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Das große Tabu: Warum Mütter ‘Kindererziehung als Arbeit’ ablehnen

und was da wirklich dran ist

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Ekelhaft, verantwortungslos, kalt: Wenn jemand Care-Tätigkeiten und besonders Aufgaben, die im Kinderkontext anfallen, als “Arbeit” bezeichnet, lässt der Aufschrei nicht lange auf sich warten. Dabei sind es längst nicht nur Männer (oder männlich gelesene Personen), die sich über diese vermeintliche Abwertung aufregen. Ziemlich häufig sind es Frauen (bzw. weiblich gelesene Personen), die mit Nachdruck verkünden, dass sie ihr Kind niemals als Arbeit bezeichnen würden. Jeder Erklärungsversuch, dass damit ja nicht das Kind selbst gemeint ist, sondern Eltern sich nur Anerkennung für die Zeit und die Ressourcen wünschen, die für die Kinder draufgehen, stößt auf taube Ohren.

Aber was ist eigentlich das große Problem dabei?

Wenn Argumente nicht helfen, ist das immer ein Hinweis darauf, dass Gefühle im Spiel sind. Nichts ist argumentationsresistenter als sie, denn Gefühle gehorchen keinem offensichtlichen Ursache-Wirkung-Zusammenhang, sondern folgen einer Innenlogik, deren Rationalität man sich erst erschließen muss. Die Voraussetzung dafür wiederum ist Empathie: Es braucht die Bereitschaft, sich in eine andere Person hineinzuversetzen und dessen Logik nachzuvollziehen, um begreifen zu können, wie die Gefühle entstehen.

Die Ablehnung vieler Mütter, Kindererziehung als “Arbeit” zu bezeichnen, ist eng mit den gesellschaftlichen Vorstellungen von Mutterschaft verbunden. Sie enthüllt bei genauerer Betrachtung außerdem die Unzulänglichkeit unseres Arbeitsbegriffs, aber – fangen wir doch mit dem Teil an, der vielen sicher nicht ganz neu ist.

Der Faktor, der mit am stärksten zur Ablehnung der Bezeichnung der Kindererziehung als "“Arbeit” beiträgt, ist der Muttermythos. Der Muttermythos idealisiert und romantisiert Mutterschaft und stellt sie als natürliche, selbstlose und bedingungslose Liebe dar. Dieser Anspruch erzeugt Druck auf Mütter, die Angst haben, als unfähig oder egoistisch wahrgenommen zu werden, wenn sie ihre Aufgaben im Kinderkontext als “Arbeit” betrachten. Die Furcht vor dem Versagen als Mutter und die Angst, den idealisierten Vorstellungen nicht gerecht zu werden, veranlasst manche dazu , ihre Rolle zu glorifizieren und jeglichen Hinweis darauf zu vermeiden, dass die Kindererziehung mit Anstrengung, Mühe und Entbehrungen verbunden ist.

Mutterschaft wiederum ist eng verbunden mit Idealvorstellungen von Weiblichkeit. Wen das Mamasein erschöpft, ist nicht nur eine schlechte Mutter, sondern auch keine richtige Frau. Geschlechterrollen sind nun das Stichwort zur Überleitung zu dem etwas weniger offensichtlichen Punkt, der mit dem Arbeitsbegriff zu tun hat.

Seit Jahrhunderten wurden Frauen als hauptsächlich für die familiäre Sphäre zuständig angesehen, während Männer traditionell für den Lebensunterhalt der Familie verantwortlich waren, dessen Erwerb im allgemeinen Sprachgebrauch als “Arbeit” bezeichnet wird. Diese tief verwurzelten Vorstellungen formen die Erwartungen daran, welche Aufgaben als “Arbeit” bezeichnet werden können und welche nicht.

Doch nicht nur die Aufteilung bestimmter Tätigkeiten in Kategorien von „Arbeit“ und „Nicht-Arbeit“ sind es, die das Denken prägen, sondern auch die Art und Weise, wie und in welchen Beziehungszusammenhängen diese Arbeit/Nicht-Arbeit ausgeübt wird. 

Lohnarbeitsbeziehungen zeichnen sich durch eine vertraglich vereinbarte Verbindlichkeit aus. Endet der Vertrag, endet die Verbindlichkeit. Das hält selbstverständlich Arbeitgebende nicht davon ab, zu versuchen, an ihren Arbeitsplätzen Familienbeziehungen nachzuahmen, um Menschen stärker an sich zu binden. Sie tun das in vollem Bewusstsein darüber, dass die Beziehungen, die Menschen innerhalb ihrer Familien führen, um ein vielfaches stabiler sind als die Beziehungen zu einem Arbeitgeber, mit dem sie sich im Zweifelsfall nur deswegen abgeben, weil sie auf Einkommen angewiesen sind. 

Natürlich sind sich auch Mitglieder von Familien darüber im Klaren, dass die Beziehung zu ihrem Arbeitgeber anders ist als ihre Beziehung zu ihrer Familie. 

Jede*r weiß das, auf irgendeine Weise. 

Das ändert jedoch nichts daran, dass diejenigen, die sich dagegen sträuben, Care-Arbeit als Arbeit zu bezeichnen, eine Verwechslung der einen Beziehung mit der anderen befürchten. Betrachteten wir Care-Arbeit wie Lohnarbeit, könnten wir sie einfach kündigen, wenn uns die Arbeitsbedingungen nicht gefallen, und die Beziehung damit annulieren. Im Familienkontext ist das höchstens für Väter eine Option. Für Mütter ist die Kinder zu verlassen ein Tabu, und genau dieses Tabu wird bei der Bezeichnung von Kindererziehung als Arbeit getriggert.

Es gibt jedoch noch einen weiteren Unterschied zwischen Care-Arbeit und Lohnarbeit, und damit meine ich nicht, dass das eine bezahlt ist und das andere nicht. Was ich meine ist viel gravierender und weitreichender und ein verstärkender Faktor für die Ablehnung von Care-Arbeit als Arbeit.

Der Unterschied ist, dass Lohnarbeit verzichtbar ist, während Care-Arbeit stets existentiell notwendig bleibt. 

Bevor jetzt jemand schreit, wer denn dann die Häuser bauen soll, in denen wir wohnen, und das Essen produzieren, das wir verzehren, und so weiter: Ich sage nicht, dass wir auf diese Sachen verzichten können. Ich sage nur, dass Lohnarbeit verzichtbar ist, denn: 

Wir können uns ja durchaus ein Wirtschaftssystem ohne Geld oder Geldaustausch vorstellen. Das ist grundsätzlich denkbar. Aber wir können uns keine Welt vorstellen, in der Babys mit der Fähigkeit geboren werden, alleine zu überleben, und wir können uns keine lebensfähige Gesellschaft vorstellen, in der Menschen einander in Gruppen und Familien nicht vertrauen und nicht emotional miteinander verbunden sind. 

Das bedeutet, dass Care-Arbeit unerlässlich ist. Lohnarbeit hingegen ist optional. Care-Arbeit nun in das Gewand der Lohnarbeit zu kleiden bedeutet, ihr die Eigenschaft der Optionalität überzustülpen – und das ist mit dem Leben nicht vereinbar. 

Es ist also nicht völlig unberechtigt, sich dabei komisch zu fühlen, wenn Care-Arbeit in Begriffe von Lohnarbeit gefasst wird, die ihr tatsächlich nicht gerecht werden. Die Gefahr, die mit der Bezeichnung einhergeht, ist die Suggestion, man könne Care-Arbeit genauso behandeln wie Lohnarbeit. Doch wenn wir tatsächlich anfangen, Care-Arbeit wie Lohnarbeit zu behandeln und für Zeit und Aufgabenpakete zu bezahlen, führen wir diese nicht-optionale und sehr spezielle Form der Arbeit wie auch damit einhergehende Beziehungen in ein sehr profanes und ehrlich gesagt ziemlich dysfunktionales System ein. 

Das klingt nach einer schlechten Idee. Wollen wir die Verwechslungsgefahr zwischen Care-Arbeit und Lohnarbeit vermeiden, brauchen wir einen neuen Begriff für Care-Arbeit, um den existenziellen Charakter und die nicht-optionale Realität der bindungserzeugenden Care-Arbeit (mindestens) im privaten Kontext zu beschreiben.

Ich hätte schon eine Idee, welcher Begriff dafür in Frage käme, aber ich bin gespannt, was euch dazu einfällt: Brauchen wir ein anderes Wort für den Arbeitsteil von Care-Arbeit und wenn ja, wie könnte es lauten?

Ich freue mich, von euch zu hören.

Eure Jo

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