Zum Hauptinhalt springen

Willst du Präsenz oder Freiheit von mir?

„Die Frauen ihrerseits wissen, daß die Männergesellschaft ihre Präsenz, aber nicht ihre Freiheit braucht.“

An diesem Zitat aus dem Buch „Wie weibliche Freiheit entsteht“ (Öffnet in neuem Fenster) (Libreria delle donne di Milano) blieb ich kürzlich hängen, als ich es wieder einmal durchsah, um ein Zitat für die Podcast-Aufnahme für „Freiheit Deluxe“ (Öffnet in neuem Fenster) mit Jagoda Marinić auszuwählen. Ich entschied mich für ein anderes Zitat (Öffnet in neuem Fenster), um das Gespräch über Freiheit weiter zu öffnen und nicht gleich damit einzusteigen, wie patriarchale Strukturen die Freiheit so vieler Menschen begrenzen und den Fokus auf Unterdrückung und cis Männer zu legen, aber seither beschäftigt es mich. Zögerlich darin, es zu verwenden, war ich mit Sicherheit auch, weil es eine harte Feststellung ist und ich noch länger darüber nachdenken wollte, ob ein 1987 veröffentlichter Text heute noch gültig sein kann oder ich ihm zugestehen will, wenig von seiner Aktualität verloren zu haben.

Das Zitat ließ und lässt mich außerdem über meine eigenen Erfahrungen reflektieren und nach Erinnerungen suchen, in denen ich gespürt hatte, dass explizit cis Männer an meiner Freiheit interessiert waren oder mir mehr davon ermöglichen wollten. Überwiegen diese Erlebnisse und Empfindungen oder solche, bei denen es umgekehrt war? Erlebnisse, bei denen ich mich eingeschränkt oder begrenzt fühlte, meine Freiheit als bedroht empfand? Habe ich erlebt, dass nur meine Präsenz erwünscht war, und ich all das von mir, was über mein Dortsein hinaus ging, zurückhalten oder unsichtbar machen sollte?

„Willst du Präsenz oder Freiheit von mir?“, könnte eine Frage an andere sein.

Die Anpassungsleistung, die in patriarchalen Strukturen von einem großen Teil der Menschen verlangt wird, beschreibt genau das. Sie sollen da sein, jedoch als angepasste Version ihrer selbst; ihre Präsenz darf schmücken, sie darf praktisch sein, sie darf anderen Annehmlichkeiten bieten. Der Satz der Italienerinnen, die das Buch verfassten, kann ebenso angewandt werden auf die gesellschaftliche Arbeitsteilung und Bewertung von Arbeit, in der zwar die Arbeitskraft mancher Menschen gebraucht wird, Respekt für sie, ihre Mitbestimmung, ihre Freiheit hingegen nicht. 

Um bestehende Machtstrukturen aufrecht zu erhalten, darf es eine echte Freiheit für alle nicht geben. Und das ist wichtig für feministische Kämpfe: Das Patriarchat verträgt Gleichberechtigung sehr lang, ohne ins Wanken zu kommen, es verträgt die volle Freiheit derer, die es als Abweichung markiert, hingegen nicht. Denn Freiheit umfasst mehr, als lediglich das auch zu dürfen, was andere schon immer durften und konnten. Freiheit umfasst bislang ungedachte oder unsichtbare Lebensentwürfe realisieren und zeigen zu können. Anderen mehr Freiheit zu ermöglichen, geht einher mit Veränderung für sich selbst. Für eine Gesellschaft hieße das, dass sich in allen Teilen der Gesellschaft etwas verändern muss, die gesellschaftliche Ordnung nicht gleich bleiben kann, und sie schließlich Freiheit neu und weiter fasst als bisher. Denn ist das, was wir als cis männliche Normalbiografie kennen, die Art von Freiheit, die alle anstreben und die für alle funktioniert?

Helga Nowoty schrieb in ihrem 1989 erschienenen Buch »Eigenzeit«:

„Doch für den Fall, daß die Frauen und die Frauenbewegung nicht genug Kraft aufbringen sollten, den Männern das Fließband, auf dem sie ihr Leben bearbeiten, abzuschalten, wird vielleicht die (wenn auch erst keimartig sich regende) Sehnsucht nach einer ,alternativen' Zeiterfahrung, nach einem Tag, ,dem man nicht schon am Morgen seinen Abend ansieht, dafür ausreichen.“

An dieses Zitat denke ich oft, wenn ich an das gegenwärtige Verständnis von Gleichberechtigung denke.

Es macht einen Unterschied, zu fragen, ob jemand die Gleichberechtigung anderer unterstützt, oder ihre Freiheit.

Der Widerstand gegen die Freiheit aller Frauen zeigt sich beispielsweise in der Restangst vor Frauen, die unabhängig sind, klug und meinungsstark, die keine Familie gründen und es nie bereuen. Die ,starke Singlefrau‘ wird noch immer heroisiert und bewundert, als kulturelles Phänomen beschrieben, was nur dann Sinn ergibt, wenn sie besonders ist und rar, wenn von ihr nicht die Gefahr ausgeht, dass jede Frau so wie sie sein könnte. Die eine besondere Frau in einer Runde von Männern wird akzeptiert – wie die junge Autorin in einem eher verstaubten Feuilleton – doch eine Schar von Frauen auftreten lassen, sie sogar in der Mehrzahl zu wissen, wie oft haben wir diese Veränderung schon erlebt? Man könnte sagen: Wären Männer an der Freiheit von Frauen wirklich interessiert, würde und dürfte es vorkommen, dass Frauen und queere Menschen immer wieder einmal öffentlich in der Mehrheit sind und cis Männer an der Teilhabe in Gruppen interessiert sind, in denen sie selbst die Minderheit sind. Sie könnten zu Veranstaltungen gehen, deren Themen auch ihr Leben stark betreffen, die aber nach wie vor allem von FLINTA* diskutiert werden. Wer schon einmal Konferenzen zu geteilter Sorgearbeit oder Vielfalt in der Arbeitswelt besucht hat, kennt das Bild, das sich dort ergibt. Und seit Jahren verändert sich daran kaum etwas, obgleich doch cis Männer, wenn sie gefragt werden, „für Gleichberechtigung“ sind. Übersetzt sich das Dafür-Sein dann auch in Interesse und Aktion?

Die patriarchale Gesellschaft nutzt auf eine Weise die ,besonderen, starken Frauen‘, um sich mit ihrer Präsenz zu schmücken und sie als Beweis zu nehmen, dass Freiheit für Frauen möglich ist. Sie täuscht die Freiheit der Frauen an, in dem sie diese einigen wenigen ermöglicht. Frauen können jedoch in diesem Konstrukt nur frei sein, wenn sie sich in einer bestimmten Weise verhalten, was oft auch einschließt, sich von anderen Frauen abzugrenzen und darauf zu bestehen, ,anders‘ zu sein als die Masse anderer Frauen. Die ,starke Frau‘ stilisiert sich manchmal selbst als Ausnahmeerscheinung und betont die Mühen, die ihre Selbstbestimmung kostet, was paradox erscheint, denn diese Selbstsicht zementiert, dass nur wenige Frauen frei sein können. Zumindest in einem feministischen Verständnis, dass die Unterschiedlichkeit aller Menschen anerkennt und damit auch, dass die Voraussetzungen durch eigene Kraft selbstbestimmt leben zu können, ebenso unterschiedlich sind. Solange Freiheit (für Frauen) mit großer Anstrengung verbunden bleibt, wird sie niemals allen zuteil, sind niemals alle frei geboren.

Sicherlich können und müssen sich Menschen immer wieder Freiheit erkämpfen, doch diese Möglichkeit sollte nicht ablenken davon, dass manche Menschen ohne Anstrengung und die meiste Zeit ihres Lebens frei sein können, weil sie als der Maßstab gelten, an dem sich die Welt ausrichtet und orientiert. Die Freiheit anderer schränken somit diejenigen ein, die nicht erkennen, dass der Lebensentwurf, den sie als Maßstab gesetzt haben und aufrechterhalten, weder natürlich noch ideal für alle ist. Freiheit für alle gelingt nicht, wenn alte und enge Maßstäbe gültig bleiben.

Das Zitat „Die Frauen ihrerseits wissen, daß die Männergesellschaft ihre Präsenz, aber nicht ihre Freiheit braucht“ kam mir auch wieder in den Kopf, als ich vor einigen Tagen ein Interview (Öffnet in neuem Fenster)mit dem iranischen Theaterregisseur Amir Reza Koohestani in der SZ las, der darin sagt:

„Und das ist das Überwältigende bei diesem Aufstand in Iran, dass wir, die Männer, nun endlich verstanden haben, dass wir keine Freiheit finden, wenn die Frauen nicht frei sind.“

Deckungsgleich mit der Analyse der italienischen Feministinnen ist das nicht, denn sie gingen von einer Gesellschaft aus, in der das Leben von Männern weitgehend frei und angenehm ist, während im iranischen Regime die Verhältnisse komplexer sind und cis Männer zwar weniger unterdrückt werden als Frauen und Queers, jedoch in ihrer Freiheit viel stärker eingeschränkt sind als ein durchschnittlicher deutscher cis Mann. Die Autorinnen von „Wie weibliche Freiheit entsteht“ plädierten dafür, dass ein Verständnis von weiblicher Freiheit eigenständig und unabhängig von der Akzeptanz durch Männer und von rechtlichen Gegebenheiten verstanden und gelebt würde und befassten sich nicht weiter mit der Situation der Männer – was eine legitime feministische Herangehensweise ist, um die eigene Energie fokussiert zu nutzen und sie nicht dabei zu verbrauchen, Männer davon zu überzeugen, dass ihnen Gleichberechtigung nütze. Amir Reza Koohestani ist hingegen der Auffassung, dass die Freiheit iranischer Männer nicht ohne die Freiheit aller möglich sei, was im Kern anerkennt, dass nicht Männer vorgeben, wie Freiheit aussehen wird, sondern sie sich einer Befreiungsbewegung anschließen werden, die ein gemeinsames Tasten zulässt. Dieses Verständnis fehlt im deutschen Diskurs über Gleichberechtigung bislang und es bezieht sich nicht nur auf Gender.

Er dreht die Verhältnisse um, wenn Amir Reza Koohestani sagt, dass Männer sich der Freiheitsbewegung der Frauen anschließen werden, statt sie in die Rolle zu weisen, ihre Interessen ohne Männer, mit gleichgültigen Männern oder gegen ihren Widerstand zu erkämpfen. Oder wie Selma James einmal in einem anderen feministischen Kontext gesagt hat: „Es beginnt mit Frauen, aber schließt alle ein.“ Das Denken einmal aus dieser Perspektive zu beginnen, gilt nach wie vor als radikal. Was geschieht, wenn wir diejenigen zuerst fragen, uns den Weg von denjenigen zeigen lassen, die gerade weniger Macht haben?

Da der Valentinstag naht, gebe ich das für diejenigen, die hetero cis Männer daten möchten, als Einstiegsfrage für ein erstes Treffen mit: „Wie zeigst du, dass dir die Freiheit von Frauen, nicht nur ihre Präsenz wichtig ist?“ Im Prinzip kann man diese Frage jedem Mann zu jeder Zeit stellen und jeder Person, die in der Gesellschaftsordnung gerade mächtiger und freier ist als andere.

Zufällig liegt der Valentinstag nahe beim Equal-Pay-Day, für den ich in meiner Zeit auf dieser Erde bislang kein gesteigertes Interesse von Männern wahrgenommen habe.

„Ich verdiene nun mal mehr, ich kann keine Elternzeit nehmen.“

Ups.

Kann man da nichts machen? Wie viele Jahrzehnte reden wir nun schon darüber und erwähnen es mit Bedauern?

Ich persönlich frage mich immer, wo die Liebe in Beziehungen ist, wenn derjenige, der mehr verdient, nicht wirklich darüber nachdenkt, wie es der anderen Person (mit ggf. Kindern) ergeht, wenn er selbst stirbt oder sich trennt.

Wenn du jemanden liebst und wirklich magst, müsste dein Interesse auch umfassen, dass es dieser Person einmal ohne dich gut gehen wird – was auch immer die Gründe dafür sein werden.

Dementsprechend ist eine Partner_innenschaft auf Augenhöhe erst dann gegeben, wenn darüber nachgedacht werden kann, dass eure Wege sich einmal trennen und ein Interesse und eine Verantwortung dahingehend besteht, dass es beiden weiterhin gutgehen kann. Liebe kann keine finanziellen Abhängigkeiten umfassen, die im Fall des Beziehungsendes nicht aufgefangen werden können, da ein Machtungleichgewicht besteht, das Freiheit so gut wie unmöglich macht. Wer jetzt liebt, sorgt füreinander vor oder ermöglicht finanzielle Eigenständigkeit. Auf diese Weise denkt man die Freiheit der anderen Person mit, schätzt ihre Freiheit um ihrer selbst willen, nicht lediglich ihre Präsenz.

Vielleicht ist das der eigentliche Care-Gap, oder ein zweiter. In Beziehungen und der Gesellschaft: Sich nicht um die Freiheit der anderen zu kümmern – not caring about – weil das eigene Leben sorglos ist.

Bis bald
Teresa

Wenn ihr meinen Newsletter »Zwischenzeit_en« mögt und unterstützen wollt, freu ich mich sehr, wenn ihr ein Steady-Abo (Öffnet in neuem Fenster) abschließt und damit möglich macht, dass ich ihn regelmäßig schreiben kann. Danke <3

Lesungstermine zum Buch »Alle_Zeit« findet ihr aktualisiert immer auf meiner Website (Öffnet in neuem Fenster), die nächsten Termine, die feststehen, sind:

15.02.2023 – Berlin (verlegt von der Backfabrik ins Babylon)

Backfabrik, 19.30 Uhr
Moderiert von Şeyda Kurt

01.03. – Frankfurt am Main
Lesung zum Internationalen Frauentag
auf Einladung der GEW Hessen
Infos und Anmeldung (Öffnet in neuem Fenster)

08.03.2023 – München
Literaturhaus München
»Deine Entscheidung« Ein Abend mit Laura Dornheim und Teresa Bücker
Infos und Tickets (Öffnet in neuem Fenster)

09.03.2023 – München
organisiert von Frauenstudien München e.V.
in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung

(ausverkauft)

11.03.2023 – Baden-Baden
Stadt Baden-Baden, Gleichstellungsstelle
Vortrag zum Internationalen Weltfrauentag

16.03.2023 – Berlin
»24 Hours« – Gemeinsame Lesung mit Jacinta Nandi
www.frauenmaerz.de (Öffnet in neuem Fenster)

19.03.2023 – Zürich
Kaufleuten, 19 Uhr
Tickets hier (Öffnet in neuem Fenster)

20.03.2023 – Basel
UM Politics Talk (Öffnet in neuem Fenster)
Infos folgen

22.03.2023 – Aalen
Wortgewaltig
Tickets hier (Öffnet in neuem Fenster)

23.03.2023 – Düsseldorf
Salonfestival
Tickets hier (Öffnet in neuem Fenster)

17.04.2023 – Ravensburg
Humpis Montagsforum, Frühjahrssemester 2023 »Freiheit«
Vortrag zu »Alle_Zeit«
Mehr Infos hier (Öffnet in neuem Fenster)

18.04.2023 – Freiburg
»Your place to read – die Leipziger Buchmesse on tour«
Gespräch mit Lisa Jaspers (Herausgeberin »Unlearn Patriarchy«) und Karla Paul.
Mehr Infos hier (Öffnet in neuem Fenster)

24.04.2023 – Frankfurt
Salonfestival
Tickets hier (Öffnet in neuem Fenster)

03.05.2023 – Karlsruhe (Infos folgen noch)

11.05.2023 – Erfurt (Infos folgen noch)

In Abstimmung sind zudem gerade u.a. noch Lesungen Wien und eine weitere Lesung in Bremen.

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Zwischenzeit_en und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden