Willkommen in der Zukunft, in der Medium schon wieder feststellt: Journalismus und der Aufbau journalistischer Marken sind anstrengend.
Medium ohne eigene Medien
Zwar zahlen angeblich 700.000 Menschen Geld für Medium, die Seite von Twitter-Milliardär Biz Stone, auf der praktisch jede und jeder Texte abladen kann. Aber in den wenigsten Fällen ist das auf die Arbeit der rund 75 Journalist:innen zurückzuführen, die von Medium extra angestellt und bezahlt wurden, um Marken wie OneZero (Öffnet in neuem Fenster) oder Elemental (Öffnet in neuem Fenster) auf der Plattform aufzubauen und die Seite attraktiv zu machen. Damit soll jetzt Schluss sein: Es gibt Abfindungsangebote für die Redaktionen. Die gerade noch überlegt hatten, sich gewerkschaftlich zu organisieren, weil sie Sorge hatte, dass Medium irgendwann die Lust am Journalismus verliert, weil der nicht so geil skaliert wie man es von Techfirmen erwartet.
Medium will sich nun wieder auf das Plattform-Geschäft konzentrieren: Inhalte kostenlos einsammeln und damit ein Geschäft machen. Ausführlich dazu Casey Newton:
The mess at Medium (Öffnet in neuem Fenster): 14 current and former staffers on what went wrong.
Gelesen: »This Is How They Tell Me the World Ends« von Nicole Perlroth
Sicherheitslücken sind ein Geschäft. Halbseidene Broker und Hacker ohne Gewissen verkaufen Bugs an Geheimdienste, Militärs und Behörden. Wie kaum jemand sonst ist NYT-Reporterin Nicole Perlroth in diese Welt eingetaucht und kann beschreiben, wie dieser Markt funktioniert und wozu die Sicherheitslücken genutzt werden: Für einen asymmetrischen Krieg, der Zivilisten trifft und sich an keine Konvention hält.
In ihrer epischen Erzählung verknüpft sie den Hackerangriff auf iranische Uran-Zentrifugen, die Snowden-Enthüllungen, den Angriff auf die Reederei Maersk, Stromausfälle in der Ukraine und russische Kampagnen gegen die Wahl in den USA. Sie zeigt, wie Staaten, allen voran die USA, mit dem Kauf von Sicherheitslücken ein Problem eskaliert haben: Die Schwachstellen gehören gefixt, nicht ausgenutzt. Denn niemand kann garantieren, dass eine Lücke nicht gefunden wird - von wem auch immer.
Zuletzt sind der NSA eine ganz Batterie streng geheimer und hoch gefährlicher Exploits geklaut worden - die Folgen waren weltweit zu spüren, die Schäden gigantisch. Was dieses Buch auszeichnet: Es basiert auf jahrelanger, gründlicher Recherche, nicht auf Unkenrufen oder akademischen Überlegungen. Gleichzeitig liest es sich wie ein Thriller.
(Unsere Spiegel-Enthüllungen über die NSA-Hackertruppe Tailored Access Operations und ihre Zero-Day-Werkzeuge (Öffnet in neuem Fenster) kommen natürlich auch vor.)
Influenzas
The Beauty of 78.5 Million Followers (Öffnet in neuem Fenster): How social media stars like Addison Rae gave the cosmetics industry a makeover.
»Die reinste Volksverblödung« (Öffnet in neuem Fenster): Die Wirtschaftspodcaster Wolfgang M. Schmitt und Ole Nymoen haben das Buch »Influencer: Die Ideologie der Werbekörper« geschrieben und kritisieren den kalten Konsumkapitalismus. Aus dem Interview: »Ganz allein kämpft so jeder für sich, um Aufmerksamkeit und damit Geld zu bekommen, und zwar auf den Schultern derer, die unten geblieben sind. Denn irgendjemand muss ja die ganzen Rabatt-Codes anklicken.«
Squad Wealth (Öffnet in neuem Fenster) ist der Gegenentwurf dazu. »Squad culture is the antithesis of neoliberal individualism. Millennials are healing from decades of irony poisoning, rediscovering what it's like to have generative, exploratory relationships with one another.«
Nicht gaaanz verwandt, aber dann doch:
Facebook guidelines allow users to call for death of public figures (Öffnet in neuem Fenster): Public figures are defined by Facebook to include people whose claim to fame may be simply a large social media following or infrequent coverage in local newspapers.
Journalism
Independent Russian journalists are thriving on YouTube — for now (Öffnet in neuem Fenster): With television networks full of government propaganda, YouTube is a vital platform for debate. But will the freedom last?
Inside the ›Black Market‹ Where Artists Can Pay for Millions of Streams (Öffnet in neuem Fenster): Digital marketer Joshua Mack brags on call with high-powered management company about the ability to »manipulate« streaming systems to »hit astronomical numbers«.
The Buzzy, Chatty, Out-of-Control Rise of Clubhouse (Öffnet in neuem Fenster): Paul Davison and Rohan Seth’s audio-only app is the tech crush of the pandemic. Now comes the hard part: hosting a global gabfest, without the toxicity.
Your Face Is Not Your Own (Öffnet in neuem Fenster): When a secretive start-up scraped the internet to build a facial-recognition tool, it tested a legal and ethical limit — and blew the future of privacy in America wide open.
Small, cheap spy satellites mean there’s no hiding place (Öffnet in neuem Fenster): »Satellites fitted with robotic high-resolution cameras are costly. Flying microwave ovens that capture and timestamp radio signals are not. Horizon says that building, insuring and launching its August mission should cost no more than about $1.4m.«
Internet Explorer
Fontshare (Öffnet in neuem Fenster): Eine Alternative zu Google Fonts mit guten, freien Schriften.
Dither Me This (Öffnet in neuem Fenster): Use this tool to reduce the file size of an image… but in a stylish old-school way.
Electric Zine Maker (Öffnet in neuem Fenster): Ein Spiel, um ein digitales Fanzine zu basteln.
EVER GIVEN Current position (Container Ship, IMO 9811000) (Öffnet in neuem Fenster)
Bis nächste Woche!
Das war Ausgabe #57 von THEFUTURE (Öffnet in neuem Fenster), dem Newsletter über das wilde Internet und die Zukunft der Medien von Ole Reißmann (Öffnet in neuem Fenster).