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18. Juni 2021

Entweder bin ich schlecht geworden in der Recherche oder es  gibt nicht viel zu finden über dein Schaffen in den vergangenen zehn  Jahren …

Mimu Merz: Das ist eine Kritik, die mich  oft erreicht: dass ich wirklich mein Bestes tu, um mich zu  verheimlichen. Ich halt es leider überhaupt nicht aus, meine eigenen  Sachen aufzubereiten und darzustellen. Aber dieses Jahr ist ja so ein leap year, wo wenig passiert. Ich arbeite an mir. Vielleicht ist ja wieder mal eine Website dran – man wünsche mir Glück …

Also muss ich ganz profan fragen, was du so tust in deiner Zeit?

Mimu Merz: Es fällt mir schwer, die Dinge  einzuteilen. Mein Fluch und mein Segen sind, dass ich sehr viele  verschiedene, oft interdisziplinäre Projekte mache. Das reicht von Musik  und Lesung über Medienkunstkonzepte, Audio- und Videoregie bis zu  Illustration und Grafikdesign. In den letzten Jahren habe ich mich dann  mehr auf Theater und Performance konzentriert.

Dort passt die Bündelung deiner Fähigkeiten aber auch am besten hin, eigentlich eine zwangslogische Entwicklung …

Mimu Merz: Das habe ich auch so empfunden.  Bei meinem ersten Stück war ich total beeindruckt, dass alles  tatsächlich so aufgegangen ist, wie ich es angedacht hatte. Dieses  Projekt hatte sich eigentlich nur ergeben, weil meine Schwester meinte,  ich solle ihr gefälligst ein Stück schreiben, in dem sie dann auch  mitspielt. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nichts in die Richtung  gemacht, fand den Wunsch jetzt auch nicht gerade klein. Aber ich war  angefixt. Bin dann zu dem Theater, wo es stattfinden sollte, gefahren,  hab mir angehört, was sie am liebsten hätten – z. B. im öffentlichen  Raum und so –, und habe  „A nach B“ in Oberzeiring, einem kleinen Dorf  in der Obersteiermark, entwickelt.
Ich bekleide oft den Posten der Außenseiterin, die in etwas Bestehendes  eindringt. Das hat Vorteile, wenn man etwa unerwartete Dinge in einem  bekannten Genre machen kann, aber auch extreme Nachteile, wie die enorme  Verausgabung, sich immer wieder neu zu bewähren, immer wieder neu  anzufangen, dazuzulernen. Theater ist für mich auch deshalb interessant  geworden, weil es halt fixe Budgets gibt, in deren Rahmen man arbeitet  und weil es ein team effort ist – da entstehen plötzlich völlig  neue Möglichkeiten. Theater ist eben die Königin der Situationen. Aber  es ist auch ein wunderbares Rezept für den nächsten Burn-out.

"A nach B" (c) Markus Zahradnik

Und es ist eine Institution, in die einzutreten einen Kraftakt bedeuten kann.

Mimu Merz: Oh ja, so viel ist fix. Letztes Jahr kam Covid-19 auch noch dazu – quasi als black cherry on top.  Produktionen verschleppten sich, Nerven lagen blank, Arbeit unter  Sicherheitsbedingungen, Kontaktkreise, Maskenpflicht … nicht wissen, ob  die Premiere, auf die man ein Jahr lang hingearbeitet hat, stattfinden  wird. Das war schon außergewöhnlich zach. Dennoch bin ich sehr stolz auf  „Fahrenheit 451“, welches 2020 aus genannten Gründen seine schwere  Geburt am TAG Theater Wien und auch nur ein paar wenige  Vorstellungen erlebte, bevor ein Lockdown nach dem anderen es aus der  öffentlichen Wahrnehmung drängte.

Obwohl dem Stück ein Text von 1953 zugrunde liegt.

Mimu Merz: Ray Bradbury will ähnliche Dinge  wie heute, wenn man sagt, das Lesen ginge kaputt und meint unsere  „Kultur“ und darum Mündigkeit nähme Schaden. Die digitale Kulturpraxis  ist an sich ja nicht zu verachten. Bei aller Suderei ist die digitale  Informationskultur schließlich ein unglaublicher Fortschritt. Das  Miteinander leidet halt an der Medientechnologie und daran, wie sie  genutzt wird, um jeweiligen monetären und politischen Interessen zu  dienen, welche halt oft nicht im Interesse der Gemeinschaft stehen. Bei  meiner Performance „Instant Choir“ zusammen mit dem Cellisten Lukas  Lauermann aus dem Jahr 2018 ging es tatsächlich darum, mithilfe der  Technologie übergriffige Situationen im „Realraum“ zu erzeugen, die die  Leute dazu bringen, sich einander direkt auszusetzen. Zum Beispiel,  indem man deren Smartphone hijackt. Das ist ja mittlerweile quasi eine  Extension deines Selbst. Die Besucherinnen und Besucher bekamen neue  Identitäten, neue Namen, wurden in Pärchen geordnet, mussten einander im  Raum finden und dann Konversationsaufgaben erledigen. Wir sind es  gewohnt, uns in einem diskretisierten Leben aufzuhalten, wo alles  messbar und getaktet ist. Mit der Aufgabe, möglichst höflich mit deinem  Gegenüber in 90 Sekunden Schluss zu machen, wirst du dann gezwungen, in  der Eile deine Floskeln auszupacken, was zum Teil dein Funktionieren  offenlegt. Es macht mir wahnsinnige Freude, das zu beobachten. Ein  Projekt gefällt mir tatsächlich dann am besten, wenn sich eine Situation  manifestiert, die ich sehen will. Ich bin eine ganz dreckige Voyeurin.

https://vimeo.com/462804317 (Öffnet in neuem Fenster)

Es ist doch genau dieser Knackpunkt: Die Künstlerin bzw. der  Künstler macht’s. Ich habe vielleicht den Gedanken auch, aber nie den  Mut, irgendetwas davon auch nur zu benennen oder so weit auszuarbeiten,  dass es sichtbar wird, sich selbst dermaßen auszusetzen.

Mimu Merz: Es ghört mehr gredt – sag ich  mal. Meine Hoffnung, Menschen ein wenig zur Konversation anzuregen,  bedient auch das Projekt „Asif Erotik“, bei dem ich mit jeweils  wechselndem Lesepartner collagenartig Liebesromane verlese. Ich bin zu  einer Unmenge dieser Schmuddelbüchlein gekommen, die ... 

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