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Mythos: Gute Mikroben, schlechte Mikroben ?

Wir erwerben unser erstes Mikrobiom schon als Baby. (Quelle Shutterstock)

Liebe Leserinnen und Leser,

der Juni ist halb rum und es wird wieder Zeit für etwas Wissensinput für euch, liebe Mikrobenzirkus-Freunde. Ich hoffe, dass ihr alle gesund und munter seid bei diesem schönen Sommerwetter. Mich triezt gerade eine kleine Sommererkältung, die ich mir oft einfange, wenn mein Mann die Klimaanlage beim Auto zu hochdreht. Steifer Nacken und tropfende Nase. Und da sind wir schon beim Thema…

Wenn wir an Mikroorganismen denken fallen uns meist zuerst die unangenehmen Krankheitserreger ein: Viren, die uns Husten oder Schnupfen bescheren, oder Bakterien wie Salmonellen, die uns womöglich ein Bachgrummeln hinterlassen, wenn wir sie mit einem Eis gegessen haben.

Dabei spielen alle Mikroben, die in uns, auf uns oder um uns herum leben immer mindestens eine von drei komplexen Rollen für unsere Gesundheit. Sie sind Freunde, können manchmal Feinde sein oder einfach neutrale „Kommensalen“, ein aus dem Lateinischen abgeleiteter Begriff für „Tischgenosse“, und produzieren keinen weiteren Ärger.

Unsere freundlichen Mikroben bilden mit uns eine sogenannte „Symbiose“ – eine Wechselbeziehung zum beiderseitigen Vorteil. Viele dieser kleinen „Symbionten“ arbeiten für uns ganz selbstverständlich mit unserem Körper zusammen: im Immunsystem, in unserer Verdauung oder sogar mit unserer Psyche. Dabei haben es sich die freundlichen Mikroben keineswegs zur Lebensaufgabe gemacht, unsere Existenz und unser Wohlbefinden zu verbessern. Sie haben sich einfach über die Jahrmillionen des menschlichen Lebens an uns angepasst und wir an sie.

Im Gegensatz zum ungeheuer schlechten Image der Krankheitserreger – auch „Pathogene“ genannt – sind nur sehr wenige Mikroben wirklich unserer Feinde. Weniger als 0,1 Prozent der mikrobiellen Arten auf der Erde können überhaupt Infektionen beim Menschen auslösen. Sie machen uns auch nicht immer und aus Prinzip krank. Aber sie sind in der Lage, größere Probleme zu verursachen, wenn sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind.

Die am weitesten verbreiteten Mikroben sind die Kommensalen – die harmlosen „Tischgenossen“ oder „Zuschauer“. Sie leben in unserer Umwelt und gelangen über unser Essen oder die Luft in unseren Körper und den Darm. Meist sind sie auf unserer Haut, den Schleimhäuten oder auch in den Atemwegen anzutreffen und besetzen wahrscheinlich einfach die besten Plätze, an denen sich sonst womöglich ein Krankheitserreger niederlassen würde. Daran wird noch viel geforscht.
Diese Bakterien sind unserer treuesten Begleiter. Nicht Homo sapiens, sondern Homo sapiens plus Mikrobe“ ist die Einheit der Evolution. Erst in den letzten 15 bis 20 Jahren haben die Wissenschaftler: innen erkannt, welches komplexe Ökosystem der menschliche Körper eigentlich darstellt. Er ist ein Lebensraum, ein „Holobiont“, ein „soziales Netzwerk“ mit Billionen von Bakterien und anderen Mikroorganismen. Unser Mikrobiom, diese vielfältige Gemeinschaft von Mikroorganismen mit alle ihren Genen, leistet wichtige Hilfestellungen bei der Gesunderhaltung unserer Körpervorgänge, von der Verdauung bis zur Immunabwehr. Die Forschenden entdecken erst allmählich die vielen positiven Auswirkungen dieser Organismen. Mit unserer Autarkie, der angeblichen Unabhängigkeit des Menschen, ist es also nicht weit her!

Jeder Mensch beherbergt in seinem Körper dieses komplexe Mikrobiom – wenn auch nicht gleich von Anfang an. Wir erwerben unsere ganz persönlichen Kommensalen aus der Umwelt. Da die gesunde Gebärmutter fast keimfrei ist, startet der Fötus noch in ein steriles Dasein als Einzelwesen. Keine Zeit ist dabei so wichtig wie unsere frühe Kindheit. Wir erhalten unser Mikrobiom bei einer natürlichen Geburt von unseren Müttern und später durch das Stillen. Das hat die Natur so eingerichtet, um die Babys mit dem passenden Mix für die erste Lebenszeit auszurüsten. Durch den Kontakt zu Eltern, Geschwistern, Großeltern und Freunden und sogar zu Alltagsgegenständen, wie Bettlaken, Decken oder zu Haustieren siedelt sich mit der Zeit ein immer breiteres Spektrum an Mikroben an.

Von der Geburt bis zum Alter von drei Jahren verändert sich das Kinder-Mikrobiom besonders im Darm noch sehr stark. Es fängt täglich all die Mikroorganismen ein, die es bekommen kann. Bei kleinen Kindern reagiert deshalb das Gleichgewicht des mikrobiellen Systems noch sehr empfindlich, und störende Einflüsse können sich schnell negativ auswirken, wie z.B. Hygieneartikel. Kosmetikprodukte oder Medikamente. – all dies greift massiv in die mikrobielle Besiedelung ein.

Im Alter von drei Jahren erreicht das Kleinkindmikrobiom einen den Erwachsenen ähnlichen Status. Es ist stabiler und balanciert Veränderungen besser aus. Alle mikrobiellen Player sind vorhanden und haben die Herrschaft in den feuchten und trockenen Nischen des Kinderkörpers übernommen. Gegen Ende der Kindheit unterhält unser Körper eines der komplexesten mikrobiellen Ökosysteme der Erde.

Auch im Erwachsenenalter reagiert unser Mikrobiom noch auf äußere Einflüsse. Die Nahrung, die wir essen, begünstigt gewissen Bakterien, die sich in unserem Darm vermehren. Wenn ihr zum Beispiel Vegetarier seid, weist ihr mit der Zeit eine andere Darmflora auf als Leute, die Fleisch essen. Das Gegenteil funktioniert aber auch. Unsere Bakterien übermitteln uns über Botenstoffe an die Nervenzellen, worauf sie gerade Lust hätten, was im Gehirn als Heißhunger oder Appetit auf bestimmte Speisen wahrgenommen wird.

Unser Mikrobiom ist also das Genom, das wir jeden Tag ändern können, während das menschliche Genom fest fixiert ist für unser ganzes Leben. Die Gene des Mikrobioms verändern sich als Antwort auf unsere Nahrung, unsere Hygiene, die Medikamente, die wir einnehmen – und damit verändert sich logischerweise auch unsere Gesundheit. Wir uns unsere Mikroben verhalten sich dabei wie kommunizierende Gefäße.

Wie in jedem anderen Ökosystem der Erde ist eine Umgebung nur gesund, wenn darin mehr freundliche Arten als Feinde vertreten sind. Je mehr freundliche Symbionten wir also in unserem Umfeld haben, desto besser für unsere Gesundheit. Steigt die Anzahl der Krankheitserreger, dann droht Ärger. Wie meist in der Biologie ist auch hier nicht alles schlicht schwarz oder weiß, gut oder böse.

Denn auch unsere mikrobiellen Freunde können manchmal zu Feinden werden, denn sie verfolgen immer ihre ganz eigene Strategie. Normal sind sie glücklich mit uns und ganz pflegeleichte Untermieter – aber in schwierigen Zeiten werden sie etwas widerspenstiger und können sogar mehr Probleme verursachen als unsere natürlichen Feinde. Daher ist es immer die beste Option, nicht zu viele Freunde zu haben, sondern eher eine gesunde Population von friedlichen Kommensalen. Sie tun uns nichts Gutes, aber sie machen auch wenigstens kein Theater! Sie besetzen einfach Plätze, an denen sich sonst Mikroben niederlassen würden, die für uns vielleicht nicht so angenehm unproblematisch wären.

Wie versprochen gibt es auch erste Tipps für euch und euer gesundes Mikrobiom

Tipp 1: Esst mehr gute Bakterien!

Esst ausreichend und regelmäßig Lebensmittel (Probiotika), die die Artenvielfalt im Darm erhöhen. Die probiotischen Darmmikroben werden in unserem Verdauungstrakt meistens nicht dauerhaft heimisch. Wirkungsvoll sind sie aber dennoch, wenn sie regelmäßig gegessen werden.
Die besten Quellen für gute Bakterien, die unsere Verdauung unterstützen sind: Joghurt, Kefir, Kombucha, Miso, Tempeh, Sauerkraut oder Kimchi und natürlich auch Brot aus Sauerteig.

Versucht außerdem mal selbst frisches Gemüse zu fermentieren! Es ist wirklich unglaublich einfach.

Die Rezepte findet ihr in meinem Mikrobenzirkus-Blog (Öffnet in neuem Fenster). Ich empfehle euch als Anfänger:innen das Sauerkraut (Öffnet in neuem Fenster) oder die fermentierten Gewürzmöhren (Öffnet in neuem Fenster).

Tipp 2: Wascht euch regelmäßig die Hände und fasst euch nicht ins Gesicht!

Illustration Isabell Klett im Sachbuch "Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Türklinke" von Susanne Thiele, HEYNE

Viele Infektionskrankheiten werden über die Hände übertragen. Dazu gehören beispielsweise Erkrankungen wie Erkältungen, die Grippe (Öffnet in neuem Fenster) oder ansteckende Magen-Darm-Infektionen (Öffnet in neuem Fenster). Händewaschen ist eine einfache und wirksame Maßnahme, die vor einer Ansteckung schützen kann. Hier gilt gründlich waschen und insbesondere die Handrücken und Zwischenfingerbereiche, Fingerkuppen und Nägel. Sonst werden die Erreger leicht über unsere Schleimhäute in Nase, Mund und Augen übertragen.

Die aktuelle mikrobiologischen Schlagzeilen, die mich aufhorchen lassen:

Mehr Gene als gedacht machen Bakterien resistent gegen Antibiotika (Öffnet in neuem Fenster)

(MDR)

Viren als Medizin im aktuellen Spiegel: Bakterienfressen heilen Infektionskrankheiten (Öffnet in neuem Fenster)

Zum Thema der antibiotika-resistenten Bakterien hatte ich viel recherchiert und mit Kathrin Lange gemeinsam den Medizin-Thriller „Probe 12“ veröffentlicht in dem es auch um Phagentherapie geht - eine innovative Methode gegen diese Keime. Link zum Buch (Öffnet in neuem Fenster)

Ich wünsche euch einen schönen Juni und wir lesen uns wieder zum Monatsende.

Im nächsten Newsletter geht es um Mikrobenjäger in der Geschichte und woher eigentlich unsere Angst vor Keimen herrührt. Und natürlich gibt es wieder mein Schreib-Update und Tipps zu meinen Leseempfehlungen etc.

Hinterlasst mir sehr gern einen Kommentar, über welche Themen ihr hier mehr lesen möchtet. Ich bin gespannt!

PS: Ich freue mich, wenn euch dieser Newsletter zusagt. Empfehlt ihn sehr gerne weiter über diesen Link zur Anmeldung (Öffnet in neuem Fenster) (Öffnet in neuem Fenster).

Grüße aus dem Mikrobenzirkus

Susanne

Kategorie Kolumne

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