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Je häufiger am vollgedeckten Frühstücks-Tisch die Butter über den veganen Aufstrich gereicht wird, desto wahrscheinlicher werden Diskussionen über Klimathemen, für die man lieber gewappnet sein will.
Wir haben uns für Dich auf die Suche nach den neuesten und spannendsten Forschungsergebnissen gemacht.
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#29 #Briefing #Klimaforschung
Drei Blicke in die Zukunft
Globale Ernährung, Hitzewellen, Biodiversität – Forschende haben Antworten auf die drängendsten Fragen der Klimakrise gefunden. Wir haben sie für Dich zusammengefasst. ~ 8 Minuten Lesezeit
Wann hast Du das letzte Mal einen kalten Drink in der Hand gehabt und auf das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung angestoßen? Schon länger her?
Das ändern wir jetzt. Nimm Dir ein glutenfreies Lammsbräu aus der Minibar, lehn Dich zurück und lass Dich davon überzeugen, wie krass Klimawissenschaften sind. Während Du den ersten kühlen Schluck trinkst, stell Dir vor, dass Forschende herausgefunden haben, wie wir es schaffen können, das globale Nahrungsmittelsystem bis 2100 klimaneutral zu machen. Wie genial wäre das denn bitte?
Oder erinnerst Du Dich noch an die Jahrtausend-Hitzewelle in Indien und Pakistan, die seit März anhält? Wäre es nicht total abgefahren, wenn Wissenschaftler°innen in kürzester Zeit bewiesen hätten, dass der Klimawandel dieses Extremwetterereignis intensiver und viel wahrscheinlicher gemacht hat (genau wie die Flutkatastrophe im Ahrtal übrigens)?
Bestimmt ahnst Du es schon: Die Studien sind keine Utopie, sondern aktuellste wissenschaftliche Realität. Wir haben uns drei der spannendsten Paper, die in letzter Zeit veröffentlicht wurden, durchgelesen und für Dich zusammengefasst. Und zwar so, dass Du selbst nach dem zweiten Lammsbräu noch alles verstehst.
Studie 1: Wie das Ernährungssystem der Zukunft aussieht
In einer nur wenige Wochen alten Studie (Öffnet in neuem Fenster) des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) geht es um nicht mehr und nicht weniger als die Lösungen, mit denen das globale Ernährungssystem bis 2100 CO₂-neutral werden kann.
Hey PIK, auf dich! 📸: pik-potsdam.de
Warum ist das so wichtig? Über die gesamte Wertschöpfungskette verursacht unser Essen ein Drittel aller globalen Emissionen. Darüber hinaus ist es der Hauptgrund für Artensterben und Zerstörung von Ökosystemen wie dem Amazonas. Alarmstufe Dunkelrot also für eine Transformation im „Food System“.
Daher untersuchten die Forschenden bei drei Haupt-Faktoren die Auswirkungen auf die Treibhausgas-Emissionen: Degrowth, CO₂-Steuer und Ernährungsweisen.
Mit Degrowth ist in der Studie eine fairere globale Verteilung von Wohlstand gemeint, also eine Angleichung der Einkommen zwischen verschiedenen Ländern, sodass beispielsweise keine Menschen mehr unter der Armutsgrenze leben. Das Ergebnis: Der Faktor Degrowth alleine hat so gut wie keinen positiven Effekt auf die Emissionen durch Nahrung. Warum?
Anders als beim Energieverbrauch stellt sich schon ab einem relativ niedrigen Pro-Kopf-Einkommen ein hoher CO₂-Ausstoß durch die Ernährung ein. Zum Beispiel dadurch, dass sich Menschen schon bei einem mittleren Einkommen häufig Fleisch leisten können.
Fleisch- und Milchkonsum ist mit Abstand das größte Problem im Sektor Ernährung, der dem Klima die größten Probleme macht.
Eine CO₂-Steuer, die Emissionen entsprechend dem Pariser Klimaabkommen bepreist, könnte hingegen die globalen Emissionen für das Ernährungssystem bis 2100 fast halbieren. Der Preis für eine adäquate Besteuerung müsste pro Tonne CO₂-Äquivalent in den nächsten Jahren allerdings schon ganze 140 US-Dollar betragen.
Positiver „Nebeneffekt“ einer CO₂-Steuer: Bis 2050 könnten so über 3 Billionen US-Dollar eingenommen und in soziale und klima-kompatible Ausgleichsmaßnahmen im Ernährungssektor investiert werden.
Noch mehr Einsparpotenzial als eine eingepreiste CO₂-Steuer hätte jedoch eine hauptsächlich auf Pflanzen basierte Ernährung, die sogenannte Planetary Health Diet. Allein hierdurch könnte rund die Hälfte aller Emissionen im Ernährungssektor eingespart werden. Mit anderen Worten: Fleisch- und Milchkonsum ist mit Abstand das größte Problem im Sektor Ernährung, der dem Klima die größten Probleme macht.
Maßnahmen, die laut Studie gegensteuern können: Produkt-Kennzeichnungen, Werbeverbote, Beratung sowie Verpflegung in Kantinen und Krankenhäusern gemäß der Planetary Health Diet – also überwiegend pflanzlich; Fisch, Hähnchen und Milchprodukte nur gelegentlich.
Am besten für Emissionen, Materialdurchsatz und positive wirtschaftliche Entwicklung: Die pinke Linie beschreibt die Kombination aller drei Faktoren.
CO₂-Steuer und fleischarme Ernährung bewirken also alleine genommen am meisten fürs Klima. Warum Degrowth trotzdem mitgedacht werden sollte in künftigen Maßnahmen: Zum Beispiel, da nur eine Kombination der drei Lösungen dazu führt, dass sich Menschen mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen das klimafreundliche, besteuerte Essen auch leisten können. Der Preis pro Tag dafür läge mit zwei bis drei US-Dollar dann nämlich deutlich über dem Einkommen in vielen ärmeren Ländern.
Fazit: Eine nachhaltige Transformation des globalen Ernährungssystems gelingt am besten und fairsten mit einer Kombination aus allen drei Faktoren – CO₂-Steuer, pflanzenbasierte Ernährung und Degrowth. So kann im Ernährungssektor bis 2100 sogar CO₂-Neutralität erreicht werden, da frei gewordene Landflächen aufgeforstet und renaturiert werden könnten. Die Ergebnisse gehen übrigens in die gleiche Richtung bei Biodiversitätsverlust, Überdüngung und Wassernutzung – auch wenn in der Studie nur Treibhausgase im Detail untersucht wurden.
Studie 2: Der Klimawandel machte die Hitzewelle in Indien und Pakistan 30-mal wahrscheinlicher
Das sind wirklich mal Breaking News! Erst vor wenigen Tagen ist eine „rapid attribution“-Studie (Öffnet in neuem Fenster) zur Hitzewelle in Indien und Pakistan erschienen. Forschende der World Weather Attribution stellen darin die Frage: Wie viel Klimawandel steckt in dieser extremen Hitze?
Kurz zur Erinnerung: Die Hitzewelle kam viel zu früh und dauert viel zu lang. Sie hält seit 2,5 Monaten an. Im März war es in Indien so heiß wie nie seit Beginn der Wetteraufzeichnung vor 122 Jahren. Dann wurde es sogar noch heißer – bis zu 50°C. Tagelang. Über eine Milliarde Menschen sind betroffen.
Der Regen lässt auf sich warten, Wälder brennen und Ernten fallen aus. Indien stoppte kürzlich sogar die Weizenausfuhr – die globale Nahrungsmittelkrise lässt grüßen. Wäre das alles sowieso passiert? Indien ist schließlich ein warmes Land. Oder ist der menschengemachte Klimawandel daran schuld?
Dazu ein kurzer Hinweis zur Attributionsforschung: Sie berechnet, ob und in welchem Ausmaß ein bestimmtes Extremwetterereignis durch den Klimawandel häufiger und intensiver wurde. Ein einfaches „Ja“ oder „Nein“ kann es auf die Frage oben also nicht geben.
Wer wissen möchte, wie solche Attributionsstudien überhaupt funktionieren, guckt mal in unsere Ausgabe #10 (Öffnet in neuem Fenster) rein.
Klar ist: Wir Menschen haben die momentane Hitzewelle durch den Klimawandel heißer und sehr viel wahrscheinlicher gemacht. Ohne globale Erwärmung wäre ein solches Ereignis „extraordinarily rare“, es würde in 3000 Jahren einmal auftreten.
Durch die globale Erwärmung, das zeigen die Forschenden, ist die Hitzewelle nun ein Grad heißer geworden – und 30-mal wahrscheinlicher. Richtig gelesen: 30-mal wahrscheinlicher.
Anders ausgedrückt: Im heutigen Klima (bei 1,2 Grad Erwärmung) tritt eine solche Hitzewelle nicht mehr nur alle 3000, sondern alle 100 Jahre auf. Klingt krass – auch wenn einmal in 100 Jahren immer noch vermeintlich selten klingt. Das wird aber nicht so bleiben.
Die Wissenschaftler°innen untersuchten auch das Szenario einer um zwei Grad erhitzten Welt. Verabschieden wir uns vom Paris-Abkommen (was momentan leider wahrscheinlich ist), müsste man mit einer solchen Hitzewelle alle fünf Jahre rechnen.
Es tut weh, aber es geht noch weiter: Die Ergebnisse könnten sogar unterschätzen, wie häufig solche Ereignisse in Zukunft werden. Die Forschenden konnten nämlich nur auf eine kurze Dauer von Wetterdatenaufzeichnung zurückgreifen und haben deshalb bewusst konservativ modelliert.
Die gebürtige Kielerin Dr. Friederike Otto ist führende Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Attributionsforschung. 📸: David Fischer
Fazit: Studien-Autorin Friederike Otto sagt zu den Ergebnissen: „Hitzewellen sind die Extreme, die in einer sich erwärmenden Welt am stärksten zunehmen. Solange der Ausstoß von Treibhausgasen anhält, werden solche Ereignisse zu immer alltäglicheren Katastrophen.“
Es hilft also nichts, als alles zu tun, um die Krise einzudämmen – und uns an die Folgen anzupassen. Auch das schreiben die Forschenden: Mit Hitze-Aktionsplänen können wir die Sterblichkeit senken. In Indien werden solche Pläne in 130 Städten und Gemeinden schon umgesetzt.
Studie 3: Naturschutz ist das Beste, was dem Klima passieren kann
Immer wieder wird von Klimaschutz-Bremsern Naturschutz gegen Klimaschutz ausgespielt. Das ist in den meisten Fällen kompletter Quatsch, zeigt eine Studie (Öffnet in neuem Fenster) internationaler Wissenschaftler°innen, die Anfang des Jahres erschien. Ihr Ergebnis: Maßnahmen zur Erhaltung der Biodiversität sind nicht kontraproduktiv, sondern gehen Hand in Hand mit Klimaschutz.
Das ist schon deshalb logisch, weil natürliche Ökosysteme CO₂ speichern und so den menschengemachten Klimawandel abfangen. Insgesamt 55 Prozent der menschengemachten CO₂-Emissionen werden von natürlichen Ökosystemen „abgefangen“. Rund 25 Prozent der Emissionen werden dabei durch verschiedene Ökosystem-Prozesse von den Ozeanen absorbiert. Wälder und andere Landflächen nehmen sogar rund 30 Prozent auf.
Es ist also unbedingt notwendig diese natürlichen Klimaschutz-Prozesse zu erhalten und sogar zu verstärken. Wie kann das am besten gelingen? Die Forschenden haben 21 Maßnahmen untersucht. Hier sind vier Beispiele, wie wir Biodiversität und Klima schützen können:
1) Wälder aufforsten
Abholzung von (Tropen-)Wäldern entsteht vor allem durch die Ausweitung der Landwirtschaft und die Produktion von Bio-Kraftstoffen. Insgesamt könnten weltweit 7,4 Millionen Quadratkilometer Tropenwälder wieder aufgeforstet werden. Das entspricht ungefähr der zwanzigfachen Fläche Deutschlands.
Allein die Aufforstung der Hälfte davon würde nicht nur neuen Lebensraum für Tier- und Pflanzenarten zurückbilden, sondern gleichzeitig bis zu 5,5 Gigatonnen CO₂ pro Jahr binden. Ein Blick in den IPCC-Report verrät: Das CO₂-Einsparpotenzial ist ungefähr so hoch wie das von Windenergie.
Aufforstung von Regenwäldern wie hier in Indonesion hat genauso viel Einsparpotenzial wie der globale Windkraftausbau. 📸: World Resources Institute (CC BY-SA 4.0 (Öffnet in neuem Fenster))
Wichtig dabei ist laut Studie, beim Aufforsten indigene Baumarten zu verwenden. Das Problem: Aktuell werden häufig Monokulturen nicht-indigener Arten finanziell gefördert. Was uns zum nächsten Punkt bringt.
2) Subventionen reformieren
Das Verhältnis von Biodiversitäts-schädigenden zu Biodiversitäts-erhaltenden Geldern ist global zehn zu eins. In Brasilien wurden Abholzungsprojekte im Vergleich zu Aufforstungsprojekten sogar mit 88-mal mehr Geld gefördert (insgesamt 14 Milliarden US-Dollar).
Als einen der Gründe dafür führen die Forschenden den Einfluss von Lobby-Gruppen an. Zum Beispiel bei der Palmölproduktion in Indonesien oder der Ölförderung in Kanada. Damit Biodiversität und Klimaschutz profitieren, braucht es unter anderem zielführendere Steuern und Gebühren, bessere Transparenz (Stichwort: Lobby) und Mechanismen, mit denen Individuen und Unternehmen verantwortlich gemacht werden können für natur-schädigende Praktiken.
3) Habitate schützen
Bisher stehen nur rund 16 Prozent der Landflächen und acht Prozent der marinen Habitate unter Naturschutz. Benötigt wären in beiden Fällen aber mindestens 30 Prozent. So könnte in Kombination mit Einhaltung der Zwei-Grad-Grenze das Aussterberisiko für Arten halbiert werden.
4) Konsum ändern
Auch Endverbraucher°innen haben einen großen Einfluss: Einer der Haupttreiber für Artensterben und Erderhitzung ist Fleischkonsum und Food Waste. Die Zahlen sprechen für sich: Wenn Konsument°innen ihre Lebensmittelabfälle halbieren, würden rund zehn Prozent der heute genutzten Landfläche wieder frei – das gilt insbesondere für Industrienationen.
Eine Reduktion von tierischem Protein in der Ernährung würde sogar zehn bis 30 Prozent des heute genutzen Agrarlands für andere Zwecke verfügbar machen.
Ein positiver Nebeneffekt beider Maßnahmen: Es müssten nicht noch mehr Dünger und Pestizide verwendet werden, um bestehende Ackerflächen effizienter zu nutzen, wodurch natur- und klimaschädliche Stickstoffverbindungen in die Atmosphäre gelangen würden.
Fazit: 14 von 21 untersuchten Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität haben gleichzeitig positive Auswirkungen auf den Klimaschutz. Die Forschenden empfehlen daher dringend, beide Ziele (die laut Studie übrigens auch mit gesteigerter Lebensqualität einhergehen) in Zukunft aktiv zusammenzudenken.
Beim Durchlesen der Paper wurde uns eines wieder ganz deutlich: Wir haben kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem. Wie so häufig liefern wissenschaftliche Studien recht konkrete Insights und To-Dos für einen Wandel zu einer planeten-kompatiblen, fairen Gesellschaft.
Je mehr Menschen von ihnen wissen und beim Pfingstbrunch und anderen hervorragenden Gelegenheiten in Diskussionen einbringen, desto weniger können Entscheidungsträger°innen ihre Augen davor verschließen.
Zum Schluss noch eine Bitte
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Julien & Manuel
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