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Eugene Parker und der Sonnenwind

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Sternengeschichten Folge 637: Eugene Parker und der Sonnenwind

Die Sonne leuchtet: Das ist eine sehr fundamentale astronomische Beobachtung und eine, die sehr einfach durchzuführen ist. Die Sonne macht aber noch viel mehr und es hat ein wenig gedauert, bis wir das verstanden haben. Die längste Zeit über war die Sonne in unserer Vorstellung einfach genau das, wonach es auch aussieht, nämlich eine Kugel, die leuchtet. Dass da noch mehr ist, dass die Sonne ein dynamisches Objekt ist, und nicht einfach nur eine eigenschaftslose Lichtquelle: Das haben wir lange Zeit über nicht verstanden. Das gilt ganz besonders für das Phänomen, das wir heute "Sonnenwind" nennen.

Dass die Sonne mehr Einfluss auf ihre Umgebung hat als einfach nur durch ihr Licht, hat man das erste Mal so richtig im 19. Jahrhundert vermutet. Im Jahr 1859 fand das Carrington-Ereignis statt, von dem ich in Folge 484 ausführlich erzählt habe. Dabei hat es sich um eine gewaltige Sonneneuruption gehandelt, die auf der Erde für einen magnetischen Sturm gesorgt hat. Die Telegrafennetze brachen damals zusammen, es gab gewaltige Polarlichter und das hat den englischen Astronom Richard Carrington vermuten lassen, dass es da einen Zusammenhang geben muss; dass irgendwas zusätzlich zum Sonnenlicht von der Sonne zur Erde gelangt ist und die Ereignisse dort ausgelöst hat. Der norwegische Physiker Kristian Birkeland hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts ebenfalls vermutet, dass die Polarlichter allgemein durch Teilchen ausgelöst werden, die von der Sonne zur Erde gelangen. Damals hat man aber gerade erst angefangen, die Details der Dynamik in der Sonne zu verstehen und weder Carrington noch Birkeland wurden mit ihrer Idee der Teilchenströme von der Sonne ernst genommen.

Und jetzt verlassen wir kurz die Geschichte und schauen mit dem Wissen von heute auf die Sonne. Dann ist es nämlich gar nicht schwer zu verstehen, dass sie mehr als nur Licht ins All hinaus schickt. Die Sonne ist eine riesige Kugel aus sehr heißem Gas. Die Teilchen bewegen sich sehr schnell, sie sind auch elektrisch geladen und erzeugen bei ihrer Bewegung elektrische und magnetische Ströme. In den äußersten Schichten der Sonnenatmosphäre können die Gasteilchen jetzt einerseits durch die hohen Temperaturen und andererseits durch die magnetischen Felder so beschleunigt werden, dass sie die Sonne verlassen. Sie strömen hinaus ins All und können das vergleichsweise langsam und in vergleichsweiser geringe Menge tun. Oder aber sehr viele Teilchen auf einmal strömen sehr schnell ins All. Das ist dann eine Sonneneruption, die - sehr vereinfacht gesagt - durch elektrische Kurzschlüsse auf der Sonne ausgelöst wird.

Das mit den Sonneneruptionen hat man auch schon im frühen 20. Jahrhundert gewusst und akzeptiert. Aber das, was der deutsche Astronom Ludwig Biermann im Jahr 1951 veröffentlicht hat, ist vorerst immer noch auf Widerstand gestoßen. Biermann hat einen Artikel geschrieben, mit dem Titel "Kometenschweife und solare Korpuskularstrahlung". Er hat darin überlegt, warum Kometen und ihre Schweife sich so verhalten, wie sie es tun. Auch das habe ich schon oft erklärt: Wenn ein Komet in die Nähe der Sonne gelangt, taut das gefrorene Material auf seiner Oberfläche auf, strömt ins All und reißt dabei Staub mit sich. Der bildet dann einen Schweif, der immer von der Sonne weg zeigt, egal wie sich der Komet gerade bewegt. Grund dafür ist der Strahlunsdruck, also die Kraft, die das Licht selbst auf die Staubteilchen ausübt. Das ist das einfache Bild, im Detail ist es aber komplizierter. Ein Komet hat nämlich nicht nur so einen Staubschweif, sondern auch oft einen zweiten, einen Plasmaschweif. Der besteht aus ionisierten Molekülen, also geladenen Teilchen. Auch dieser Schweif zeigt immer von der Sonne weg, ist im Gegensatz zum Staubschweif aber gerade. Der Staubschweif ist gekrümmt, weil der Stahlungsdruck unterschiedlich stark auf die unterschiedlich großen Staubteilchen wirkt. Beim Plasmaschweif ist das nicht der Fall und wenn man ganz genau beobachtet, dann sieht man auch, dass er nicht exakt von der Sonne weg zeigt. Biermann hat beide Phänomene mit einer "solaren Korpuskularstrahlung" erklärt, also einem ständigen Strom von Teilchen der von der Sonne ausgeht. Diese Teilchen wäre einerseits schnell genug um die Moleküle aus der Umgebung der Oberfläche des Kometen zu einem geraden Schweif davon zu pusten. Und andererseits bewegt sich ja der ganze Komet durch diesen Strom und die Bewegung des Kometen in Kombination mit der Richtung aus der die Teilchen der Sonne kommen führt dazu, dass der Plasmaschweif ein bisschen verschoben wird. Ich will das jetzt nicht im Detail erklären, aber es funktioniert ein wenig so wie die Aberration des Sternenlichts, von der ich schon in Folge 83 erzählt habe.

Künstlerische Darstellung der Dynamik im Sonnenwind (Bild: NASA) (Öffnet in neuem Fenster)
Künstlerische Darstellung der Dynamik im Sonnenwind (Bild: NASA)

Aber Biermanns Arbeit wurde in der Astronomie nicht sehr freudig aufgenommen. Ein ständiger Teilchenstrom der von der Sonne ausgeht: Das ist den meisten nicht plausibel erschienen. 1956 hat Biermann in den USA den Physiker John Simpson besucht. Der war damals eine absolute Authorität bei der Erforschung der kosmischen Strahlung und der Physik die zwischen Sonne und Erde stattfindet. Aber auch Simpson war nicht von Biermanns Forschung überzeugt. Wenn die Sonne dauernd Teilchen ins All schickt, dann müsste sie ja irgendwann "leer" sein - und außerdem war Simpson vom damaligen Bild der Sonnenatmosphäre überzeugt und das hat sie als statisch beschrieben, also so wie die Erdatmosphäre. Da tut sich zwar ein bisschen was, aber im Wesentlichen ist das halt einfach Gas, das jetzt nicht wilde Dinge anstellt. Trotzdem hat Simpson einen jungen Mitarbeiter gebeten, sich die Sache von Biermann mal in Ruhe anzusehen. Dieser Mitarbeiter war Eugene Parker, damals erst 29 Jahre alt. Parker hat sich die Sache aber nicht nur angesehen, er fand Biermanns Behauptung auch viel plausibler als sein Chef es getan hat. Deswegen hat er sich dann auch die Mühe gemacht und ein komplettes mathematisches Modell entwickelt um zu beschreiben, wie die Sonne Teilchen aus ihrer Atmosphäre beschleunigen und ins All schleudern kann. Dieses Modell wollte er dann auch veröffentlichen, was Simpson gar nicht so super gefunden hat. Er hat sich geweigert, die Publikation zu unterstützen und wollte seinen Namen da komplett raushalten. Die meisten wissenschaftliche Journale wollten den Artikel von Parker ebenfalls nicht publizieren; erst 1958 ist sein Aufsatz dann in einer Ausgabe des Astrophysical Journal erschienen und das nur, weil der damalige Chefeditor und spätere Physiknobelpreisträger Subrahmanyan Chandrasekhar zwar auch der Meinung war, dass Parkers Idee Quatsch ist - aber trotzdem nicht wollte, dass die Arbeit einfach so verschwindet. Jetzt gab es zwar eine detaillierte mathematische und physikalische Erklärung, wie die Sonne ständig Teilchen ins All schleudert, akzeptiert hat man diese Vorhersage von Parker aber trotzdem nicht. Übrigens: In dieser Arbeit von 1958 hat Parker den Begriff "Sonnenwind" noch nicht erwähnt; er stammt aber trotzdem von ihm. Schon ab 1957 hat er ihn immer wieder in Diskussionen und Gesprächen benutzt und irgendwann hat er sich dann auch in der wissenschaftlichen Literatur durchgesetzt. Was aber nichts daran geändert hat, dass außer ihm so gut wie niemand von der Existenz des Sonnenwinds überzeugt war.

Aber zum Glück für Parker - und die Wissenschaft ganz allgemein - war mittlerweile das Weltraumzeitalter angebrochen. Im Oktober 1957 hatte die Sowjetunion mit Sputnik den ersten Satelliten ins All geschickt, die USA sind im Februar 1958 mit Explorer 1 gefolgt. Die erste Raumsonde, also das erste künstliche Objekt das nicht nur die Erde umkreist sondern weiter hinaus ins All fliegt, ist im Januar 1959 von der Sowjetunion gestartet worden. Luna 1 sollte eigentlich auf dem Mond landen, hat unseren Nachbarn aber verfehlt. Aber sie ist immerhin am Mond vorbeigeflogen und hat jede Menge Daten gesammelt. Sie war mit Messgeräten ausgestattet, die die radioaktive Strahlung im Weltall messen sollten und die Anzahl der Teilchen die da so im ansonsten leeren Weltraum runfliegen. Und mit diesem Gerät war Luna 1 in der Lage, die Existenz des Sonnenwinds zu bestätigen. Ludwig Biermann und Eugene Parker hatten Recht: Da war tatsächlich ein ständiger Strom von Teilchen aus Richtung der Sonne. Als dann 1962 die amerikanische Sonde Mariner 2 zum Merkur geflogen ist, hat sie das alles nochmal bestätigt und als die Astronauten der Apollo-Mission 1969 auf dem Mond gelandet sind, haben sie dort Messgeräte aufgestellt, die den Sonnenwind quasi live und direkt nachweisen konnten.

Seitdem wissen wir ohne Zweifel: Die Sonne leuchtet nicht nur, sie schleudert auch ständig Teilchen aus ihrer Atmosphäre hinaus ins All. Pro Sekunde ungefähr eine Million Tonnen an Material, was zwar viel ist aber dann doch nicht so viel, dass man Angst haben müsste, unser Stern könnte sich in naher Zukunft auflösen. Seit die Sonne existiert hat sie bei dieser Rate weniger als ein zehntausendstel ihrer Masse an den Sonnenwind verloren, da müssen wir uns also keine Sorgen machen. Mittlerweile haben wir den Sonnenwind auch sehr gut erforscht. Wir wissen, dass er vor allem aus Wasserstoff- und Heliumatomkernen besteht. Was auch sonst, das sind ja die Hauptbestandteile der Sonne. Aber auch von den restlichen Elementen, die sich in geringen Mengen in der Sonne befinden, finden wir Teilchen im Sonnenwind. Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel, Eisen - und so weiter. Bei der Geschwindigkeit gibt es zwei unterschiedliche Arten von Sonnenwind. Der langsame Sonnenwind startet mit circa 150 Kilometer pro Sekunde von der Sonnenoberfläche und wird am Ende bis zu 300 Kilometer pro Sekunde schnell. Der schnelle Sonnenwind erreicht bis zu 750 Kilometer pro Sekunde und wir sind uns noch nicht ganz sicher, warum ein Teil des Sonnenwinds langsamer ist als der andere. Es hat mit Sicherheit mit den komplexen elektrisch/magnetischen Vorgängen im Sonneninneren zu tun, aber die haben wir noch nicht vollständig verstanden. Außerdem rotiert die Sonne ja auch um ihre Achse und der Sonnenwind, den sie dabei abgibt verhält sich ein bisschen so wie das Wasser in einem Sprinkler. Er bildet spiralförmige Kurven, die von der Sonne ausgehen - die übrigens heute "Parker-Spiralen" genannt werden.

Der Sonnenwind ist aber viel mehr als nur ein paar Teilchen, die da halt durch den interplanetaren Raum sausen. Es sind ja geladene Teilchen und deswegen beeinflussen sie auch das Magnetfeld der Sonne, das sich weit hinaus, über die Planeten hinweg erstreckt. Erst bei ungefähr 100 Astronomischen Einheiten, also dem 100fachen Abstand zwischen Sonne und Erde, ist der Sonnenwind so dünn geworden, dass er sich nicht mehr von den interstellaren Teilchen unterscheiden lässt. Das vom Sonnenwind so weit transportierte und beeinflusste Magnetfeld der Sonne steht dabei natürlich in Wechselwirkung mit den Magnetfeldern aller Planeten. Der Sonnenwind hat also Auswirkungen auf alles im Sonnensystem, auch ganz konkret bei uns auf der Erde. Bei den Polarlichter, für die Raumfahrt, für den irdischen Funkverkehr, und so weiter. Der Sonnenwind besteht aus dem Material, aus dem die Sonne selbst besteht und erlaubt es uns daher, auch zu verstehen, was in der Sonne passiert. Seine Erforschung ist ein unerlässliches Werkzeug, wenn wir unseren Stern und das ganze Sonnensystem verstehen wollen.

Eugene Parker war zwar nicht der erste, der die Idee hatte, das so etwas wie einen Sonnenwind geben könnte. Aber er war derjenige, der das ganze mathematisch-physikalisch beschrieben hat und der mit seiner Arbeit dafür gesorgt hat, dass sich die Idee am Ende durchgesetzt hat. Im August 2018 hat die NASA eine Raumsonde gestartet, um die äußerste Schicht der Sonnenatmosphäre zu erforschen. Diese Sonde fliegt so nahe an die Sonne wie keine es vor ihr getan hat und wird quasi vor Ort untersuchen können, wie der Sonnenwind entsteht. Und es ist absolut gerechtfertigt, dass diese Sonde den Namen "Parker Solar Probe" bekommen hat.

Kategorie Astronomie

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