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Alles ist schlecht – oder?

(c) Tove Liu auf pexels (Öffnet in neuem Fenster)

In Europa herrscht Krieg, selbst auf den höchsten Bergen Deutschlands ist sämtlicher Schnee geschmolzen, Putin dreht den Gashahn zu und während die Inflation kontinuierlich steigt und Lebensmittel immer teurer werden, lässt Corona noch immer nicht locker und beschert uns massenweise Krankheitsausfälle. Alles scheiße also, alles schlecht. Wie gut also, dass wir Politiker:innen haben, die wir dafür vollumfänglich verantwortlich machen können, oder? 

Nun, ich verstehe diesen Reflex. Und wenn man auf Twitter oder in den Kommentarspalten von Facebook herumscrollt, bekommt man schnell das Gefühl, dass wir alle verloren sind und zu allem Überfluss ausschließlich von Dilletanten regiert werden. Doch was, wenn es gar nicht so ist?

Vorweg: Ein kritisches Auge ist IMMER wichtig, weswegen es beispielsweise auch notwendig blieb, selbst beim salbungsvollen Abschied von Ministerpräsident Bouffier in Texten bspw. auf die unzureichende Aufklärungsarbeit in Sachen NSU hinzuweisen. Dennoch lohnt es sich, bei aller geäußerter Kritik auch immer auf den- oder diejenigen zu achten, die kritisieren. Klingt anstrengend, ist mittlerweile doch immer öfter notwendig, um die Kritik selbst besser einzuordnen. Ein kleines Beispiel: WELT-Chefreporter Tim Röhn, der zuvor u.a. eher als Filmemacher und mit guten Texten zu mehreren Journalistenmorden auf sich aufmerksam machte, nahm sich im Verlaufe der Corona-Pandemie die Politik in Bezug auf selbige vor. Durchaus verständlich, gab und gibt es da doch etliche Verfehlungen. Manche nachvollziehbar aufgrund der neuartigen Situation, andere vermeidbar, peinlich oder gar dreist. Schwierig wird die Befassung mit dem Thema allerdings, wenn man sich dafür schon teils wissenschaftsfeindlicher Ansätze bedient und fernab vernünftiger Kritik schon fast im Stile von "ich stelle doch nur Fragen?" Wissenschaftler:innen, Politik und Co. angreift - und den eigenen Twittermob gezielt gegeben eben solche einsetzt. Kam insgesamt auch nicht sonderlich gut in der eigenen Redaktion an (Öffnet in neuem Fenster), ist aber leider ein typisches Beispiel dafür, wie aus wichtiger Kritik eine Hetzjagd ohne Gewinn für jedwede Partei wird. 

Nun ja, ohne Gewinn? Nicht ganz. Denn "Gewinn" ist hierbei der Hintergrund vieler solcher "Debatten". Und hier wird exakt das relevant, wovor ich weiter oben sprach: Der Hintergrund mancher Kritik muss eingeordnet werden. Ob Röhn selbst "Querdenker" ist (Öffnet in neuem Fenster), halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass die WELT weiß, dass mit Menschen aus dieser Szene Geld gemacht werden kann. Und Geld ist nun mal das, was das Geschäft zum Laufen bringt. Abos müssen verkauft werden - und so ist es kein Zufall, dass immer wieder Artikel mit provokanten Thesen von Menschen, die sich in der Zeit ein gewisses Following erarbeitet haben, rausgehauen werden. Ganz gleich, wie der Wahrheits- oder Logikgehalt mancher Thesen einzuschätzen ist: Wichtig ist, wie viele Abos mit derlei Texten herumkommen.

Klar ist: man sich das an- oder durchlesen, nur muss man sich ebenfalls erarbeiten, welcher Zweck sich dahinter verbirgt. Und wenn dann in provokanten Überschriften und Titelbildern die Personen Lauterbach oder Drosten gedroppt werden, ist es sicher kein Zufall, sind diese doch immer noch beliebte Zielscheiben teils militanter Querdenker. Und in Sachen SEO natürlich auch nie zu vernachlässigen. Zwinkersmiley. 

Die Frage, ob Lauterbach, Drosten und Co. in der zurückliegenden Zeit gute Arbeit geleistet haben, beantwortet trotzdem weder die WELT, noch die Fan- oder Feindeslager der Personen auf Twitter. Sondern viel mehr die Kulmination aus faktisch nachweisbar Geleistetem und öffentlicher Wahrhnehmung. Hier ist es auch an uns selbst, sich nicht zu sehr von Stimmungen beeinflussen zu lassen. Ist schwer, passiert mir selbst auch ständig, ist aber für einen gesetzteren Blick neben all den Untergangsvorhersage wichtig. Und lohnenswert, denn dann sieht man, dass einige Menschen in der Politik gerade durchaus an der Lösung einer Vielzahl von Problemen arbeiten. Habeck, der versucht, die Energiekrise nach Jahrzehnten des kollektiven Tiefschlafs und Appeasement-Politik zu entschärfen. Fernab aller geschickter Habeck-Vermarktung und smarter Social Media Ausschnitte, die ihn im guten Licht (Öffnet in neuem Fenster) darstehen lassen, macht er das, soweit ich das beurteilen kann, nicht schlecht (Ganz hilfreich hier das Tool einiger Zeit-Kolleg:innen, die mit einem smarten Energiemonitor zeigen, wie sich Deutschland in Sachen Energieversorgung entwickelt). (Öffnet in neuem Fenster) Oder ein Buschmann, der mit der Abschaffung des 219a (Öffnet in neuem Fenster) das umgesetzt hat, was sich jahrzehntelang die Mehrheit der Menschen in Deutschland gewünscht haben. Nur zwei Beispiele dafür, dass nicht alle Politiker:innen direkt aus dem Scheuerschen Dilletanten-Stadl kommen.

Ganz grundsätzlich bin ich mir zudem nicht sicher, ob es so klug ist, wenn wir uns immer nur die eigenen Schwächen herbeireden und dabei die Stärken ignorieren. Ja, auch und gerade in Deutschland gibt es unfassbar viele Probleme, die angepackt werden müssen. Das wohl aktuell drängendste, der Klimawandel, wird uns in ein paar Tagen wieder massiv vor Augen gehalten werden. Dennoch gibt es bei all den Schwierigkeiten auch überall Mitmenschen, die anpacken und mit ihrem Wirken die Probleme beseitigen oder Minimieren wollen. Menschen, die Stammzellen spenden (Öffnet in neuem Fenster), Geld für krebskranke Kinder sammeln (Öffnet in neuem Fenster), wichtige Arbeit bei sachlicher Aufklärung leisten (Öffnet in neuem Fenster) oder auch die Regionalpolitik, die von den positiven Aspekten vorheriger Projekte lernt (Öffnet in neuem Fenster). Und gar die EU, die in Sachen Klima zumindest in einigen Punkten (Öffnet in neuem Fenster) handelt. 

Es zeigt sich, dass also vielleicht doch nicht alles schlecht ist, wir noch nicht kurz vor der Zombieapokalypse stehen - und uns stattdessen eher mal fragen sollten, wer uns - und warum - ausschließlich negative Nachrichten mitzuteilen hat - und offenbar den Nukleus des Guten, an den ich in schier unendlicher Naivität noch glaube, nicht sehen kann. Oder einfach nicht darüber berichten will.