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Nach dem Schreiben.

Schreiben ist therapeutisch? Schon, aber Schreibende brauchen auch Therapie. Mein neuer Therapeut zeigte mir die Auswertung meiner Anamnese. Er sagt, ich hätte genug Punkte erzielt, um mich für eine mittelgradige Depressive zu qualifizieren. Ich bin erleichtert, als er mir die Punktezahl (23 Punkte, mein Geburtstag) aufschlüsselt. Offiziell die Bestätigung dafür zu bekommen, dass es mir gerade nicht so gut geht, fühlt sich so gut an, ich habe gleich Angst, der Therapeut müsste mir die Diagnose wieder wegnehmen. Aber dieser in Punkten zusammengefasste, neutrale Blick von außen hilft mir, mich zu verorten.

Die Zeit nach einer Veröffentlichung ist schwierig. Antriebslosigkeit, rasende Gedanken, Unsicherheiten. Anstatt nach einer großen Erleichterung fühlen sich Veröffentlichungen für mich bisher mehr wie ein Verlust an. Etwas, mit dem ich mich lange beschäftigt habe, ist nicht mehr da, liegt nicht mehr in meiner Kontrolle, ich kann nichts mehr daran ändern. Mein Yogi-Tee sagt heute: „Das Leben ist, wie es ist. Versuche nicht, es zu kontrollieren, lass es zu.“ Wie viel Weisheit passt bitte auf den Zettel, der an einem Teebeutel hängt?Aber nach dem Schreiben gibt es keinen Rebound, keine schnelle Ablenkung mit einem kurzen Text. Schreiben fällt mir gerade schwer und das ist eigentlich auch ok, weil der Schreibprozess (im Konkreten) und mein Prozess als schreibende Person (im Ganzen) ja nicht immer nur durch Getippe am Leben gehalten werden. Dennoch fehlt etwas, das nicht ersetzen lässt. Die Leere aushalten? Nices Konzept, aber wie umsetzen?

Mit der Leere bin ich nicht alleine. Jede Person, die ich kenne, die kreativ arbeitet, kennt die Phase nach einem großen Projekt. Und jede Person, die ich kenne, mit der ich mich dazu austausche, geht anders damit um. Eine befreundete Person sagte mir, dass die Zeit nach einem Projekt einfacher ist, wenn man sich während des Projekts voll reinhängt. Andere sagen mir, dass ich den Prozess nicht absterben lassen muss, dass ich weiter schreiben darf, ohne Form, einfach drauf los. Meine Erfahrung mit mir selbst ist, dass es mir schwer fällt, zu schreiben und zugleich nicht zu schreiben.

Ich vermisse zu schreiben, denn schreiben kann so viel: Es kann Erleichterung bringen, weil sich im Schreiben persönliche und innere Themen lösen, Erkenntnisse aufkommen, Dinge in Bewegung kommen, die ohne das Schreiben, ohne die Arbeit am Text, ohne Figuren Teile von sich anzuvertrauen, gar nicht erreichbar waren. Gleichzeitig lenkt das Schreiben aber auch ab, weil es den Selbstwert füttert, weil es mich hält, weil es mir eine Aufgabe gibt. Eine Aufgabe, die sich wichtig anfühlt, weil mir im Schreiben das Leben nicht nur vollgepackt mit Sinnhaftigkeit und Mut entgegentritt, sondern weil ich auch eine gute Ausrede habe, mich von der Welt zurückzuziehen. Das Schreiben ist für mich ein innerer Prozess, eine Zeit, in der ich mich von der Umgebung schütze. Als Person mit sozialen Ängsten hat das viele Vorteile. Ich vermeide Situationen, die für mich stressig sind. Ich vermeide Situationen, die meine Unsicherheiten anstoßen. Vielleicht ziehe ich mich dann manchmal zu sehr zurück, halte das Schreiben wie ein Schutzschild vor mir hoch. Aber wie kann mir jemand böse sein? Ich schreibe doch gerade an einem Buch.

Wenn das Buch dann aber fertig ist, wenn ich das Schild nicht mehr in der Hand habe, wenn ich mich langsam wieder in die Welt bewegen will, dann setze ich mich unter Druck. Jetzt ist doch endlich die Zeit, in der ich mich wieder in der Welt bewegen kann, ohne im Hinterkopf die eine Passage, den einen Dialog umzuschreiben. Jetzt ist doch endlich mal wieder Zeit, rauszugehen, auszugehen. Jetzt kann ich endlich wieder unbefangen Bücher lesen, mich in den Texten anderer Menschen verlieren. Stattdessen kaufe ich Bücher für den Stapel der ungelesenen Bücher, stattdessen spricht mich keine Party an, stattdessen liege ich lieber auf der Couch und Spiele dieses Handyspiel, in dem eine kleine Figur mit Waffen um sich wirft und gegen Zombies kämpft. Ich fühl diese kleine Figur dann sehr.

Ich muss mich nicht in die Welt werfen, als wäre mir gerade eine Last abgenommen wurden. Mehr Bücher machen das Impostersyndrom nicht weniger. Ein großer Teil von mir ist leer, leergeschrieben, und in der Diagnose finde ich so viel Ruhe und Bestätigung, dass ich gleich nach Gegenmitteln suche. Ok, ich bin also in einer Depression, das gibt mir was zu tun. Immerhin nur mittelgradig, eine schnelle Google-Recherche sagt, dass das mit Behandlung in ein paar Monaten vorbei sei kann – was Sinn macht, weil trotz der Schwere, ging ich nie davon aus, dass es jetzt für immer so ist.

Der Schreibprozess ist schon weird. Da beschäftigt man sich ewig mit einem Text, kann nicht darauf warten, das Buch in der Hand zu halten, und dann ist es da, aber die Befriedigung setzt nicht ein, stattdessen die lange aufgeschobene Müdigkeit. Nickerchen sind wichtig. Aber auch die Self-Care. Mehr meditieren, wieder mehr für meinen Körper machen, besser essen, mehr mit dem Hund rausgehen. Ich kann mir jetzt auf Augenhöhe begegnen, mich da abholen, wo ich stehe. Ich muss nicht total euphorisch sein, es ist ok, wenn ich ein bisschen langsamer bin. Das mit der Depression, das wird schon. Und das mit dem Schreiben? Schreiben fällt mir noch schwer, aber auch das ist jetzt ok, weil ich weniger von mir erwarte. Stattdessen fange ich ein neues Notizheft an, skizziere hier und da ein paar Sachen runter, versuche keine Form zu erobern. Ich nähere mich meiner Vulnerabilität in einen kleinen Schlücken. Das mit dem Lesen fällt mir jetzt auch einfacher, als würde ich zum ersten Mal ein Buch aus Spaß in die Hand nehmen, einfach wieder weglegen, ein neues Buch anfangen. Ich darf jetzt messy sein. Und gerade die letzten Wörter dieses Texts zu tippen, das hilft mir auch.

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Bild: Generiert mit DALL·E 2.

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