Durch die Nacht
von Victoria Hohmann
Als Frau kannst du nachts nicht allein draußen rumlaufen. Das weiß ja jede. Also du kannst natürlich, aber natürlich auf eigene Verantwortung. Mit dem Siegeszug des Mobiltelefons ist es besser geworden, doch die Angst bleibt. Wahrscheinlich gibt es nicht eine einzige Frau auf der Welt, die gerne allein nächtlich Straßen entlangläuft, angstfrei. Oder zumindest frei von einem mulmigen Gefühl. Einer unbestimmten Furcht, es könne etwas passieren. Überraschend für mich die Einsicht, dass es vielen Männern ähnlich geht. Wenn du mal fragst. Weil ja überall komische Typen rumlaufen. Die dich überfallen könnten. Bei denen es sich selbstverständlich um Männer handelt. Weil komische Frauen zwar auch rumlaufen, aber nicht gefährlich sind. Höchstens lächerlich. Opfer. Arme, abgefuckte Drogenleichen zum Beispiel. Die betteln, um Kleingeld, um Gnade. Aber sie überfallen dich nicht. Grapschen nicht ungefragt. Vergewaltigen dich nicht in dunklen Gassen. Erst recht nicht gruppenweise. Weil so viele komische Frauen findest du dann auch wieder nicht. Erst recht nicht nächtlich auf Straßen. Weil (lese diesen Text von vorne).
Bei Männern ist das anders. Die sind komischer. Schon immer. Seit der Mann sich vom Homo sapiens abspaltete, um eine seine eigene Art zu werden, seine eigene Rasse. Rasse nannte er das selbst. Das klang nach viel Macht. Seitdem machen Männer Gesetze, um sie für sich einzusetzen. Wie das in einem ordentlichen Patriachat so funktioniert. Wo der Mann einziger Handlungsträger ist. Täter. Das Tätertum gründet sich natürlicherweise auf seine Biologie. Dafür kann der Mann nichts. Obwohl er sonst alles kann. Damit sind Männer eigentlich selbst Opfer, die Opfer ihrer Biologie. Von der sie praktisch permanent übermannt werden. Überrannt von Horden von Hormonen. Ein einziger Angriffskrieg ist das. Das ändert sich auch mit dem Alter nicht. Im Gegenteil. Wird die Biologie träger, wird der Mann ärger. Je erfahrener, desto rasanter überfährt er. Benutzt jede Gelegenheit. Das Limit zu pushen. Die Borders zu linen. Nimmt sich. Selbst Mars vor. Reizt aus. Total und komplett. Um seine Biowaffen dauerhaft voll zu aktivieren, oder mindestens einsatzfähig zu halten. So entlädt der Mann sich auch alternd problemlos. Weil er ja von Grund auf geladen ist. Papa-Patron voll Patronen. Die es zu feuern gilt. Der Mann, ein Maschinengewehr. Ein Panzer. Eine Drohne mit Sprengstoff. Jede Kriegsmetapher der Welt. Da ist dieser Automatismus in ihm, der ihn grundsätzlich auf fremdes Territorium lenkt. Er kommt nicht dagegen an. Das Narrativ führt ihn. Immer im Kreis. Am Nasenring. So läuft das. Somnambul ist der Mann, gleichzeitig durchdrungen von schärfstem Verstand. 800.000 Scoville mindestens. Dagegen sieht jede Habanero blass aus. Die Grundschärfe des Mannes ist für die Frau schwer verständlich. Gleicht ihre geistige Konstitution doch mehr der einer Paprika, wohlproportioniert, nun gut, die gefüllt werden will. Bitte nicht mit zu viel Carolina Reaper Extrakt. Das versaut das Hack.
Die Frau gleicht, wie das Bilderbuch lehrt, insgesamt mehr einem Lebensmittel. Sie ist mittel. Dem Mann Genuss- & Ergussmittel. Immer mittel. Natürlich zum Zweck. Ja, auch die da. Dafür Lebensmittelpunkt der Familie. Punkt. Ausgleichende Gerechtigkeit. Nennt Mann das. Aber bitte ohne Waage. Die Frau, eine große, venusisch-vollleibig-prallbusige Skulptur. Ohne Kopf. Aber mit Frisur. Dergestalt präsentiert sie sich in ihrer finalen Entwicklungsphase nach Jungfrau und Hure. Ein gebärfreudiger Fleischball, nicht fußgroß, nein, eine zwanzigfache Ladung ausgewachsenes Grillfleisch in heiliger Marinade, die auf keinen Kugelgrill passt, auf kein aufgepumptes schlingerndes Grillboot mehr, weil sie ihr göttliches Mutter-Natur-Endstadium erreicht hat, horizontal wie vertikal, das den Mann in ekstatische Verzückung geraten lässt, wo er sich aber kein Rippchen, kein Scheibchen abschneiden möchte. In diesem Stadium ist es für Frauen auch nicht mehr gefährlich bei Dunkelheit allein aus dem Haus zu gehen. Zumindest nicht mehr so sehr. Falls Frau denn noch gehen kann. Die Frau muss, natürlich, draußen wie drinnen weiterhin mit verbalen wie manuellen Attacken rechnen, sich auf Schläge, Handkante, Faust, Feuerhaken einstellen. Schließlich will gutes Fleisch weichgeklopft werden, haha.
Die Frau, ein Wesen, das in jedem Stadium täglich in Form gebracht werden muss. Damit sie niemals Reißverschlüsse, Reißverschlussverfahren, Fertighaus sprengt. Das Schlafzimmer nicht heimlich mit Schlingfallen präpariert. Die Küchenzeile ziert wie zuvor den bürgerlichen Steig. Wo ihr Mann hier natürlich nicht der Einzige war, der ihr auf Beine, Po, Brust äugte. Erst Blickfang, dann Fickfang, haha. Schlank, aber bitte was dran. Später, will der Eroberer wieder auf die Hatz, hat die Frau daheim erdenrund Wohlstand zu repräsentieren. Alternativ das Essen bis aufs Kaugummi einzustellen, luftige Eleganz ausstrahlend, Zeichen, es hoch hinaus geschafft zu haben. Auch in diesem Stadium hat die Frau nächtlich nichts mehr zu befürchten. Kann sie sich doch, worauf Männer immer wieder gerne hinweisen, problemlos zur Seite drehen und unsichtbar werden. Beziehungsweise nach fünf Stunden auf den Beinen sowieso nicht mehr stehen, haha. Nach den vier abendlichen Gläsern Weißweinschorle mit Schuss schon gar nicht.
Es bleibt die Frage (alternative Schreibweise seit der Nuller-Reform: f*RAGE): – Wie also bewegen sich Frauen nachts durch die Stadt? Durch den Ort? Um dorthin zu gelangen, wohin sie gelangen möchten?
Ich habe Chat GPT 4.o gefragt. Die einzige Möglichkeit für Frauen, sich nachts unbeeinträchtigt durch die Straßen zu bewegen, ist demnach: in Gruppen. In großen Gruppen, wie die KI betont. Ab einer Größe von 100 – 200 Frauen kann sich die Frau in funktionstüchtigen Rechtstaaten recht sicher wiegen. Selbst in den Hüften. Fügt die humortrainierte KI seit Jahresanfang hinzu. Ist die Staatsgewalt willkürlicher, reichen ca. 1.000.000.000 Frauen, um den Discobesuch relativ risikofrei zu erleben. Will ein Mann sich angstfrei durch die Nacht bewegen, empfiehlt der Chatbot einen zweiten Mann zur Seite, will der eine Mann ganz sicher gehen, einen dritten Mann. So wird die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs in demokratisch geprägten Staaten in den Bereich des beinah Unmöglichen reduziert. In Diktaturen hingegen benötigt ein Mann, der sich angstfrei durch nächtliche Straßen bewegen möchte laut Chat GPT 4.o alle anderen Männer des Staates. Es bedarf damit praktisch eines Einmarschs. Chat GPT weist daraufhin, dass es zu Komplikationen mit Türstehern sogenannter fremder, nicht staatlicher Einrichtungen kommen könnte. Sie empfiehlt außerdem Taxis, Uber und anderweitige, z.B. private Fahrgemeinschaften, weist gleichzeitig auf deren eingeschränkte Kapazität beim Personentransport hin, insgesamt jedoch gerade beim Sharing auf eine positive Co2-Bilanz. Sie wünscht des Weiteren gute Nacht und schöne Träume.
(Foto: Selfie, Camden Street, Dublin)
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