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Das geht ja wieder durch die Decke vor guter Laune..

 

Warum erinnere ich mich gerade jetzt an meine erste Italienreise? Jetzt, wo ich auf nichts mehr hoffe, ausser irgendwie durchzukommen, davon zu kommen. Keinen Weltkrieg zu erleben, keinen Irrsinn, nicht neidisch, hasserfüllt, ignorant zu werden, genau jetzt erinnere ich mich an mein erstes Mal.

Es ist   ein perfekter Moment, abends, ein Kiosk in Sestri Levante, das Meer rechts, die Pinien (Könige der Bäume) oben und grüne, alte Neonschrift davor, die Luft mild und kein Staunen mehr da.

 Die Schönheit macht nichts mehr mit mir, das Meer ist nur Wasser.

Die Erinnerung, das einzig Lebendige in der Trauer um die Zeit, in der alles Aufregung war. In der ich glaubte das die Menschen gut sind, die Welt immer besser würde für diese guten Menschen, mich mitgemeint.

 

Ich war wohl vor hundert Jahren das erste Mal in Italien, mit dem ersten richtigen Freund, oder einer Freundin- ich habe es vergessen-mit der ersten vermeintlichen Liebe, im ersten Auto. Und dem ersten teuren Hotel meines Lebens. Ein alter Palast in einem Piniengarten. Wie die duften in der Nacht, und wie die Grillen Geräusche machen, und ich am Fenster und gar nicht wissen, was man mit so einer Nacht anfangen soll. Sie essen, oder in ihr liegen und warten, dass ich mich auflöse in ihr?

 

Vor jener Nacht hatte ich Hotels nur angesehen. Von außen. Diese Häuser, mit gedämpftem, gelbem Licht, Buchsbäume links und rechts des Einganges, und gedacht: das werde ich wohl nie erleben, so ein Hotel, von innen.

Wie ein junger Hund komme ich mir vor, wenn ich heute daran denke. Morgens aus dem Bett stürmen und raus und alles ansehen müssen, unbedingt, sofort, bis man Kopfweh bekommt. Die Italiener, damals dachte ich, die schönsten Menschen der Welt, in den seidig fallenden Trikotagen redeten in dantesken Versen, so klug sahen sie aus, so selbstbewusst, und ich ---

Wie das war, als das Leben noch vor mir lag und ich dachte: jetzt, jetzt geht das alles los. Mit der Liebe, mit Italien, und dass es sich immer so anfühlen würde, wie ein Rausch dachte ich und nun, nun stehe ich an diesem Kiosk, trinke wunderbaren Kaffee und denke nur: heute Abend gibt es schon wieder nichts Vernünftiges zu Essen. Italienisch halt.

Wie sich das Leben abnutzt, das merkt man ja nur an Freunden und Ländern, die man immer wieder sieht und die Falten werfen, und die Gags, die hat man schon 1000-mal gehört und die Kaffeebuden 1000-mal gesehen, und am Meer gestanden und gedacht: also so schön werde ich wohl nie wieder am Meer stehen. Und doch wiederholt man alles, was einst aussergewöhnlich war, und hofft auf die Stärke der Gefühle, die das erste Mal erzeugt, hofft, dass wenigstens die Gefühle gleichbleiben, wenn schon alles andere verwaschen wirkt.

Nichts da. Alles wird schwächer. Wie die Erregung abnimmt und das Verstehen wächst, aber es hilft ja nichts. Es macht nichts einfacher, zu verstehen, nichts angenehmer.

Cinque Terre, 15 Jahre später, da sind nur noch Touristenmassen, die sich mit Reiseleitern durch die kleinen Orte schieben, da sind überfüllte Restaurants mit viersprachigen Speisekarten, da ist das Gefühl nicht Teil dieses Landes zu sein, nur ein Wirtschaftsfaktor.

 

Irgendwo hier am Meer war ich tanzen, in dieser Art, dass man verschwitzt ist und fast tot, wie nach einem Marathon, das war das einzige Mal in meinem Leben, dass ich vergessen hatte, dass ich Tanzen nicht verstand.

Natürlich trug ich schwarz zum weissen Gesicht, und früh am Morgen lag ich neben einem Boot – neben einem Menschen, vermutlich die Liebe, nach der ersten Liebe. Und an Venedig erinnere ich mich, im Herbst, mit Nebel.  Eine Pension für 30 Euro, und kein Geld mehr für gepflegte Speisen. Ziemlich hungrig liefen wir durch die Stadt und warum vergisst man das nicht, vergisst dafür die späteren gepflegten Reisen nach Venedig in Ferienwohnungen erwachsener Freunde, Essen in teuren Restaurants, die nie mehr das Gefühl machen werden, wie der Hunger auf das Leben damals.

Und wie mir das nicht mehr einfiele, heute, die ganze Nacht durch die Stadt zu laufen, weil der Zug um 6:00 fuhr und das Geld für eine Übernachtung nicht mehr vorhanden, heute, da ich am liebsten um 22:00 zu Bett gehe, und auch daran einige Ansprüche habe. Die Matratze, das Licht, die Sojamilch...

 

Mit welchem Menschen war das nur? In Bergamo, dem Schönsten, was man als Ort in den Bergen so werden kann, nachts vor einer bereits geschlossenen Bar und der Wirt stellte zwei Stühle für uns wieder vom Tisch und ich saß da, und redete atemlos Schwachsinn, mit Angst, dass ich nicht genügen würde, wenn ich schwiege. Ich genügte auch nicht. Ein paar Monate später war der Mensch weg und Bergamo für immer besetzt mit seinem Schatten.

Nachdem er sich aus meinem Leben verabschiedet hatte, der Bergamo-Mensch, war ich nach Capri gefahren, alleine, es war im April nach dem Herbst mit ihm, ich war die erste Fremde auf der Insel, und dachte, wenn ich vor Traurigkeit überhaupt zum Denken kam, dass ich vielleicht einmal so reich würde, mir einen dieser Paläste auf der Insel kaufen zu können, auf der alles so perfekt ist, dass es weh tut. Ich war den Inselwanderrundweg gerannt, jeden Tag, um mich zu bewegen, weil ich sonst nur zusammengekrümmt gesessen hätte, weil ich doch keine Ahnung hatte, dass das Leben weitergeht, dass Erinnerungen dünner werden, dass Liebe, die geht, keine Liebe ist, sondern nur Sehnsucht. Und das irgendwann alles verschwunden sein wird.

 

Ich stand auf Capri und schaute Boote an, und dachte bei jedem, da könnte er jetzt sein, der Mensch, auf diesem Boot und nichts erklären, Ich mochte es auch damals nicht sich zu erklären. Heute weiß ich, dass solche Sachen nur in Filmen stattfinden. Wunder werden nicht hergestellt in einer der Realitäten in der wir uns ungern bewegen.

 

Natürlich wohnt man in Bologna im Grand Hotel. Schaut später in Läden nach Waren die man anfassen kann, und freut sich, dass man nichts mehr braucht.

Und in der Nacht sitzt man auf seinem Bett, das Fenster geöffnet, und die Stadt lebt in Vertretung für mich.

 

Wie viele Jahre ist das her? In Bologna in einer hässlichen kleinen Wohnung, zu Besuch bei einem Italiener, und kein Wort reden können mit ihm, dann halt ans Meer, Rimini, die Eltern besuchen, und sich verabschieden, 3 Tage später, wieder Heim reisen, und wissen, diesen Menschen werde ich nie wieder sehen-  vielleicht war das schon der Beginn des Endes, dieses Wissen um Unmöglichkeiten. Das ist es doch, dass die Verzauberung nimmt. Allem. Das Wissen, dass ein schönes Gebäude, der Duft von Pinien und Abendwärme nichts an deinem Zustand ändern kann. Es wird schon bald eine Erinnerung sein, dich nicht verändert haben, dein Leben nicht.

 

Ich bin wieder zu Hause. In einem schönen Leben. Vielleicht werde ich irgendwann im Winter wieder einmal Sehnsucht bekommen, nach Italien, so wie viele. Und wir alle werden wieder fahren, an einen See, ans Meer, in touristische Gebiete, in die Vororte fährt doch keiner, in die Industriestädte, in den Süden, das will man nicht wissen.

Wir Sehnsuchtskranken wollen die Illusion und werden hoffen, dass die Zukunft so sein wird wie unsere Erinnerungen, mit Gerüchen und Gefühlen, wir werden uns selber in Reisen nachspielen, doch glaubt mir, wir werden es nie mehr finden, das Gefühl unserer ersten Italienreise.

 


 

Kategorie Sehr unterhaltsame Texte

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