Zum Hauptinhalt springen

Die zweite Nüchternheit

Über Romantizismus

Ich habe gerade eine Sinnkrise. Meine Stimmung ist genauso wie das Sommerwetter dieses Jahr: Grau und drückend, stickig, kein Sonnenschein, offiziell ist Sommer, aber es fühlt sich an wie ein warmer, stickiger Februar. Ich habe kein Mojo, ich habe keine Energie, ich frage mich, wozu das alles? Nur, um wieder und wieder und wieder das Bad zu putzen, bis man stirbt? (Nicht, dass ich besonders oft mein Bad putzen würde.)

Da Krisen dynamischer verlaufen, seitdem ich nüchtern bin, reagiere ich mit Aktivität. Ich trainiere regelmäßiger und mache längere Planks und längere Sprachnachrichten an Mat. Ich erlaube mir Konsum zur Stimmungsregulierung, kaufe Blumen und Kosmetik und Nagellack, ich schminke mir die Augen dramatisch, gehe nachmittags statt zu arbeiten auf vierstündige Lunchdates, liege Donnerstags um vier mit perfekten Fingernägeln auf meinem Teppich und lese Anaïs Nin. 

Der Hauptgrund für meine Sinnkrise ist, dass ich angefangen habe, mich mit meinem Romantiktrauma zu befassen, statt es nur immer auf dem Stapel mit der unerledigten Post zu vergessen. (Ich habe es natürlich nicht vergessen, sondern ich habe es bewusst ignoriert und auf  später verschoben, weil die schiere Größe dieses Problem-Systems, die Langwierigkeit seiner Aufarbeitung und die Schmerzen des Prozesses mich schon von vornherein so abgeschreckt haben, dass ich mir immer irgendwie einredete, vielleicht müsste ich es nicht machen, vielleicht könnte ich einfach eine permanente Zwischenlösung finden.)

Das Buch, mit dem ich einsteige – ein oft empfohlenes Standardwerk zum Thema – nennt das Problem Love Addiction und ich finde den Begriff auf die gleiche Art fragwürdig wie den Begriff Alkoholismus. Die Liebe muss man hier wirklich nicht mit reinziehen, denn die hat damit nicht das Geringste zu tun. Ich nenne es lieber Romantizismus, so wie Luca, der der erste war, der mir von diesem Konzept erzählt hat. Du machst dich auf die gleiche Art abhängig von einem Gefühls-High wie mit Alkohol, sagte er, es ist genau der gleiche Prozess. 

Um diesen Beitrag lesen zu können, musst du Mitglied werden. Mitglieder helfen uns, unsere Arbeit zu finanzieren, damit wir langfristig bestehen bleiben können.

Zu unseren Paketen (Öffnet in neuem Fenster)

Kategorie Weekly

1 Kommentar

Möchtest du die Kommentare sehen?
Werde Mitglied von SodaKlub und diskutiere mit.
Mitglied werden