Zum Hauptinhalt springen

Je härter die Kindheit, desto härter die Politik, oder: Gleichwürdigkeit als universelles Erziehungsprinzip

Dies ist der zweite Teil zum Thema Aufwachsen und feministisch Erziehen in patriarchalen Strukturen.

Hier könnt ihr euch den Text von mir vorlesen lassen (21:19 Minuten):

In den vergangenen Wochen habe ich alles mögliche zu toxischer Männlichkeit und Erziehung gelesen. Die Frage, die ich bei meiner Lektüre stets im Hinterkopf trug, folgte aus den Überlegungen, die ich in meinem letzten Text angestoßen hatte:

Was kann ich als Elternteil tun, um mein Kind für die Welt außerhalb unserer Kleinfamilie so zu wappnen, dass es selbst zwischen Richtig und Falsch unterscheiden kann, die Grenzen anderer Menschen stets respektiert und erkennt und hilft, wenn andere sich nicht so verhalten, obwohl es dafür in seiner Peer-Group keine Anerkennung bekommt?

In Anbetracht der Mann-versus-Bär-Debatte war ich zuletzt nicht besonders optimistisch, dass es mir gelingen würde, mit den bekannten Tipps zur feministischen Erziehung mein männlich gelesenes Kind erfolgreich zum Ally zu machen. Man verliert ja doch den Einfluss als Eltern, früher oder später, und ich hätte ja auch irgendwie mein Erziehungsziel verfehlt, wenn mein Kind die feministische Haltung seiner Eltern niemals in Frage stellen würde. Oder?

Ja, schon. Denn auch wenn ich natürlich davon ausgehe, dass mein Kind nach kurzer Überlegung selbst zu dem Schluss kommen wird, dass Frauen vollwertige Menschen sind und Männer ebenfalls zu Fürsorge fähig, so möchte ich doch, dass es eigenständig denken und handeln lernt. Und deswegen, so stellte ich während meiner Überlegungen fest, ergibt es keinerlei Sinn, Männlichkeitsideale und Erziehung kritisch zu hinterfragen, ohne zugleich über Autoritarismus zu sprechen. Autoritarismus, also zum einen die politische und soziale Organisationsform, die durch strenge hierarchische Kontrolle, Unterdrückung abweichender Meinungen und Konzentration der Macht in den Händen einer oder weniger Autoritäten gekennzeichnet ist, und zum anderen Autoritarismus als Neigung, den Anweisungen und Regeln von als legitim anerkannten Autoritäten zu folgen, ohne diese kritisch zu hinterfragen.

Die Verbundenheit von toxischer Männlichkeit und Autoritarismus ist weder grundsätzlich noch für mich persönlich eine komplett neue Erkenntnis, aber wie das oft so ist, stechen einem die Zusammenhänge nicht immer sofort ins Auge. Ich bin auch noch längst nicht so weit, dass ich am Ende dieses Textes ein abschließendes Fazit formulieren könnte, aber ich will gern teilen, was sich mir bisher erschlossen hat.

Je härter die Politik…

In seinem Buch “Erziehung prägt Gesinnung” (2020) schreibt der Pädagoge Herbert Renz-Polster ausführlich über die aufstrebenden konservativen und rechten Parteien in den USA wie auch hierzulande und belegt dabei unmissverständlich den Zusammenhang: Autoritäre Erziehung prägt Persönlichkeiten* mit der Tendenz, “sich in ein System von Befehl und Gehorsam einzugliedern” (Renz-Polster, 31). Sie bevorzugen klare Hierarchien und feste Strukturen, die Sicherheit und Vorhersehbarkeit bieten. Ambiguität und Unsicherheit werden gemieden. Autoritäre Persönlichkeiten neigen dazu, Abweichungen von Normen und Regeln zu verurteilen und Abweichler*innen zu bestrafen oder zu marginalisieren. Sie legen großen Wert auf Disziplin und die Einhaltung von sozialen Normen und Regeln, sowohl in ihrem eigenen Verhalten als auch im Verhalten anderer. Es besteht ein Hang zu traditionellen Werten und etablierten Praktiken. Veränderungen wird skeptisch begegnet.

*Autoritarismus als Persönlichkeitsmerkmal wurde in der Psychologie intensiv untersucht, insbesondere im Zusammenhang mit der "Autoritären Persönlichkeit", einem Konzept, das von Theodor W. Adorno und seinen Kollegen (Kolleginnen?!) in den 1950er Jahren entwickelt wurde.

Ein Hauptgrund dafür ist, dass alles, was von einer empfundenen Norm abweicht, Stress verursacht, und die Stresstoleranz von Kindern, die mit dem strategischen Einsatz von Angst und Bestrafung erzogen wurden, dauerhaft herabgesetzt ist. Ich finde das leider nicht mehr, aber ich habe mal eine Dokumentation gesehen, in der es darum ging, wie gut unterschiedlich aufgewachsene Menschen mit dem Stress umgehen können, der mit einem öffentlichen Auftritt einhergeht. Gemessen wurde dabei nicht das Stressempfinden, sondern physiologische Werte. Bei den Erwachsenen, die von Kindheitsstress betroffen waren, sanken die Cortisolwerte langsamer als bei denen, die keine oder wenige schlechte Erfahrungen hatten. Hier ist ein Text (Öffnet in neuem Fenster), der in eine ähnliche Richtung geht (“Wie Stress in der Kindheit das Gehirn schädigen kann”). Renz-Polster formuliert ähnliches und beschreibt weiter:

“Setzt man die US-amerikanischen Bundesländer, in denen an den Schulen körperliche Strafen gegen Kinder zugelassen sind, in Bezug auf die dort registrierten Gefängnisinsassen pro 100.000 Einwohner, so zeigt sich ein frappierender Zusammenhang: die Zahl der Strafgefangenen ist umso höher, je öfter an Schulen Kinder geprügelt oder sonst wie körperlich bestraft werden. Und auch hier fügt sich die Reihenfolge in der Statistik zum immer gleichen, politischen Bild: die Bestrafungslandkarte ist von der politischen Landkarte praktisch nicht zu unterscheiden.” (Renz-Polster, 43) Oder anders ausgedrückt: “Je härter die Kindheit, desto härter die Politik.” (ebd., 39) Je drakonischer der Liebesentzug, desto größer der Wunsch nach klaren Regeln und desto größer die Empfänglichkeit für angstschürenden Populismus.

Hart, härter, männlich

Härte, Stärke und Dominanz sind die Kernattribute autoritärer Erziehung, denn sie sind erforderlich, um die Erziehung durchzuführen. Wer sie besitzt, hat die Macht und gibt den moralischen Rahmen vor, innerhalb dessen sich das Kind bewegen kann. Das Kind lernt schnell, sich einzupassen, da sein Überleben von der Anpassungsfähigkeit abhängt.** Zu der Macht gesellen sich somit vermeintliche Tugenden wie Folgsamkeit oder Gehorsam, die ebenfalls als Stärke uminterpretiert werden, sofern es denn Mühen bereitet, sie umzusetzen.

**Überleben meint hier sowohl den physiologischen als auch den emotionalen Aspekt. Ich habe in “Für Sorge” dargelegt, warum der emotionale Part – Nähe, Zuneigung – ebenso wichtig ist wie der körperliche, der durch Nahrung, Unterkunft und materielle Versorgung abgedeckt wird.

Die Kernattribute der autoritären Macht sind männlich besetzt und werden im Patriarchat, also unter der HERRschaft der Väter, vor allem von Männern ausgeübt. Sie müssen es daher besonders lernen, hart und dominant zu sein, und so wird mit Jungs auch umgegangen. Viele Eltern werden schneller laut, machen häufiger “klare Ansagen”, fragen weniger nach Beweggründen und besprechen Konflikte seltener nach. Jungs müssen diese emotionale Arbeit ja nicht können, später, da Mädchen bzw. Frauen das für sie übernehmen. Sie müssen sich im Gegenteil so klar wie möglich abgrenzen von allem, was weiblich konnotiert ist: Empathie, Verständnis, Vergebung, Weichheit. Das stört nur in der Ausübung der patriarchalen Macht, die auf der Hierarchie zwischen Männern und Frauen beruht und somit systembedingt eine Abwertung von allem Weiblichen beinhaltet.***

***Sandra Harding schreibt in ihrem Buch über feministische Wissenschaftstheorie über die These, dass Jungs schon sehr früh spüren, dass Mädchen und Frauen nicht auf der gleichen Stufe stehen wie Jungs und Männer, und sich auch deswegen mit allen Mitteln von ihnen unterscheiden wollen. Das erscheint mir sehr plausibel. Bloß nicht zur unterdrückten Gruppe gehören zu wollen ist ein gut nachvollziehbarer und ziemlich rationaler Grund für Misogynie. Was für ein Teufelskreis.

Cool, kälter, konfliktunfähig

Eine Folge davon beschreibt Asha Hedayati in “Die stille Gewalt”:

Um weiterlesen zu können, werde Mitglied in meiner Steady-Community und unterstütze meine Arbeit mit einem kleinen Beitrag!

HIER MITGLIED WERDEN (Öffnet in neuem Fenster)

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Struktur & Liebe und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden