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Guten Tag, werte Lesende!

Diese Woche war ich mit Fragen befasst, die ich in den ersten Jahrzehnten meines Lebens deutlich unterschätzt habe, Fragen des Umgangs miteinander. Als nicht ganz alter, aber sehr weißer Mann, dessen Charme nicht im Süden reifte, sondern im rauen Nordwesten eher unterentwickelt blieb, hielt ich ordentliche Umgangsformen lange für eine zeitraubende Lästigkeit nahe an der Charakterschwäche. Leider Quatsch. Ohne diesen mikrofeinen Ölfilm im Zylinder ist auch der stärkste Motor bald hin. Der wunderbare Tristan Horx – ja, genau, Sohn vom Zukunftsforscher Matthias – hat gerade ein Buch mit dem Titel "Unsere fucking Zukunft" geschrieben. Lieblingssatz: "Eine lohnenswerte Zukunft ensteht nur, wenn Beziehungen gelingen. Und nicht, wenn alles, was digitalisiert werden kann, endlich digitalisiert ist."

PS: Spaß an Schumachers Woche?  Für alle, die meine Arbeit unterstützen möchten und können, gibt's hier (Öffnet in neuem Fenster) die Möglichkeit. Diese Woche verlose ich unter allen Steady-Freunden ein unsignierte Autogrammkarte, die ich diese Woche habe mitgehen lassen. 

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Und jetzt: Viel Spaß!

Schwanzfisch der Woche

Über die Causa Springer/Döpfner/Reichelt ist alles gesagt, auch von jedem und jeder, außer den Opfern. Gleichwohl geriet die Runde bei Markus Lanz mit Caroline Rosales, Daniel Drepper, Melanie Amann und Sidekick Michael Müller  angenehm unaufgeregt, wenn auch nicht minder schmerzhaft. Fazit: Erst wenn Frauen und Männer über das reden können, was Jahrzehnte lang in unserer Branche vor sich ging, ist Heilung möglich. Solange allerdings abgelenkt und abgewiegelt und abgestritten wird, drehen wir uns weiter im toxischen Rad. 

https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-21-oktober-2021-102.html (Öffnet in neuem Fenster)

Mein Buch Männerspagat hat sich zwar nicht bombastisch gut verkauft. Ein großer Gewinn war es für mich trotzdem. Die Recherchen und Gespräche und Erinnerungen bedeuteten für eine selbsttherapeutische Reise durch mein und das Mannsein an sich. Und ich habe viele neue, moderne, reflektierende Jungs kennengelernt. Ja, tut manchmal weh, aber hilft.

https://www.luebbe.de/eichborn/buecher/politik-und-gesellschaft/maennerspagat/id_6919233 (Öffnet in neuem Fenster)

Aufschlussreich sind bei diesem giftigen Thema übrigens alle Kommentare, Tweets und Videos von KollegInnen und den Menschen draußen im Land. Es gilt: Jeder dieser noch so kurzen Texte  oder Ansprachen ist immer auch eine kleine Autobiografie.

Kevin der Woche 

Der junge Reizpolitiker Kevin Kühnert hat im Wir-Podcast, den ich mit meiner Frau Suse für die Berliner Morgenpost mache, auch über den Umgang der jungen Wilden untereinander gesprochen, der deutlich teamorientierter und flachhierarchiger ist als zu meiner Jungwildzeit. Zudem hat Kühnert noch über Olaf Scholz, seine Haartolle, die Pläne für die Koalitionsverhandlungen und seinen Trick zur Rauchentwöhnung  gesprochen, sowie ein paar Anlagetipps gegeben, weil er ja jetzt Diäten bekommt und nicht weiß, wohin mit der ganzen Kohle. Lieblingszitat auf die Frage, ob er sich mit Olaf Scholz vertragen habe: "Nein." Lange Pause. "Weil wir uns nie zerstritten haben." Die Folge ist ab Freitag ,20 Uhr, hier zu finden:

https://www.morgenpost.de/podcast/wir-arbeit-liebe-leben/ (Öffnet in neuem Fenster)

Benimmtipp der Woche

Wo wir gerade bei Umgangsformen in der Politik sind. Für die Ampel-Verhandelnden gilt eine einfache Grundregel: Einfach das Gegenteil dessen machen, was Markus Söder getan hätte.  

Gönnen können

Inhalte? Natürlich. Aber zuerst kommt der Umgang miteinander. Da lässt sich viel von Markus Söder lernen. Ein Koalier-Knigge in sechs Punkten.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ist bekannt für aufwendige Faschingskostüme. Mal ging er als grünes Gespenst Shrek, mal als Bettel-Punk, er wagte sogar Crossdressing und kam als Marylin Monroe. Nie war Söder allerdings verkleidungstechnisch weiter von sich selbst entfernt als 2016. Da trat er als Mahatma Gandhi auf. Dem indischen Nationalheiligen werden viele kluge Sätze zugeschrieben, etwa: „Glück ist, wenn das was Du denkst, was Du sagst und was Du tust, in Harmonie sind.“ Im politischen Alltag handelt Söder oft andersrum. Ironien und Sticheleien gehören ebenso zu seinem Repertoire wie der Tritt unter dem Tisch oder eine nicht eingehaltene Zusage. Denken, Sagen, Tun drifteten erst am Wochenende wieder auseinander. So schwänzte Söder de Deutschlandtag der Jungen Union, wohl aus Furcht vorm empörten Unions-Nachwuchs wegen seines eigenwilligen Wahlkampfs.

Beim Verständnis, warum die Ampel-Gespräche bislang überraschend geschmeidig verliefen, ist der bayerische Ministerpräsident überaus hilfreich. Die Unterhändler von SPD, FDP und Grünen müssen nur fragen: Was hätte Söder gemacht? Um dann exakt das Gegenteil tun. Ein Koalier-Knigge in sechs Punkten.

1. Team statt Erlöser

Lange galt in der Politik das Leitbild vom genialen Herrscher, der die Lage im Griff hat. Söder etwa kontrolliert seinen Staat bis in die Terminpläne seiner Minister hinein. In einer komplexen Welt stößt der Erlöser-Mythos an seine Grenzen. Es ist einfach zu viel für einen Menschen, inhaltlich wie konditionell. Ob grüne Doppelspitze oder SPD-Trio – moderne Führung wagt Arbeitsteilung, die wiederum Teamgeist erfordert, der schließlich auf Respekt und Ehrlichkeit fußt. Überrascht lobt der Solo-Vorsitzende Christian Lindner die vertrauensvolle Stimmung.

2. Vertraulichkeit statt Medienschlacht

Das weitgehende Stillhalten der Unterhändler ist Journalisten ein Graus, dem Ergebnis aber zuträglich. Denn mediale Schlachten via Interviews wie Söder sie fast täglich gibt wollen keine Probleme lösen, sondern Macht demonstrieren. So wachsen Missverständnisse, Verletzungen und schließlich Misstrauen.

3. Behutsame Inszenierung statt Starposter

Betritt Söder einen Raum, hört man reflexhaft scheinbar Fanfaren. Wie ein König, der seine Ländereien zeigt, fährt er mit der Kanzlerin Kutsche. Die Vorsondierungen der Zitrusfrüchtchen dagegen präsentierten ein behutsam geschöntes Viererbild, das eher an WG als an Palast erinnerte. Den vorläufigen Höhepunkt der neuen Bescheidenheitsästhetik bildet das Mannschaftsfoto der sechs Ampelkräfte: alle im seriösen, aber sichtbar nicht exklusiven Gewand, keinerlei Hierarchiesymbole, dafür alle auf Augenhöhe und in einer Linie. Keine Posterboys und –girls mit ausholender Machtgestik, sondern Frontleute des unaufgeregten Miteinanders - Baldrian für eine erregungserschöpfte Republik.

4. Ernst statt Ironie

Doppeldeutigkeiten („Mein Freund Armin“) mögen für Insider amüsant sein, nähren aber den Verdacht von Unernst und versteckter Agenda. Im Zeitalter des absichtsvollen Missverstehens werden ironische Sätze oft zum Bumerang. Die spaßbefreite Ansprache, die Angela Merkel sechszehn Jahre lang quälend diszipliniert durchhielt, wird von den mutmaßlich kommenden Koalitionären kopiert.

5. Führung nach innen statt Kraftmeiererei nach außen

Kubicki, Hofreiter, Stegner – jede Partei hat ihre Querköpfe, die für einen krawalligen Talkshow-Auftritt ihr Parteibuch verkaufen. Dass bislang relativ wenig Querschüsse zu hören waren, spricht für eine gewisse Autorität der Führungsleute in ihren eigenen Apparaten.

6. Gönnen statt Gieren

Die Grünen verzichten auf das symbolschwere Thema Tempo 130? Die FDP beschleunigt das Aus für Verbrenner? Die SPD verzichtet auf das Schlüsselressort Finanzen? Statt Maximalziele zu formulieren und rote Linien zu ziehen, gehen alle Beteiligten in Vorlage. Für die vertrackteren Detailverhandlungen ist damit eine Basis für Kompromisse gelegt.

Mit freundlicher Genehmigung der Berliner Morgenpost

Seidl der Woche

Als ich Jungspunt beim Spiegel war, beeindruckte mich ein unwesentlich älterer Kollege, der erstens in diesem für Sportjournalisten völlig unverständlichen Ressort namens Feuilleton arbeitete, damals unter Leitung von Helmut Karasek, und zweitens schon am Konferenztisch bei den Großen sitzen durfte. Er kam von der Süddeutschen, war unauffällig edel gewandet, bekleidete das Amt des Filmkritikers, was mit Arbeit ja eigentlich wenig zu tun hat und war auf eine hochelegante Art saufrech. Selbst ärgste Bosheiten verpackte er in einer Wolke der guten alten Münchner Luft, aus der einst Baby Schimmerlos emporstieg – der notorisch ungestresste Claudius Seidl. Inzwischen habe ich das Vergnügen und die Ehre, mit Claudius (sowie Claudia Kade und Anna Sauerbrey) unter dem strengen, aber meist sehr höflichen Jörg Thadeusz für den RBB die Welt zu beobachten. Dem Newsletter des geschätzten Zeit-Kollegen Christoph Amend entnahm ich nun, dass Claudius Seidl, heute FAZ, alsbald ein Buch über wen auch immer veröffentlichen wird. Es wird ein literarisches Fest, hoffentlich auch ein bisschen Schlachtfest, auf jeden Fall garantiert formvollendet. 

Kostprobe hier:

Antirassismus der Woche 

Die wunderbare Kollegin Canan Topçu, eine der ersten festangestellten türkischstämmigen Frauen im Journalismus, hat ein mutiges Buch geschrieben, in dem sie den routinierten Empörungston hinterfragt, der die Identitätsdebatte beherrscht. Prognose: Ein Buch mit Shitstorm-Garantie. Auf der digitalen Buchmesse habe ich mit ihr gesprochen. Und mit Katharina Nocun (Fake Facts, True Facts) sowie Tristan Horx (s.o.).

https://youtu.be/yCtpUDEAVxs (Öffnet in neuem Fenster)

Gas, Wasser, Scheitern der Woche

Einen besonders höflichen Umgang erfuhr ich diese Woche im Baumarkt (nahe dem Wittenbergplatz). Mag auch daran gelegen haben, dass ich viermal dort war, in drei Stunden. Aber lesen Sie selbst.

Dichtwurstreste

Quatsch, wir bestellen doch keinen Klempner. Was das kostet. Mache ich selbst. Ist doch nur der Abfluss. Chemiewaffen darf ich nicht einsetzen, wegen der Delfinbabies. Unterdruckgepömpel führte zwar zu einem hübschen Sprenkelmuster, auch im Gesicht, aber nicht zum Durchbruch gen Kanalisation. Zum Glück gehört Heimwerken zu meinen verborgenen Talenten. Gas, Wasser, Scheitern – genau mein Ding.

Elegantes Robben unters Waschbecken. Mist. Die verdammten Schraubverschlüsse wollen sich nicht bewegen. „Andersrum“, sagt der Herr Sohn. Danke. Über Kopf ist halt manches anders. Nächste Hürde: Kein OP-Besteck. Essstäbchen sind zu kurz, Kaninchendraht nicht stabil genug. Ab zum Baumarkt, fünf Meter Profispirale erwerben. Top-Gerät. Alles fließt. Wie früher. Freudentränen. Die Beute: ein halber Ohrring, die kleine Nagelfeile, die ich so oft suchte und viel sehr Dunkelgraues. Fast fertig. Fast.

Ein Rinnsal trudelt am Rohr entlang. Klar, Dichtungen. Wieder in den Baumarkt, freundschaftlicher Gruß, man kennt sich. Edles Dichtungsset erstanden. Zurück auf Tauchstation. Das Rinnsal trudelt weiter. Zum Glück die Dichtungsmasse mitgekauft, die zu dünnen Würsten gerollt in die Gewinde gelegt wird. Bingo. Ausgerinnsalt.

Das Finale. Der letzte, sportliche Zug auf die zentrale Abflussschraube im Waschbecken. Trockenes Knirschen. Die Schraube dreht sich spielend leicht. Das Gewinde, tief im Rohr, ist gebrochen. Nach fest kommt ab. Lieblingsspruch.

Richtig. Sekunden vor Ladenschluss mit Hechtsprung in den Baumarkt. Nebenbei die Bewerbung zum „Kunden des Monats“ ausgefüllt. Dann Ersatzteile montiert. Fertig. War doch easy. Vorführung für die Familie: Vati dreht einen Wasserhahn auf. Nichts tropft. Der Sohn formt Dichtwurstreste zu einem Pokal. Die Chefin fragt, was „der Spaß“ gekostet habe. „Pfennigartikel“, sage ich wahrheitswidrig. Für das Geld hätten wir eine vergoldete Rohrzange aus Dubai einfliegen lassen können. Egal. Selbst gemacht. Das zählt. Morgen kümmere ich mich um die Elektrik.

Mit freundlicher Genehmigung der Berliner Morgenpost  

Energieschub der Woche

Ich hatte das Vergnügen, bei der Mangement-Tagung der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal vorzutragen. Die ziemlich christliche Stiftung betreibt Kitas, Schulen, Heime und beschäftigt Menschen, denen Ruhm und Reichtum und Machtrituale deutlich weniger bedeuten als, sage wir, den Springers. Aus dem Vortrag wurde ein wilder dialogischer Ritt durch alle Ebenen des menschlichen Miteinanders.  Zum Schluss haben wir einem Zukunftskoffer gepackt. Jede/r hat was beigesteuert, für unsere Reise durch die nächsten Jahre, vom Roggensamen bis zum Adapter. Das Schöne: Diese drei Stunden in Neuruppin haben mich derart mit positiver Energie aufgeladen wie zwanzig Jahre Redaktionskonferenzen nicht. Warum? Weil diese Menschen einfach gut miteinander umgehen. Ja, ich gestehe, wir haben im Stuhlkreis gesessen. Und das war auch gut so. Besser als vor Thronen knien. Danke dafür. 

So, das war´s. Danke fürs Wahrnehmen. Ich wünsche ein umgangsförmlich ausgereiftes Wochenende. 

Ach ja, die Sylt-Kolumne. Hier ist sie.

Schnee von gestern

Von Arno Nühm

Achtung Kalauer! Sylt hat kein Drogenproblem. Nachschub und Vertrieb klappen hervorragend. Wenn mal doch ein kleiner Hasch-Dealer geschnappt wird, erinnern sich die Sylter Schupos meist an gemeinsame Schultage mit ihm (oder seinen Eltern), und der arme Wicht muss Besserung versprechen. Fall erledigt. Schließlich geht es auf Sylt immer auch um Wirtschaftsförderung. Weil das  Straßengeschäft eher rückläufig ist, sind originelle Lösungen gefragt. Sylter lassen sich ihre Pizza ja gern mit dem Taxi kommen. Ja nach Belag kann das schon mal etwas teurer werden. Richtig kostspielig wird die Mahlzeit, wenn man eine bestimmte Taxinummer wählt und eine besondere Pizza bestellt. Man kann aber auch selbst zu der kleinen Pizzeria fahren, die jeder Insulaner kennt. Die entscheidende Frage: "Gibt es auch noch andere Beläge als die auf der Karte?" 

Aber das sind geringfügige Mengen im Vergleich zu einem Großlieferungsfiasko, das die Kampener Schickeria einst in blanke Versorgungsängste versetzt hat. Man könnte die Ware im Zug heranschaffen, mit oder ohne Auto. Der Seeweg aber hat den Vorteil, dass man den Stoff im Kontrollfall einfach über Bord wirft - so geschehen einst in der Hochsaison. Da trieben vor Sylt jede Menge Rucksäcke, die einfach nicht untergehen wollten. Einige konnte die Wasserpolizei herausfischen - eifrig unterstützt von Syltern mit Boot, die "gern helfen wollten". Andere landeten am Sylter Strand. Ehrliche Touristen lieferten das Treibgut  bei ihrer Appartment-Vermietung ab oder gleich im Fundbüro. Der Rest der Rucksäcke ist entweder auf dem Grund des Meeres gelandet oder vielleicht doch noch beim Partyvolk von Kampen. In Klubs und Bars, so sagt man, liegt im Winter mehr Schnee als draußen vor der Tür. Moin. Bis nächste Woche.

PS: Spaß an Schumachers Woche?  Für alle, die meine Arbeit unterstützen möchten und können, gibt's hier (Öffnet in neuem Fenster) die Möglichkeit. Diese Woche verlose ich unter allen neuen Steady-Freunden ein auf Wunsch signiertes Exemplar von Kein Netz. (Öffnet in neuem Fenster)

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