Dry January. Oder: Wie die Trinkpause für immer hält
von Mia
Es ist Januar und alle machen Trinkpausen. Einen Monat machen alle, manche ganz Harten machen sogar ein Jahr.
Meine Trinkpause dauert nun schon 2.699 Tage (ich habe eben in meiner App nachgesehen) und ich plane, sie auch diesen Januar wieder zu verlängern.
Früher, bevor ich aufhörte mit dem Trinken, habe ich auch manchmal Trinkpausen gemacht. Zwei, drei, vier Wochen, einmal sogar sechs. Die Trinkpausen brachten all die Belohnungen, die man eben so bekommt, wenn man aufhört, routinemäßig Ethanol zu trinken: Besserer Schlaf, bessere Haut, bessere Verdauung, Gewichtsverlust, mehr Zeit und Energie für Sport und Kreativität, weniger Angst, eine hellere Stimmung, weniger Streit mit dem Boyfriend, dieser Glow, den man kriegt, wenn man sich selbst nicht belügt.
Die Trinkpausen übertreffen also verlässlich alle Erwartungen. Was aber besonders wichtig ist: Sie sind leicht durchzuhalten.
Das ist eigentlich kein Wunder, denke ich heute, denn Trinken ist harte Arbeit. Trinker:innen sind Schmerz und Anstrengung gewöhnt. Abstinenz ist, verglichen mit Trinken, sehr einfach; statt meines komplexen Regelkatalogs, den ich normalerweise zu befolgen versuche (nur am Wochenende, nur in Gesellschaft, erst nach fünf, nichts hartes, nur Wein, immer ein Glas Wasser zwischendurch) habe ich zur Abwechslung nur eine einzige Regel: Nichts trinken. Kinderspiel.
Darin, dass die Trinkpausen kein Problem für mich waren, bestand ihr eigentlicher Wert. Denn, so geht die Gedankenkette; Wenn es so easy für mich ist, auf Alkohol zu verzichten, habe ich offenbar kein Alkoholproblem. Und wenn ich kein Alkoholproblem habe, dann heißt das, dass ich bedenkenlos trinken kann.
Die Trinkpause und ihre vielen offensichtlichen Vorteile interessierten mich in Wirklichkeit null. Was mich interessierte, war das Trinken.
Und so kehrte ich nach meinen Trinkpausen immer wieder zum Trinken zurück, obwohl ich mich schon bald erneut nach einer Pause sehnte. Ich ging zurück, als sei das Trinken alternativlos, ich ging zurück in der Hoffnung, Trinken könnte eines Tages so einfach und simpel und katerfrei und konfliktfrei sein wie Nichttrinken es war.
Wenn es so furchtbar einfach war, nicht zu trinken, wo ist dann das Problem, werden die Normalos jetzt sagen — dann hätte ich ja einfach mit dem Trinken aufhören können. Aber das ging nicht. Denn dann hätte ich ja aufhören müssen, zu trinken. (Ich weiß, ich weiß, wenn du zu den Normalos gehörst, dann sind diese Argumentationsketten sehr frustrierend, aber halte durch, ich versuche hier bloß, die skurrilen Gedankengänge der Abhängigkeit sichtbar zu machen).
Wer will schon aufhören. Ich wollte nicht aufhören. Ich wollte, was alle Trinker:innen wollen: Kontrollierten Konsum. Kontrolle ist der heilige Gral aller Suchtis (oder wie manche sagen: Leute mit »Alkoholkonsumstörung«). Ich wollte Sorglosigkeit. Ich wollte Leichtigkeit. ich wollte den Alkohol trinken, aber nicht über ihn nachdenken. Ich wollte trinken, bis ich einen Schwips hatte, und dann aufhören. Ich wollte mich nur am Rande für Alkohol interessieren, als eine Möglichkeit von vielen. Ich wollte, dass Trinken und Nichttrinken mir wie zwei gleich gute Optionen erscheinen, von denen ich mal die eine, mal die andere wählte, ganz locker, je nach Tagesform. Ich wollte auf einem Dinner sein, auf dem irgendwann der Wein alle ist und es nicht mal merken und einfach auf Cola umsteigen und darüber nicht traurig sein und weiterhin Spaß haben können wie zuvor. Ich wollte trinken, als sei es mir egal.
Das habe ich natürlich nie dauerhaft hingekriegt. Denn:
Die einzigen Leute, die es schaffen, zu trinken, als sei Alkohol ihnen egal, sind die, denen Alkohol egal ist. Solche Leute machen auch keine Trinkpausen.
Sie brauchen keinen Dry January, weil ein Dry January keinen nennenswerten Unterschied zu ihrem restlichen Leben darstellt. Wenn du solche Leute fragst, wie sie das schaffen, werden sie nie eine befridigende Antwort geben. Sie sagen dann sowas wie: Wieso, naja, du musst eben einfach aufhören, wenn du genug hattest.
Genug. Was auch immer das sein mag. Ich hatte bloß immer zu viel. Genug hatte ich eigentlich nie.
Stattdessen habe ich irgendwann ganz und für immer aufgehört. Ganz und für immer aufhören ist viel, viel einfacher, als kontrolliert zu trinken. Und so habe ich es gemacht:
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