieben.

Die Radiosendung führte zu mehr Sensibilisierung und Annäherung verfeindeter Gruppen, wie ein Hörer der Sendung berichtet: „Viele Menschen, die sich früher um Weideland und Wasserbrunnen gestritten haben, lassen ihre Tiere jetzt gemeinsam grasen und Wasser trinken. Und wenn Menschen verloren gegangene Tiere [anderer Communities] sehen, bringen sie sie nun zu ihren Besitzern zurück.“

Oder im Zentrum Nigerias (Öffnet in neuem Fenster), wo es immer wieder zu gewaltvollen Auseinandersetzungen und Todesopfern kommt. Der Zugang zu Ressourcen ist nicht klar geregelt oder ungleich verteilt, unter anderem als Spätfolge der Kolonialzeit. Dürren und unregelmäßiger Niederschlag tun ihr Übriges.

Dem Centre for Humanitarian Dialogue (Öffnet in neuem Fenster) ist es nun gelungen, die verschiedenen Communities wieder an einen Tisch zu bringen. Mit Erfolg – nach mehreren Verhandlungsphasen gab es am Ende nicht nur eine neue dekolonialisierte Grenzlinie und eine gemeinsame Ressourcen-Lösung, sondern auch Umarmungen und einen Friedensvertrag.

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Erfolgreiche Friedensverhandlungen in Zentralnigeria. 📸: Centre for Humanitarian Dialogue

Diese Beispiele sind nicht nur schöne Geschichten. Sie zeigen, dass die allermeisten Menschen ein Interesse daran haben, friedlich mit ihren Nachbar*innen zusammenzuleben. Und dass dies durch zivilgesellschaftlichen Einsatz und Dialog häufig auch möglich ist, selbst wenn die Klimakrise, besser gesagt die fossile Industrie, ihr Öl ins Feuer gießt. Entscheidend ist, dass wir den Putins, Trumps und Assads entschieden entgegentreten, wenn sie uns das Gegenteil weismachen wollen. 

Bevor Du vielleicht gleich noch in die ein oder andere verlinkte Quelle abtauchst, noch ein Hinweis: Wir können diesen Newsletter nur dank der Unterstützung unserer Community schreiben. Wenn auch Du unsere Arbeit mit ein paar Euro im Monat supporten kannst, hilft uns das enorm. Der Button führt Dich auf unsere Steady-Seite mit allen weiteren Infos. Vielen Dank!

Unser Klimasong für diese Ausgabe klingt zwar ein bisschen dystopisch, aber Kunst darf das – der österreichische Singer-Songwriter Felix Kramer mit Alles gesagt (Öffnet in neuem Fenster):

Ich glaub’ es ist jetzt eh schon alles gesagt.
Der Klimwandel kommt und wir sind alle fucked.
Vor ein paar Jahren wär das noch zu retten gewesen.
Es gibt Probleme, die werd’n sich nimmer lösen.

Die nächste und für dieses Jahr letzte Ausgabe bekommst Du am 14. Dezember. Bis dahin!

Herzliche Grüße
Julien

PS: Es gibt wieder neue Folgen vom Pod der guten Hoffnung! Zum Auftakt von Staffel 2 war Landwirtin Freya Fliege (Öffnet in neuem Fenster) zu Gast, und in der aktuellen Folge spricht Fair-Fashion-Expertin Nina Lorenzen (Öffnet in neuem Fenster). Die Links führen zu Spotify, alternativ kannst Du im Podcast-Player Deiner Wahl nach „Pod der guten Hoffnung“ suchen.

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Kategorie Gerechtigkeit

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