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Alles eine Frage der Zeit

Natur und innere Uhr – auf das Timing kommt es an

Ein surreales Bild, Bäume, wilde Tiere, Pflanzen, Menschen, eine riesige Uhr über einer Bahnhaltestelle.
KI-Bild, ChatGPT, Prompt: Ulrike Gebhardt
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Für viele Touristen, die nach Phillip Island (Australien) kommen, ist es eine Attraktion: Jeden Tag kurz nach Sonnenuntergang watscheln Hunderte bis Tausende Zwergpinguine vom Ufer des Ozeans in Richtung Brutkolonien zu ihren Höhlen in Felsspalten, Erdlöchern oder unter Baumwurzeln.

Der Zeitpunkt der Rückkehr ist nicht zufällig. Nach ihren Tauchgängen auf der Jagd nach Heringen, kleinen Tintenfischen und Krebstieren wählen die Pinguine das Zeitfenster zwischen Tag und Nacht mit Bedacht oder genauer: Ihre inneren Uhren bewegen die Vögel dazu, genau jetzt zurückzukehren.

Noch sei genug Licht da, um den Weg zurück zur Höhle zu finden, noch seien nächtliche Raubtiere wie Orcas und wilde Katzen nicht aktiv. „Eine um nur zehn Minuten verschobene innere Uhr könnte sich als tödlich erweisen“, schreibt die US-amerikanische Wissenschaftsjournalistin Lynne Peeples in ihrem Buch (Öffnet in neuem Fenster) „The Inner Clock – Living In Sync With Our Circadian Rhythms“ (Riverhead Books 2024).

Die Pinguin-Parade erinnert mich an ein Erlebnis, das ich vor Jahren im Herbst in Zingst an der mecklenburgisch-vorpommerschen Ostseeküste hatte: Jeden Abend zur gleichen Zeit fanden sich an den Boddengewässern Kraniche in Scharen ein, die von ihrer Futtersuche zurückkehrten. In perfekter Koordination ließen sie sich in Dutzenden Gruppen an ihren Übernachtungsplätzen im knöcheltiefen Wasser nieder.

Die große Anzahl der Vögel, die den Himmel für einen Moment dunkel färbten, ihre Rufe, die großen Schwingen, die würdevolle Ausstrahlung dieser grazilen Tiere in der Abenddämmerung beeindruckten mich, aber vor allem staunte ich über die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihren Lebensraum einnahmen.

Das Timing sei alles, wenn es darum gehe, Nahrung zu suchen oder zu verdauen, sich zu bevorraten, zu verhindern, dass man selbst Beute und damit Nahrung für andere werde, der DNA-schädigenden UV-Strahlung auszuweichen und eigentlich bei allen Aktivitäten wie Migration, Navigation und Fortpflanzung, schreibt Peeples.

Dabei agieren alle Lebewesen nach einem genialen Prinzip: Nicht allein die äußeren Reize, das Licht, die Temperatur, die Tageslänge diktieren den Zeitplan. Dank innerer Uhren, die in jeder einzelnen Zelle ticken, kann sich der Organismus bereits auf ein Ereignis einstellen, bevor es eintritt.

https://youtu.be/n52VB7sX8xo (Öffnet in neuem Fenster)

Das gilt nicht nur für den Zwergpinguin, den Kranich, den Zitronenfalter (Öffnet in neuem Fenster), den Aal (Öffnet in neuem Fenster) oder die Rotbuche (Öffnet in neuem Fenster), das gilt auch für den Menschen. Sämtliche Stoffwechselprozesse, der Blutdruck, der Herzschlag, die Verdauung, die Immunaktivität, ja sogar das Verhalten werden bestimmt von den inneren Rhythmen, vom Auf und Ab der regulierenden Botenstoffe und Hormone.

„Die (innere) Uhr hilft unserem Verdauungs- und Stoffwechselsystem, sich rechtzeitig auf die effiziente Verarbeitung einer Mahlzeit einzustellen, vorausgesetzt, diese Mahlzeiten kommen jeden Tag zu den gleichen Zeiten“, erklärt Lynne Peeples.

Die inneren Uhren ticken dabei nicht stur vor sich hin, sie reagieren auch auf die äußeren Reize. „Das Zusammenspiel aus inneren Bio-Uhren und Abstimmung mit der Außenwelt ergibt (..) ein ebenso genaues wie anpassungsfähiges System zur Zeitmessung“, schreibt der Biologe und Journalist Peter Spork (Öffnet in neuem Fenster) in seinem Buch „Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“, das man als aktualisierte Artikelserie hier nachlesen (Öffnet in neuem Fenster) kann.

https://www.riffreporter.de/de/wissen/neue-zeitkultur-chronobiologie-innere-uhr-guter-schlaf-rhythmus-gesundheit (Öffnet in neuem Fenster)

Wenn wir ausschlafen und den Tag einmal ohne Wecker beginnen können, weiß der Körper schon rund zwei Stunden vorher, dass wir demnächst aufwachen werden. Eine „Masterclock“ im Zwischenhirn gibt die entscheidenden Befehle, damit der Körper sich auf den Tag vorbereitet: Die Nebennieren schütten das Stresshormon Cortisol aus. „Blutdruck und Puls steigen, die Leber produziert Zucker als Energiequelle für die ersten (..) Schritte ins Badezimmer. Die Muskulatur wird stärker durchblutet, damit der Zucker auch sein Zielorgan erreicht, und das Immunsystem, das während des Schlafs auf Hochtouren Erreger aller Art bekämpft hat, fährt sich allmählich herunter“, schreibt Peter.

Schwierig wird es, wenn sich die inneren Rhythmen, die inneren Uhren, die sich über Jahrmillionen im Einklang mit den äußeren naturgegebenen Rhythmen wie Tag und Nacht oder auch Sommer und Winter entwickelt haben, so gar nicht mehr in unsere moderne Welt einfügen: Kaum ein Schulkind, kaum ein(e) Berufstätige(r) steht heute ohne Wecker auf. Viele starren bis in den späten Abend hinein auf helle Bildschirme. Die Lichtsensoren in den Augen verstehen nicht unbedingt, dass diese Sonnen künstlich sind. Einschlaf- oder Durchschlafstörungen können die Folge sein.

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Eigentlich ist die Dämmerung der Zeitpunkt, an dem unsere inneren Uhren die Zirbeldrüse im Gehirn anweisen, Melatonin auszuschütten. „Dieses Hormon teilt dem Körper mit, dass die Dunkelheit hereingebrochen ist und dass es für uns tagaktive Lebewesen Zeit für die Nachruhe ist“, schreibt Lynne Peeples.

Der moderne Mensch lebt vielfach nicht in Übereinstimmung mit den natürlichen Rhythmen des Tages und der Jahreszeiten. Unsere inneren Uhren unterschieden sich jedoch kaum von jener des Steinzeitmenschen, aber umso mehr die Lebensweise, erklärt Peter: „Sie ist radikal verschieden von der unserer Vorfahren. Das hat gravierende Folgen für unser Wohlbefinden, unsere Leistungsfähigkeit und unsere Gesundheit.“

Nicht nur die Tageszeit, auch der Jahreslauf hat sich tief in die innere Zeitplanung sämtlicher Lebewesen eingeprägt. Die technisierte, künstlich helle Welt (Öffnet in neuem Fenster) erzeugt bei Pflanze, Tier und Mensch genauso Turbulenzen wie die Klimaerwärmung: Ein weißer Schneehase in einer Landschaft ohne Schnee ist leichte Beute für ein Raubtier. Als die Tage kürzer wurden, war sein Fell von dunkelbraun zu weiß gewechselt. Wegen der Klimaerwärmung schmilzt der Schnee früher. Der Hase ist darauf (noch) nicht vorbereitet.

Text: Dr. Ulrike Gebhardt

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Kategorie Natur + Rhythmus

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