Wann ist Mann einer von den “Guten”?
Hier ist eine Feminismus-Fortschritts-Skala zur Einordnung. Credit: Heather Orr aka @hope_peddler.
Hier kannst du dir den Text von mir vorlesen lassen (5:50 Min):
Dass ein bisschen Nagellack nicht reicht, um als feministischer Verbündeter gefeiert zu werden, sollte wenig überraschen. Schon gar nicht, wenn das Nagellacktragen eigentlich Werbung ist und der jeweilige cis Mann damit Geld verdient, wie die Autorin Tara-Louise Witwer in ihrer Spiegel-Kolumne (Öffnet in neuem Fenster) letzte Woche erläuterte. Sie findet: “Du bist erst dann feministisch, wenn du Bühnen räumst und Platz machst für Frauen. Du bist erst dann feministisch, wenn du kein Hauptakteur, sondern Unterstützer bist.” Noch deutlicher wurde neulich Mareice Kaiser, die ihre Meinung über feministische Daddy-Influencer so zusammenfasste: “Ich finde, den meisten ist geholfen, wenn Männer die Klappe halten und das Klo putzen.” (WOZ Die Wochenzeitung (Öffnet in neuem Fenster) 2024).
Aber – wo ist jetzt genau die Grenze? Wie viele der 40 Tipps von Margarete Stokowski für feministisches Mannsein muss Mann umsetzen, um als “gut” zu gelten (Spiegel Online (Öffnet in neuem Fenster))? 20? 30? Alle? Kann man es Frauen überhaupt recht machen?
Die letzte Frage ist natürlich eine Falle. Ein “guter” Feminist weiß selbstverständlich, dass die Frau, der man es nicht recht machen kann, selbst ein sexistisches und damit anti-feministisches Klischee ist. Also, Finger weg und zurück zur Sache!
Folgendes Angebot für eine Einordnung stammt von der amerikanischen Anwältin und Tiktokerin Heather Orr a.k.a. hope_peddler (Öffnet in neuem Fenster). Ich habe ihre sechsteilige Abstufung übersetzt, sie “Feminismus-Fortschritts-Skala” genannt, und den Stufen Typennamen gegeben.
Auf der untersten Stufe befinden sich die Rückwärtsgewandten: Sie denken, dass Frauen weniger kompetent und weniger klug sind als Männer. Biologisch bedingt ist (ihnen zufolge) auch eine Vorprogrammierung für bestimmte Aufgaben wie Putzen, Kochen, Kindererziehen. Rückwärtsgewandte kämpfen entweder für eine Erhaltung des Status Quo oder wollen sogar zurück in eine Zeit, in der Frauen weniger Rechte hatten.
Die Verantwortungsleugner: Sie räumen zwar in Teilen ein, dass Frauen anders behandelt werden als Männer, führen das jedoch unmittelbar auf das Verhalten von Frauen zurück. Egal, worum es geht – sexualisierte Gewalt, Gender Pay Gap, Gender Care Gap, … – sie finden immer eine Frau, der sie die Schuld geben können.
Die Belehrer: Auch sie gestehen ein, dass Frauen zumindest manchmal schlechter behandelt werden als Männer, paaren dies jedoch stets mit zahlreichen Hinweisen, was Frauen tun sollten, um das zu verändern. Andere Kleidung tragen, weniger Alkohol trinken, mehr arbeiten, Erwartungen reduzieren, und so weiter.
Die Passiv-Einsichtigen: Sie erkennen, dass patriarchale Strukturen überall sind, und dass Männer die Verantwortung tragen, das zu ändern. Sie positionieren sich verbal als feministisch, zeichnen sich im Alltag jedoch überwiegend durch eine gewisse Verhaltensstarre aus.
Die Allies: Sie sind sich der allgegenwärtigen Strukturen nicht nur bewusst, sondern riskieren ihr soziales Kapital, um das mitzuteilen und/oder verzichten auf Vorteile zugunsten von Frauen. Sie setzen ihr Verantwortungsbewusstsein in konkrete Handlungen um und sind bereit, sich bei anderen Männern durch Widerspruch und Aufklärung unbeliebt zu machen.
Die Pioniere: Sie machen sich an die innere Arbeit, um Empathie, emotionale Intelligenz und Beziehungsfähigkeit zu entwickeln. Sie haben verstanden, dass es nicht ausreicht, das Problem anzuerkennen und sich ihm zu stellen. Sie sind sich vielmehr dessen bewusst, dass das Problem weiterhin in ihnen lebt und vielleicht immer leben wird. Dieser Schritt erfordert viel Mut und Zeit – vielleicht auch therapeutischen Support und gute Bücher wie etwa von bell hooks „Männer, Männlichkeit und Liebe. Der Wille zur Veränderung“.
Das waren die sechs Stufen, aber die Skala ist nach oben offen. Wo jetzt die Grenze von schlecht zu gut ist? Tja. Diese Frage war auch eine Falle, denn: Es gibt keine Grenze.
Orr beschreibt, dass jede Nennung einer Grenze bedeuten würde, dass ab diesem Punkt keine weitere Arbeit mehr gemacht werden müsse. Eine fixe Grenze suggeriert, dass es irgendwann reicht mit dem feministisch sein. Aber das tut es nicht, und die wenigsten der heutigen Männer werden in ihrem Leben überhaupt Stufe 6 erreichen.
Nichtsdestotrotz: Mit höheren Skalenstufen gehen durchaus höhere Sicherheitsgrade für Frauen einher. Mit Männern ab Stufe 4 (die Passiv-Einsichtigen) würden vermutlich viele Frauen sich überwiegend sicher fühlen. Die meisten würden von den Allies auf Stufe 5 sagen, dass sie welche von den Guten seien. Stufe 6 existiert jedoch nicht umsonst und sie ist auch deswegen so besonders wichtig, weil sie verdeutlicht, dass Gleichberechtigung und das Verlernen von Patriarchat noch um einiges weiter gehen muss als das, was Stokowski, Kaiser und Witwer beschreiben. Denn erst, wenn auch die emotionale Arbeit unter ähnlich kompetenten Menschen geteilt werden kann und sich Männer und Frauen gleichermaßen für die Beziehungsarbeit in Paarkonstellationen, Familien und Freund*innenschaften verantwortlich fühlen, kommen wir echter Gleichstellung näher (ausführlich dazu “Für Sorge”). Und wer weiß, welche Baustellen wir auf diesem Weg noch alles entdecken?
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