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One for the Road

Eine Filmkritik von Mia

Es gibt wieder mal einen Trinker:innenfilm zu besprechen! Diesmal einen deutschen. Ich habe nicht viel erwartet, denn deutsche Filme sind oft nicht glamourös und der Humor ist, naja, meistens eben deutsch. Aber dieser Film hat mich wirklich gekriegt. Was nicht nur daran liegt, dass ich, wie jeder normale Mensch, Frederick Lau Fan bin.

Frederick Lau in One for the Road

One for the Road handelt von Marc, einem so charmanten wie liederlichen Typen Mitte dreißig, der als Bauleiter in Berlin arbeitet und zu viel Party macht. Trinken ist sein Lifestyle. Sein Spätimann kennt ihn beim Vornamen und weiß, was seine Biermarke ist. Seine Kumpels haben ihn gespeichert als die Rampensau, die verlässlich abstürzt. Er hat eine Flasche Whiskey im Büro Schreibtisch, die er beim abendsarbeiten so nonchalant rausholt, dass seine junge Kollegin es nicht asi, sondern lässig findet. Marcs Chefin lässt ihm seine Eskapaden kommentarlos durchgehen, weil er einen Bomben Job macht. 

Eines Tages erwischen ihn die Bullen beim betrunken Fahren und sein Lappen ist weg. Er wird zu einem MPU-Vorbereitungskurs verdonnert, der den Look und Feel eines archetypischen AA-Meetings hat (plus wissenschaftliche Aufklärung über Blutalkohol-Abbauzeiten). Die Gruppe besteht aus den üblichen Verdächtigen. Es gibt den unverbesserlichen Alki mit grobporiger Haut, es gibt die schrullige Rentnerin, die mit 2,3 Promille immer noch behauptet, nur ein Gläschen Prosecco intus zu haben, es gibt die unauffällige, funktionale Mittdreißigerin, und es gibt den erfolgreichen Mann, der nach Ansicht des Gruppenleiters »das Größte Problem von allen« hat.

Dieser Gruppenleiter, Herr Blau, ist ein von Godehard Giese geil creepy gespielter Psychiater mit Bibelgruppe-Pullunder und Axtmörder-Vibes. Er entpuppt sich als unerwarteter nüchterne Spirit-Guide, der offenbar schon länger in einer für Marc unverständlichen und zunächst auch maximal unattraktiven höheren Bewusstseinsebene angekommen ist. 

Marc findet außerdem eine Partnerin in Crime in Kursteilnehmerin Helena, einer Grundschullehrerin mit dunkler Unterströmung. Mit ihr und seinem besten Kumpel Nadim wettet Marc, dass er es schafft, nichts zu trinken, bis er seinen Führerschein wieder hat. 

Das Ganze spielt in Berlin und vielleicht haben auch die mir sehr vertrauten Kulissen dazu beigetragen, dass mir die Geschichte nah ging. Aber auch sonst konnte ich viele von Marcs Trinkszenarien in meinen Knochen erinnern: Das betrunkene Einschlafen, nachdem man eine Pizza in den Ofen geschoben hat und das anschließende Wachwerden vom Rauchmelder. Der Horror, wenn man sich mal wieder auf einer Party daneben benommen hat und die erschreckend späte Erkenntnis, dass die Freunde einen schon länger in einer andere Problemkategorie einordnen als sich selbst. Die grauenhaften Kater, die haltlosen Nächte, die großen Gesten, die Uferlosigkeit einer besoffenen Nacht, die wilde Wut, die man endlich nicht mehr beherrschen muss, die Traurigkeit, die zu klebriger Nostalgie gerinnt. Auch an die Saufromantik erinnere ich mich lebhaft, während ich mit Marc durch die Nacht ziehe. 

Es ist ja irgendwie ein Markenzeichen von Lau, diese ungehobelte Männlichkeit mit maximaler Verletzlichkeit und Emotionalität zu spielen, was zu einer Alkoholiker-Geschichte natürlich fantastisch passt, denn um das erfolglose Management großer Gefühle geht es ja in der Sucht. 

Frederik Lau ist die perfekte Besetzung. Den Hauptfehler, der bei Trinker Darbietungen immer lauert — betrunken spielen — macht er sehr entschieden nicht. Stattdessen packt er die große Emotionspalette aus. Sein Gesicht ist wie ein Gewitter, ungezügelte Gefühle immer ganz nah unter der Oberfläche seiner Züge, er oszilliert im Sekundentakt zwischen kindlicher Freude, wilder Verzweiflung und herzzerreißender Traurigkeit. Es ist ja irgendwie ein Markenzeichen von Lau, diese ungehobelte Männlichkeit mit maximaler Verletzlichkeit und Emotionalität zu spielen, was zu einer Alkoholiker-Geschichte natürlich fantastisch passt, denn um das erfolglose Management großer Gefühle geht es ja in der Sucht. 

Während Marc laut und exaltiert entgleist, wissen wir fast nichts über Helena und ihr Trinken. Nur, dass sie ihr Gesicht gerne in dunklen Hoodies und hinter ihren Haaren versteckt und dass sie gern ganz nah an den Abgrund hoher Häuser ran geht und mit dem Fall flirtet. Und dass sie ihren Arsch darauf verwettet, dass Marc es nicht schafft, länger als einen Monat nicht zu trinken. Helena prophezeit Marc die Genese seines Rückfalls in einem so zynischen Detailreichtum, dass man sicher sein kann: Sie selbst ist schon hundertmal am Aufhören gescheitert. 

Generell ist es eine große Stärke des Drehbuchs, dass die Großen Dinge ungesagt bleiben und stattdessen im Subtext pulsieren wie ein dumpfer Schmerz. Helenas und Marcs persönliche Geschichten werden nur angedeutet, trotzdem kann man ihre Tragweite fühlen.  

Der MPU Kurs hat AA Vibes, ohne dass man Marc in ein Meeting schleppen müsste und wenn die verständnisvolle Vorgesetzte mit Marc Tacheles redet, wird klar, dass ihre Ehrlichkeit und Nachsicht so katastrophal für ihn ist, dass es überhaupt keinen Jobverlust mehr braucht. 

Plus: Wir tappen in keine einzige Dramaporno-Falle. Es gibt keinen Kitsch, keine rettende Liebe, keine zitternden Hände, keine traurigen Kinder, keine Moralisierung. Und der Soundtrack ist auch super.

Ich hatte beim Gucken das Gefühl, dass hier Leute mitgearbeitet haben, die etwas von Alkoholabhängigkeit verstehen und sich sehr gründlich damit auseinander gesetzt haben. Und ich war total begeistert, als ich letzte Woche gesehen habe, dass Frederick Lau ebenfalls babysober ist. Er spricht darüber im Podcast Hotel Matze (Öffnet in neuem Fenster).

Love ❤️

Mia

Kategorie Weekly

2 Kommentare

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