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Money Sobriety

Meine finanzielle Nüchternheit

Mia Gatow

Als ich nüchtern wurde, fühlte ich mich willens, fähig und bereit, alles in meinem Leben zu optimieren, jedes Problem zu lösen, jede Baustelle zu beseitigen, für immer mit allen Süchten und jedem unlogischem Verhalten aufzuräumen. Ich war in einem Machbarkeitswahn und in einer Hyperpotenz. Ich hatte eine Abhängigkeit überwunden: Offensichtlich konnte ich alles schaffen. Offensichtlich galten die Regeln der Physik nicht für mich. 

Mein größtes post-Sucht-Problem (bezüglich der romantischen Liebe gesund zu werden), hatte ich im zweiten Jahr meiner Nüchternheit quasi gelöst (jedenfalls bis zur Trennung), also wandte ich mich der zweiten Sache zu, die ich nie hatte beherrschen können: Geld. 

Meine persönlichen Finanzen befanden sich seit Jahren in einem dunklen, zugestellten Raum, in den ich nie ging und zu dem ich das Licht nicht anmachen wollte. Ich hatte meine kompletten Zwanziger tief im Dispo verbracht. Jeder Lebensmitteleinkauf hatte sich angefühlt wie Zocken. Das Geld auf meinem Konto (also mein BAföG für die Miete und das Kindergeld, das meine Mutter mir überwies) war komplett abstrakt. Real fühlte sich nur das Geld an, das ich bei meinem Job verdiente: Die 50, 60, oder 70 Euro zweimal in der Woche, die ich cash mit nach Hause nahm und in Essen, Wein, Zigaretten und billige Klamotten verwandelte.

In meinen Dreißigern hatte sich zwar meine Einkommenssituation verbessert und ich war meistens aus dem Dispo raus, aber meine Gefühle der Angst und Abwehr hatten sich null verändert. Ich hatte keine Ahnung, was genau auf meinem Konto los war und wollte es auch nicht wissen. 

Weil ich nichts über mein Geld wusste, fühlte mich grundsätzlich schlecht, wenn ich Geld ausgab (wer weiß, ob ich es habe?); ich hatte immer Angst, auf mein Konto zu gucken (was würde ich da finden?), ich sparte nichts, weil ich nicht wusste, wie viel ich zur Seite legen konnte (fairerweise gab es auch nicht viel). Ich gab immer einfach alles aus, was ich hatte und hoffte, dass es reichen würde. Ich befand mich in aktiver Verdrängung der Realität.

Als ich nüchtern wurde, lernte ich, dass Geld und Sucht auf viele Arten miteinander verstrickt sind: Die meisten Leute, die süchtig sind, sind auch schlecht mit Geld. Die meisten Leute verschulden sich in der Abhängigkeit. Darin sind Suchtis eben Profis: Sie umgehen unliebsame Realitäten. Sie denken keine vier Tage in die Zukunft, sie schauen nichts an, was ihnen unangenehm ist, sie stellen sich den unangenehmen Gefühlen nicht, sondern betäuben, umgehen und verdrängen sie. Das ist das Game.

Frisch sober hörte ich im HOME Podcast eine revolutionäre These: Man kann geldnüchtern werden, genauso wie man trinknüchtern werden kann. 

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Ja, ich will alles (Öffnet in neuem Fenster)

Kategorie Weekly

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