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Applaus für das Mindeste

Das Interview, das ich mit Benjamin Stuckrad-Barre bei Kulturzeit schaue, wirkt seltsam aus der Zeit gefallen. Ein Mann erklärt Machtmissbrauch und wie es den Beteiligten ergeht, die innerhalb von Machtgefällen Beziehungen miteinander eingehen, so als habe er eine neue Tierart entdeckt und noch niemand vor ihm sie beschrieben. Nichts daran, was er erzählt ist neu, präziser oder nahbarer beschrieben als all das, was Frauen, die Opfer wurden von mächtigeren Männern, schon immer berichten. Neu ist allenfalls, dass ein cis Mann es öffentlich zum Kotzen findet und aus seiner Verachtung für diejenigen, die Machtmissbrauch kleinreden oder vertuschen wollen, keinen Hehl macht. Dennoch wirkt es auf mich vulgär, dass jemand, der jahrelang von dem System profitierte, unter dem andere litten, und von der Freiheit des Schreibens mit sehr viel Springer-Geld schwärmt, nun davon erzählt, wie schlecht es den Frauen gehe und dass ihr Leid ihn berühre. Er gefällt sich in der Rolle des Patriarchatkritikers, auch wenn in der Bauchbinde zu dieser Bezeichnung noch „spätberufener“ stehen müsste.

Was er zudem übersieht, ist wie er mit der Aneignung der Deutungshoheit nun eintritt in ein weiteres Machtsystem, das dem von ihm kritisch beschriebenen nicht unähnlich ist. Denn über seinen Roman, das Marketing und die Rezeption in den ersten Tagen, gewinnt das gewählte Thema durch seine literarische Bearbeitung keine neue Klarheit, der Diskurs über Machtmissbrauch verschiebt sich nicht, allein der Autor gewinnt an kultureller und finanzieller Macht. Er steht im Rampenlicht. Sein Text. Der ist ja fiktiv, deswegen will der Autor Aufmerksamkeit für seine Kunst, der Missbrauch, der real passierte, ist sekundär.

Mit dem Verweis auf die Kunstform des Romans kann der Autor sich zudem schützen. Er gibt sich mutig, während er nichts riskiert. Angriffe auf seine Glaubwürdigkeit in der zerstörerischen Dimension, wie weibliche Opfer von Machtmissbrauch sie erleben, muss er nicht befürchten; zudem schreibt er bereits aus einer Position der Stärke, klagt nicht an als Praktikantin, die niemand kennt. Vor ihm liegt eine weitere beruflich erfolgreiche Zeit, die durch die vermeintliche Machtkritik nicht leiden wird. Er wusste lange davon, dass unrechte Dinge geschehen und schwieg, dafür wird er nicht beschämt, sondern nun auf Lesungen gefeiert, mit Aufmerksamkeit, Unterstützung und Geld belohnt, während die Gesellschaft den Opfern von Missbrauch eine Mitschuld gibt und sie stigmatisiert. Kunst muss keine Wiedergutmachung sein, sie hat keine moralische Pflicht, aber zu „Noch wach?“ muss angemerkt werden, dass der Roman seiner Intention zuwiderläuft das Patriarchat zu stören und sich stattdessen sanft in dessen Diskursstrukturen bettet, statt durch Kunst eine neue Ebene zu betreten. Stuckrad-Barre bekommt Applaus für das Mindeste: Das Aussprechen, dass Machtmissbrauch existiert und er Leid verursacht. Applaus für das Mindeste zu bekommen, das cis Männer tun können, ist Patriarchat pur und dabei so öde.

Es ist der gleiche Mechanismus, der sich in Sachen Gleichberechtigung bei der Anspruchshaltung von cis Männern beobachten lässt, dass sie zwar Elternzeit nehmen und sich die Familienaufgaben fair teilen wollen, aber nur dann, wenn sich ihre neue Rolle nicht auf Karrierechancen und Einkommen auswirkt und sie zudem Lob und Bestärkung bekommen. Wenn es ihre Männlichkeit stärkt, nicht schwächt. Sie haben die Erwartung, durch die Entscheidung für Fürsorgearbeit – durch die für Mütter seit jeher überwiegend Nachteile entstehen – nichts zu verlieren.

Wenn cis Väter diese Anspruchshaltung ernstmeinen, wenn sie stolz sind, mehrere Monate Elternzeit genommen zu haben – für die Gleichberechtigung – warum prahlen sie nicht vor ihren Freunden damit, dass ihre krasse Partnerin rund 10 Monate lang schwanger war mit all den damit verbundenen Einschränkungen, Terminen und Schmerzen, und seither sich nicht nur echt viel und liebevoll um das Kind kümmert, sondern nebenher noch einen veränderten Körper hat, für den sie Zeit und Mühe braucht, um ihn von den Belastungen einer Schwangerschaft heilen zu können und sich mit ihm wohlzufühlen. Wenn fünf Monate Elternzeit krass sind, wie krass ist es dann, überhaupt schwanger zu werden? Um eine Schwangerschaft und Stillen auszugleichen in einer gleichberechtigten Welt, müsste der andere Elternteil im Kern drei Jahre alle Sorgeaufgaben allein machen – mit blendender Laune. Ohne Applaus. Bzw. mit gleich viel Applaus, wie man fürs Stillen und Beckenbodentraining bekommt.

Für welchen Umgang mit patriarchalen Arschlöchern, für welche Form der Machtkritik und Solidarität durch cis Männer, sollte es Lob und Anerkennung geben? Wenn überhaupt, dann für Verhaltensweisen, die aus dem Patriarchat führen. Denn beschrieben wurde es oft genug. Aber wenn Männer Gleichberechtigung wollen und patriarchale Strukturen falsch finden sowie ihre Beteiligung daran erkennen, müssten sie dafür nicht ohnehin und zudem ohne Aufforderung dafür kämpfen?

Emilia Roig formuliert dazu einen Anstoß in ihrem Buch „Das Ende der Ehe“ (Öffnet in neuem Fenster), in dem sie schreibt:

„Der Mythos des »guten Kerls« erhält die Idee aufrecht, dass das Patriarchat von Monstern getragen wird: von Frauenschlägern, Serienmördern, Vergewaltigern. Doch auch sie sind keine Monster, sondern einfach Männer. (…) Würden die mitschuldigen Männer aufhören, die gesamte Verantwortung für die patriarchale Unterdrückung auf »andere« Männer und »Monster« zu schieben, das Patriarchat würde zu zerbröckeln beginnen. Männer wollen ihre Vorherrschaft nicht anerkennen, denn im Moment dieses Eingeständnisses könnte sie nicht mehr als normal betrachtet werden. Sie haben ein kollektives Interesse, ihre Position in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Das gilt genauso für Männer außerhalb der hegemonialen Männlichkeit – als auch für die »guten Kerle«.“

Benjamin von Stuckrad-Barre ist ein »guter Kerl«, weil er Machtmissbrauch falsch findet und das sogar in eine Kamera sagt. Dennoch ist er Teil der patriarchalen Ordnung, denn als Mann profitiert er von ihr. Dafür müssen Männer keine Arschlöcher sein, den Zugang zu Privilegien und Macht bekommen sie in einer Gesellschaft, die Männlichkeit als etwas Überlegenes markiert, einfach so. Stuckrad-Barre soll für seine journalistische Tätigkeit bei Axel-Springer ein Monatsgehalt von 40.000 Euro bezogen haben, für eine Handvoll Texte pro Jahr. Im Spiegel-Interview zum Roman bezeichnet er es als „Schmerzensgeld dafür, dass ich mich dauernd rechtfertigen musste, für diesen Verlag zu arbeiten.“

Die jungen Verlagskolleginnen hingegen, für die der Autor heute Mitleid empfindet, bekamen einen Bruchteil dieses Gehalt und kein reales Schmerzensgeld für ihr erlittenes Leid. Es ist unwahrscheinlich, dass selbst erfahrene und exzellente Autorinnen bei Springer für ihr Können so gut bezahlt werden. Auch in der Buch-Branche liegt Gender-Pay-Gap weit über dem deutschen Durchschnittswert und klatscht sich ab mit dem Gender-Gap der Buch-Kritiken im Feuilleton – da Boys am liebsten Boys besprechen. Das liegt nicht an der Qualität von Literatur, sondern daran, dass Männlichkeit zu Glitzerstaub zerfällt, wenn Literaturkritiker weibliche und queere Perspektiven und Texte ebenso relevant, genial und aufregend finden wie Texte von etablierten oder vielversprechenden Männern. Man muss kein Monster sein, um sich an dominanter Männlichkeit festzuklammern, zu wenig Vorstellungskraft und Neugierde für das, was dahinter liegt, die fehlende Lust sich wirklich selbst etwas abzufordern, gesellschaftlich und intellektuell, reicht aus.

Wenn die Telefonseelsorge-Benjamin gerade nicht belegt ist, könnte er sich durch Kulturredaktionen telefonieren und sagen, wie eklig er den patriarchalen Sumpf der Literaturkritik findet. Er könnte herausfinden, um wie viel größer die finanzielle Macht ist, mit der Auftraggeber ihn ausstatten, weil er Autor und nicht Autorin ist und das zu viel gezahlte Schmerzensgeld an Organisationen spenden, die Betroffene patriarchaler Gewalt beraten und dabei unterstützen, sich aus missbräuchlichen Beziehungen zu lösen. Er könnte einen Essay darüber schreiben, was es mit ganz normalen Männern wie ihm neben den vermeintlichen Monstern zu tun hat, dass der Kulturwandel nach #metoo nicht stattgefunden hat. Sich umschauen im Freundeskreis und benennen, welche Ungleichheit darin liegt, dass die hetero Männer älter werden, aber der Altersabstand zu Frauen, in die sie nach Trennungen verlieben, immer größer wird. Wie es die Macht in Beziehungen prägt, wenn eine Person zwei Jahrzehnte weniger Lebenserfahrung besitzt. Er könnte über die Arschlöcher schreiben, die sagen „Baby, wir machen das gleichberechtigt“ und dann nach der Geburt des Kindes im Job unentbehrlich sind oder mit ihrem vollen Gehalt nur für sich, nicht für die teilzeitarbeitende Partnerin vorsorgen.

Es ist leicht, Macht und Sex und Neurosen in einer Boulevard-Redaktion abstoßend und böse zu finden, ein Roman darüber schillernder als die Machtgefälle am Wickeltisch. Aber eklig und ungerecht ist das Patriarchat in jeder seiner Verästelungen.

Kunst kann mehr, als das Patriarchat plakativ zu erzählen, sie kann die eigene Involviertheit in diese Macht beschreiben, denn nur so könnte sie mit ihr brechen. Der Künstler kann, er entscheidet, wie weit er geht, er muss nicht.

Darüber, welche feministische Praktiken der patriarchalen Aufmerksamkeitsökonomie etwas entgegensetzen können, die auch dieser Newsletter wieder reproduziert, schreibe ich beim nächsten Mal.

Bis bald,
Teresa

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Lesungstermine zum Buch »Alle_Zeit« findet ihr aktualisiert immer auf meiner Website (Öffnet in neuem Fenster), die nächsten Termine, die feststehen, sind:

03.05.2023 – Karlsruhe
p8, Schauenburgstraße 5
Tickets hier (Öffnet in neuem Fenster)

10.05.2023 – Berlin
Ingeborg-Drewitz-Bibliothek
Lesereihe »Demokratie Mitgestalten!«
17 Uhr
Eintritt frei, Anmeldung und Infos (Öffnet in neuem Fenster)

11.05.2023 – Erfurt
Mehr Infos hier (Öffnet in neuem Fenster)

03.06.2023 – Berlin
Lange Buchnacht in der Oranienstraße
www.lange-buchnacht.de (Öffnet in neuem Fenster)

14.06.2023 – Braunschweig
Infos folgen

15.06.2023 – Düsseldorf
Salonfestival (Öffnet in neuem Fenster)

26.06.2023 – Berlin
Zenner Weingarten im Treptower Park
www.buchboxberlin.de (Öffnet in neuem Fenster)

29.06.2023 – Bremen
organisiert von bella donna e.V.

Mehr Infos im PDF-Programm (Öffnet in neuem Fenster)

24.08.2023 – Hamburg
Infos folgen

31.08.2023 – Siegen
Infos in Kürze bei kulturgruen-siegen.de (Öffnet in neuem Fenster)

13.09.2023 – Köln
Kairos Blue
organisiert vom Buchladen Neusser Straße (Öffnet in neuem Fenster)

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