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»Oh Boy« – Das letzte Wort darf nicht der Täter haben

Das ist passiert: 

Vor ein paar Wochen ist eine Anthologie erschienen, in der sich vorwiegend männlich gelesene Autor:innen kritisch mit dem Thema Männlichkeit auseinandersetzen. Erschienen ist darin auch ein Text, in dem einer der Herausgeber seine eigene Täterschaft in einem sexuellen Übergriff thematisiert. Wie sich nun herausstellte geschah dies entgegen der ausdrücklichen Bitte des Opfers, die Tat nicht literarisch zu verarbeiten. Die mitwirkenden Autor:innen haben sich von dem Projekt distanziert. Der Verlag stoppt die Auslieferung und hat ein Statement der Sorte »Öhm, blöd gelaufen« veröffentlicht. Wenn man über die ganze Sache nur einen Text lesen will, sollte man den der Betroffenen lesen, die in einem Post (Öffnet in neuem Fenster) auf dem Instagram Kanal Keine Show für Täter die »emotionale Achterbahnfahrt« beschreibt, die sie in den letzten Wochen erleben musste. 

https://www.instagram.com/p/CwCbTQLs9kg/?utm_source=ig_web_copy_link&igshid=MzRlODBiNWFlZA%3D%3D (Öffnet in neuem Fenster)


Ich kann mir den Horror kaum vorstellen und kann mich gleichzeitig nicht davon abhalten, es zu versuchen. Alles an diesem Fall ist schockierend und gleichzeitig so schockierend wenig überraschend. 

Wie so viele andere auch, war ich mehr als einmal Opfer von Männern, die ein »Nein« nicht hören wollten, die ihre eigenen Bedürfnisse über meine stellten und die –Upsie– gar nicht wussten, dass ich eine Innenwelt habe, in die sie genauso eindrangen wie in meinen Körper. Es muss ein besonderer Horror sein, von einem woken Mann misshandelt zu werden, denn der hat nach der Tat noch ganz viel dazu zu sagen. Vielleicht schlimmer noch: von einem mediengeilen Literaten der Sorte »Neue Männlichkeit«. Die Erfahrung, die er dir aufgezwungen hat, in die du nie eingewilligt hast und von der du nicht wolltest, dass sie jemals zu dir gehört, die aber nun für immer deine ist, die er in dein Leben hineingepresst hat, die Erfahrung entreißt er dir, um sie für seine eigene Reinwaschung im Metaraum der deutschen Feuilletons zu einem Lehrstück neu gefundener Sensibilität zu machen. 

Es ist paradox, wie sehr all das menschlich zum Verzweifeln ist, aber literarisch unfassbar banal: Ein Mann, der über sich selber schreibt.

Es ist paradox, wie sehr all das menschlich zum Verzweifeln ist, aber literarisch unfassbar banal: Ein Mann, der über sich selber schreibt. Ein Mann, der die Erfahrungen und Lebenswelten anderer zur Spiegelfläche seines eigenen Egos degradiert. Ein Mann, der über Täterschaft schreibt, während sein Opfer unsichtbar bleibt. Melissa Febos bringt es auf den Punkt, wenn sie schreibt: »Diejenigen, die von der herrschenden Machtstruktur profitieren, wollen eine Kunst, die sie repräsentiert, die den Status quo festigt, so wie sie auch Sex wollen, der den Status quo festigt, und der beste Weg, dies zu tun, ist, ihn zu wiederholen, in der Literatur wie im Leben.«

Wir werden hier Zeug:innen, wie Kunst entsteht, die subversiv tut, aber doch nur jene Machtstrukturen wiederholt, in denen der erste Übergriff stattgefunden hat. Es ist ein Narrativ, in dem man ein bisschen spekuliert, was gewesen wäre, wenn man die vollständige Menschlichkeit des Gegenübers anerkannt hätte, und allein diese öffentliche Spekulation bedeutet, ihm diese Menschlichkeit noch einmal zu entreißen. Ein Literat könnte wissen, dass Deutungshoheit Macht bedeutet. Er könnte wissen, was es bedeutet, über die eigene Geschichte bestimmen zu können – oder eben nicht. Natürlich weiß ein Literat das. 

Vielleicht will man sich dem unguten Gefühl entledigen, einfach nur ein ganz ordinärer Täter gewesen zu sein.

Und wofür erzählt man diese Geschichte trotzdem? Vielleicht denkt man wirklich, dass man eine sehr wichtige Perspektive hat und für den Fortschritt eben Opfer bringen muss, die man natürlich nicht selber bringt, sondern andere – ohne ihre Einwilligung. Vielleicht will man sich auch dem unguten Gefühl entledigen, einfach nur ein ganz ordinärer Täter gewesen zu sein. Es ist unbequem, so allein mit seinen schlechten Gefühlen zu sein. Sie tun weh. Sie sind schamvoll. Sie bringen die eigene Identität ins Wanken. Man kann es niemandem zumuten – außer Frauen und anderen marginalisierten Menschen natürlich, von denen man seit Jahrhunderten verlangt, mit ihren Geschichten allein zu sein. Vielleicht erzählt man die Geschichte aber auch einfach deshalb, weil die Bühne dafür da ist. Weil es reicht, als Mann ein paar Gefühle zu benennen und das Patriarchat nicht zu leugnen und schon ist gilt man als »sehr mutig«, »schonungslos« und »reflektiert«. Vielleicht ist es zu einfach, im Privaten gewaltvoll zu handeln und Abbitte öffentlich zu leisten. Die Vergebung von vielen Nicht-Betroffenen ist einfacher zu bekommen, als die Vergebung der einen Person, der man geschadet hat. Doch im Darüber-Schreiben, in der Bitte, damit nicht allein zu sein, fordert man auch, das letzte Wort haben zu dürfen. Doch das letzte Wort gehört nicht dem Täter. Sorgen wir dafür, dass er es nicht bekommt.

von Mika Döring

Kategorie Weekly

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