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Anne Spiegel,

die Familienministerin, erklärte vergangenen Montag ihren Rücktritt. Es ist bereits einige Tage her, ich glaube ich muss hier nicht nochmal aufschreiben, was passiert ist, ich glaube das wissen inzwischen alle.

Fehler, Versäumnisse und falsches Verhalten müssen im Leben oft Folgen haben. Aber wenn wir uns genau ansehen, wer die Folgen eines fehlerhafen, inakzeptablen oder unmoralischen Verhaltens zu spüren bekommt, fällt da etwas auf: Ein Doppelstandard. Es sind nämlich immer Menschen, die sich keine Fehler leisten können, weil diese nicht toleriert, sondern scharf sanktioniert und bestraft werden. Diese Menschen sind entweder Frauen, oder von Rassismus betroffen, oder behindert, chronisch krank, trans, nicht-binär, vielleicht sogar auch mehrere gleichzeitig – also irgendwie werden sie marginalisiert. Oft betrifft die Null-Toleranz-Politik bei Fehlern linke und progressive Menschen. Aber keine konservativen Männer. Niemals konservative Männer.

Wir erinnern uns, wie Politiker wie Philip Amthor oder Andreas Scheuer nach den Skandals, die sie auslösten, von ihren Parteikolleg*innen geschützt worden und keine Konsequenzen befürchten mussten. Oder Olaf Scholz (Öffnet in neuem Fenster), der heute der Bundeskanzler ist. Läuft.

Häufig wird wegen einer vermeintlichen Cancel Culture geschrien. In dieser Scheindebatte geht es darum, dass sich Menschen angeblich keinen Fehler mehr leisten könnten, dass gesamte Existenzen sofort zerstört würden. Was dabei verschwiegen wird, ist, dass davon nur marginalisierte Menschen betroffen sind. Gecancelt werden nur jene, die sich keine Fehler leisten können, keine gesellschaftliche Immunität und flächendeckende Rückendeckung genießen. Konservative Männer bleiben da, wo sie sind, nein, sie werden sogar befördert, egal, welchen Mist sie bauen.

Anyway...

Frauen, Mädchen und andere mit Uterus in der Ukraine, die von russischen Soldaten vergewaltigt und schwanger werden, müssen Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen haben . Wenn sie in Polen landen, dürfen sie nicht abbrechen, oder werden zumindest mit großen Hürden konfrontiert, die sie in der Situation aber nicht benötigen. Kriegstrauma und Trauma durch sexualisierte Gewalt sind schon schwere Erfahrungen – da müssen sie sich nicht auch noch mit bürokratischen und anderweitigen Schwierigkeiten beschäftigen müssen. 

https://twitter.com/avalaina/status/1514115426560716801 (Öffnet in neuem Fenster)

Die Kolumne schrieb Lisa Biermann, sie handelt von der Suche nach der eigenen Identität, allerdings nicht als natürlichen Prozess, sondern einer, der von Außen ausgelöst wird. Zum Beispiel durch Fragen wie: „Wo kommst du denn wirklich her?“ Lisa musste als junge Person plötzlich erklären, warum sie sich selbst als Deutsche einordnet, weil ihr Umfeld das scheinbar nicht tat.

So funktioniert Diskriminierung: Nicht die Betroffenen grenzen sich aus und kommen mit dem Selbstverständnis als „Andere“ auf die Welt. Sie führen ganz normal ihr Leben und meinden ihr eigenes Businness, wenn sie plötzlich wahrnehmen, dass die Welt, in der sie leben, sie zum Anderen macht. Und die Erkenntnis löst nicht selten einen Prozess der Selbstreflexion aus, nicht freiwillig, sondern von der Dominanzgesellschaft angeordnet.

Drei Fragen beantwortete diesmal Carolin Kebekus 🎉 woohoo!

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Fragen, Anmerkungen und Kritik jederzeit gerne an contact@sibelschick.net

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Viel Spaß! 🍋

Liebe Grüße  
Sibel Schick

Wer bringt dich zum Lachen?
Carolin Kebekus: Ich liebe Hazel Brugger und kann über alles von Torsten Sträter lachen. Aber auch Ali Wong und Taylor Tomlinson auf Netflix sind grossartig. Ansonsten lache ich über viele, viele Menschen in meiner Familie, besonders über meinen Bruder, der selbst Comedian ist und mit dem ich ab Sommer einen Geschwister-Podcast mache.

Was wolltest du als Kind werden, wenn du groß bist?
Carolin Kebekus: Als Kind hab ich immer davon geträumt irgendwann mal spielen zu dürfen. Auf einer Bühne, oder im Fernsehen. Die Humorbranche hab ich aber lange nicht als „richtigen“ Beruf gesehen, bis ich Gaby Köster und Anke Engelke gesehen habe. Da wusste ich: Ach so! Das ist auch ein Beruf für Frauen!

Was ist dein Lieblingsgeruch und warum?
Carolin Kebekus: Ich liebe den Geruch von meiner Oma! Das war eine Mischung aus Erde, Waschmittel und einer besonderen Oma-Seife…

Carolin Kebekus ist Comedienne, Schauspielerin, Sängerin, Autorin und viel mehr. Ihr Buch „Es kann nur eine geben“ (mit Ko-Autorin Mariella Tripke) erschien 2021 bei Ki&Wi und handelt vom isolierenden Sexismus in unterschiedlichen Lebensbereichen. Die Sprache ist humorvoll und zugänglich. 352 Seiten, 18 Euro

Die Suche

Von Lisa Biermann

Ich war 20 Jahre alt, als mir das erste Mal so richtig bewusst wurde, dass ich nicht weiß bin. Für manche Menschen mag das seltsam klingen. Weil sie vielleicht denken, dass es eigentlich klar sein müsste, dass ich als asiatisch gelesene Frau nicht als weiß wahrgenommen werde. Doch so einfach ist es nicht. Ich lernte es, indem ich anders behandelt, zu einer Anderen gemacht wurde.

Meine Schule und mein Umfeld prägten meine Jugend mehr als mein koreanisches Erscheinungsbild - auch mein deutscher Name und Pass hatten einen Einfluss auf meine Selbstwahrnehmung. Ich komme aus einer Kleinstadt in NRW und ging auf eine Schule, auf der der Großteil der Schüler*innen und Lehrer*innen weiß waren. Blöden Sprüchen kam ich grundsätzlich zuvor, in dem ich selber Witze über mich machte, bevor andere eine Chance dazu haben. Für mich war es ganz selbstverständlich, dass mein kompletter Freund*innenkreis aus hauptsächlich weißen Menschen bestand, das stellte ich nie infrage.

Nach meinem Abitur reiste ich, wie Tausende andere Deutsche auch, nach Neuseeland. Dort sammelte ich viele schöne Erfahrungen, sah mich allerdings auch mit der immerwährenden Frage konfrontiert: „Und woher kommst du wirklich?“ Ich bin mir sicher, dass jede*r BIPOC* diese Frage nur zu gut kennt und wahrscheinlich kriegen einige schon einen leichten Brechreiz dabei. Diese Frage impliziert, dass man als anders eingeordnet wird und erklären muss, warum man sich als deutsch identifiziert. In meiner Jugend fühlte ich mich selten bewusst mit dem „Anderssein“ konfrontiert, daher lösten die wiederholten Fragen nach meiner wirklichen Herkunft ein schwer zuzuordnendes Gefühl in mir aus. Ich musste mich plötzlich mit dem Herkunftsthema befassen und begann, meine Jugend und generell mein Umfeld bewusster zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen.

Dieser Prozess brachte schmerzhafte Gefühle hervor, trotzdem bin ich sehr froh darüber. Ich fing an, mich mit mir selber auseinanderzusetzen und meine Erfahrungen aufzuarbeiten. Ich erinnerte mich an rassistische Beleidigungen, oder an das Gefühl, ungeschminkt nicht schön genug zu sein, weil ich nicht den eurozentrischen Schönheitsidealen entsprach. Ich dachte über die fehlende Repräsentation in den Medien nach, oder an die Tatsache, dass in meinem Zimmer nur Poster von blonden Sängerinnen hingen, die meine Vorbilder waren. Ich lernte mich aber auch als Person besser kennen und brachte mir selber Empathie und Verständnis entgegen. Irgendwann hatte ich das Bedürfnis, mich mit meiner koreanischen Herkunft verbunden zu fühlen. Aber das war schwierig, weil ich kein Koreanisch spreche und mich weder für K-Pop noch für K-Dramen interessiere. Später fand ich meinen Zugang zu der koreanischen Kultur über das Kochen. Ich kann mir vorstellen, dass es einigen Menschen, die einen sogenannten Migrationshintergrund haben, ähnlich geht. Ich glaube, dass es wichtig ist, einen eigenen Zugang zu der Herkunft zu finden und diese zu akzeptieren, aber ebenso, dass es Grenzen und Barrieren geben kann.

Oft fühlte ich mich nicht deutsch genug und genauso oft fühlte ich mich nicht koreanisch genug. Vielleicht ist ein Teil meiner Identität aber auch die Suche nach ihr. Inzwischen finde ich es auch schön und bereichernd, zwei Kulturen in einer Person zu vereinen und von beiden zu lernen.

Lisa Biermann ist eine koreanisch-deutsche cis Frau, die in Berlin lebt. Sie hat Human Geography an der Radboud Universität in Nimwegen studiert, ist zur Zeit Schülerin an der STARTER - Berliner Schauspielschule für Film und Fernsehen und arbeitet für eine NGO. Lisa beschäftigt sich in ihrer Freizeit sowie im beruflichen Kontext mit Antidiskriminierung, insbesondere Antirassismus. Folge Lisa auf Instagram unter @lisa_biermann_ (Öffnet in neuem Fenster).

Ich verbrach diesen Monat einen Tag im Krankenhaus. Ich wurde morgens aufgenommen und angemeldet, und sollte am nächsten Tag operiert werden. Später kam aber leider mein PCR-Test positiv und ich wurde zurück nach Hause geschickt.

Die Frau, mit der ich die paar Stunden das Zimmer teilte, kam aus einem sächsischen Kaff. Sie erzählte mir, dass sie das Zimmer vor mir mit einer „Griechin“ teilte. Als wir uns darüber unterhielten, dass wegen der Pandemie Besuche nicht erlaubt waren, was ich nicht gut fand, sagte sie: „Ich bin ja froh, dass die Griechin ihre Familie hier nicht reingeholt hat. Die war ja den ganzen Tag am Telefon mit denen. Mit der Mutter, mit der Schwester, mit dem Bruder, mit der Schwägerin, und und und...“ Dabei musste ich an Elektra Beckers Kolumne (Öffnet in neuem Fenster) aus der März-Ausgabe denken.

Später erzählte mir meine Krankenhauskameradin, dass sie einmal mit ihrer Familie in der Türkei war. Sie würden da aber nicht nochmal hinfliegen, weil das mit der Mentalität so nicht gepasst habe: „Wir wurden da halt beklaut.“

Ob sie das für deutsche Mentalität hält, wenn in Deutschland geklaut wird?

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Buch. Schwarz wird groß geschrieben - Evein Obulor / Rosamag (Hg.)

„Und manchmal ist es auch einfach richtig zu gehen, wenn sich Räume oder Menschen nicht mehr sicher anfühlen. ... Du musst in keiner Situation verbleiben, die dich verletzt.“ - Emilene Wopana Mudimu, in: „Ein Brief an mein jüngeres Ich“. S. 97

Buch. Race Relations - Michaela Dudley

„Die Breite der Benachteiligungen, die wir intersektional betroffene Frauen erleben, beschert uns allen wiederum die Möglichkeit, Gemeinsamkeiten zu finden und gemeinsame Strategien zu entwickeln, um patriarchale Herrschaftsstrukturen effektiver zu bekämpfen (...).“ In: Sojourner Truth und die Wahrheit über Schwarzen Feminismus. S. 125

Buch. Sexuelle Revolution - Laurie Penny

„Im Benennen liegt ein Zauber.“ In: Beautiful Trouble, S. 13

Song. This Town - Trixie Mattel feat. Shakey Graves 

https://open.spotify.com/track/2xUcsMzJrII3LhmcxNHIWJ?si=3cb3a571181c42eb (Öffnet in neuem Fenster)

Buch. Die Mutter aller Fragen - Rebecca Solnit

„Fehlende rechtliche Befugnisse über den eigenen Körper sind eine Form, Menschen zum Schweigen zu bringen.  Ohne diese Rechte kann Gesagtes wertlos werden, und Worte ohne Wert sind noch schlimmer als das Schweigen.“ In: Eine kurze Geschichte des Schweigens, S. 53

Buch. Zugang verwehrt. Keine Chance in der Klassengesellschaft - Francis Seeck

„In der Abwertung von Frauen aus der Armuts- oder Arbeiter:innenklasse verbinden sich klassistische und sexistische (und unter Umständen rassistische, s.u.) Unterdrückungsformen. Diese Verwobenheit hat eine lange Geschichte, beispielsweise mit der Verfolgung sogenannter asozialer Frauen im Nationalsozialismus, zu denen zum Beispiel Sexarbeiter:innen zählten.“ In: Klassismus kommt selten allein : Mehrfachdiskriminierung und Klasse. S. 88

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