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Was ist aus dem "Sommerloch" geworden? 

Bild von Gerhard C. (Öffnet in neuem Fenster) auf Pixabay (Öffnet in neuem Fenster).

Kennen Sie ihn noch? Diesen süßen, gar nicht so kleinen, See- und Flussbewohner? Ein Süßwasserfisch aus der Gattung der Siluri, einzigartig mit seinen unverkennbaren und beweglichen Barteln: Es ist ein Wels. Streng genommen sogar ein klassischer Europäischer Wels. 

Der Wels war für mich einige Jahre der Inbegriff des Sommerloch-Tieres. Nicht weil er sich in den (gar nicht so) unergründlichen Tiefen europäischer Flüsse und Seen tummelt, sondern weil sich just im Sommer immer wieder Mythen und Sagen um ihn ranken. War es 2001 der Killerwels Kuno, der in Mönchengladbach Angst und Schrecken verbreitete, angeblich gar einen Dackel gefressen haben soll (Öffnet in neuem Fenster) und 2003 mit stolzen 35 Kilo das Zeitliche segnete (Öffnet in neuem Fenster), geriet 2018 der Offenbacher Problem-Wels "Wally" (Öffnet in neuem Fenster)in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Der Vorwurf: Der Seedämon aus dem Dreieichpark soll ein "Küken-Killer" sein. Nachdem er den Tierbestand des Volksparks zuvor bereits beträchtlich dezimierte, soll der Wels sich aufgrund seines unersättlchen Hungers an Küken von Stockenten vergriffen haben. Monatelang berichtete die lokale Presse (Öffnet in neuem Fenster) von dem Seeungeheuer, ehe im September 2018 (Öffnet in neuem Fenster) feststand: Der Wels ist weg!

Doch so absurd das alles klingen mag: die Monate mit dem Wels waren auch geprägt von einer gewissen, wenngleich trügerischen, Leichtigkeit. Fraglos war die Klimakrise auch da schon existent, doch im täglichen Medienbetrieb hatte ich das Gefühl, ein wenig durchschnaufen zu können. Die Eintracht holte Monate vorher zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder den DFB-Pokal. Der Newsroom war gut gefüllt und noch ganz beseelt vom Sieg gegen die Bayern, das Leben schien etwas "leichter" zu sein. Wer hätte damals gedacht, dass das der letzte Sommer seiner Art werden würde. 

Die folgenden Sommer waren allesamt geprägt von heftigen Themen, emotional aufreibend. Angefangen vom Mord an Walter Lübcke in der Nacht zum 2. Juni 2019, gefolgt vom rassistischen Attentat am 22. Juli 2019 in Wächtersbach über das Tötungsdelikt an Gleis 7 des Frankfurter Hauptbahnhofs am 29. Juli des gleichen Jahres.  

2020 warfen die Anfangsmonate mit dem Anschlag von Hanau (19. Februar), der Amokfahrt von Volkmarsen (24. Februar) und dem Aufkommen des Coronavirus einen dunklen Schatten auf das gesamte Jahr, wovon auch die Sommermonate nicht ausgenommen waren. Nach der ersten Welle der Solidarität folgte im Sommer die Welle der Coronaleugner und Verschwörungsmythologen. Abstruse Gestalten machten sich auf Social Media einen Namen, immer auch (unerkannt) bedacht auf den eigenen finanziellen Vorteil. Die Black Lives Matter Demonstrationen wurden nach dem Tod von George Floyd am 25. Mai 2020 auch bei uns relevant und auch Fridays For Future machte sich auf den Straßen weiterhin für den Klimaschutz stark.  Und was ist eigentlich Cancel Culture? Muss ich jetzt Lisa Eckhart gut finden?

Generell: Corona? Ein einziger Erinnerungsbrei, 2020 und 2021 sind kaum zu trennen. Von Lockdown zu Brückenlockdown über Shutdown. Alles systemrelevant. 

Im Sommer 2021 dann Jahrhunderthochwasser im Ahrtal (Juli 2021) und unzählige weitere Querdenkeraufmärsche, diesmal gegen die Impfung und für die Dummheit des Einzelnen. Freiheit!
Am 15. August fällt Kabul, erobert durch die Taliban. Tagelang werden in der Folgezeit Menschen aus Afghanistan evakuiert, viele auch nach Frankfurt. Corona-Varianten gewinnen an Relevanz. 1G, 2G, 3G+ - man muss sich viele Abkürzungen merken. Immerhin: Bundestagswahl! Danke, Angie!

Und der Sommer 2022? Corona ist noch nicht vorbei! Die nächste Sommerwelle kommt, jetzt auch noch mit Affenpocken. Kurzer Jubelsturm: Europacuuuup! Eintracht unfassbar, doch was erlaube Hinteregger? Und was macht eigentlich Peter Feldmann? Dazwischen Rücktritt Bouffier, Rhein wieder zurück im Rampenlicht. Mit dem 9-Euro-Ticket auf zu Rock am Ring!

Auto-Attentat in Berlin. Wieder trifft es Menschen aus Nordhessen, eine Lehrerin aus Bad Arolsen stirbt. Es waren gar Kinder dabei, die 2020 schon Volkmarsen miterlebt haben. Wie krass kann ein Schicksal sein?

Doch es geht munter weiter: Welches Urteil wird bei Franco A. erwartet? Putin tyrannisiert immer noch die Ukraine. Der Westen schaut zu, manche helfen. Alles wird teurer, Inflation galore. Energiekrise, Klimakrise, Finanzkrise. Bitcoin-Djangos weinen, Fynn Kliemann ebenfalls. Und jetzt auch noch die documenta.*

Und ich frage mich aktuell: Kann ich den Wels noch mal sehen?


*Aufzählung spontan, nicht abschließend.