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Guten Tag, werte Lesende!

Heute erzählt Gevatter wieder von früher, diesmal von 1984. Da kam ein junger Kerl mit Schnauzbart und Kommissfrise in einen Klassenraum der Deutschen Journalistenschule marschiert, wo sich die neue Lehrredaktion erstmals traf. Er knallte seine Aktentasche gleich neben den Beutel eines sehr blonden, sehr lauten Knaben. Der eine kam gerade von der Bundeswehr, der andere aus der Kneipe. Der eine war Detlef Hacke , der andere war ich.

37 Jahre später. Detlef wohnt derzeit für eine Woche bei uns in Berlin; immer nur Hamburg ist ja auch keine Lösung. Und München haben wir längst hinter uns. Alles wie damals, sogar die dummen Sprüche. Nur, dass wir jetzt keine Hoffnungsträger mehr sind, sondern alte, weiße Kostenposten. Zum Glück hat sich meine Psychologattin aufs Sinnfinden spezialisiert. Gestern saßen wir wie Statler und Waldorf auf einem Mäuerchen am Paul-Lincke-Ufer, haben beim Boule zugeschaut und festgestellt, dass wir die jungen KollegInnen nicht so doll beneiden.

Die ganze Woche über haben wir kleine Ausflüge gemacht, Bier getrunken, aber viel weniger als früher, und geplaudert, einfach so.  

Das wünsche ich Euch und Ihnen auch, für dieses Wochenende, den ganzen Sommer und überhaupt.

Herzlich,
Hajo Schumacher

Das Lehrstück der Woche

Als ich vor einem Vierteljahrhundert (schon wieder spricht Gevatter) im Berliner Büro des Spiegel diente, fegte eine ungewöhnlich gut gelaunte, blitzgescheite und ziemlich eigenwillige Frau über die Flure. Weil gute Laune beim Spiegel seit jeher als Charakterschwäche gilt, blieb sie nicht lange. Dass sie bei Jürgen Habermas studiert hatte, erfuhr ich erst später. Sie machte da kein großes Ding draus. 

Heute ist Carolin Emcke eine wichtige deutsche Denkerin. Beim Grünen-Parteitag hat sie was gesagt, das nicht mal mit bösestem Willen als irgendwie "antisemitisch" zu deuten war.  Bild, das Fachblatt für situative Ethik, hat sich dennoch empört, CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak folgte. Tage später korrigierte er seinen Vorwurf, er hatte mit Carolin Emcke telefoniert. 

Die schlechte Nachricht: Zu einer echten Entschuldigung hat es bei Ziemiak nicht gereicht. 

Die gute Nachricht: Ein Unions-Generalsekretär hat die Eier, einen Fehler einzugestehen. Das ist neu.

Die naive Hoffnung: Wahlkämpfende kapieren, dass dieses strategische Missverstehen von Kontrahenten kein politisches Handwerk ist, sondern ein sicheres Vorzeichen von morbus trump.

PS: Allensbach meldet, dass 44 Prozent der Deutschen angeblich nicht wagen, ihre Meinung zu sagen. Bei etwa der Hälfte mag das eine gute Nachricht sein. Die andere Hälfte fürchtet sich womöglich einfach nur vor dieser automatisierten Empörung.

Karriere der Woche

Tanit Koch schien an Bild zu leiden wie Friede Springer, still natürlich, weil der Laden ja laufen soll. Jetzt darf Frau Koch dem Sponti Laschet sowas wie öffentliche Ordnung beibringen, konzentrierte Talkshow-Auftritte zum Beispiel oder den Verzicht auf den geliebten Zigarillo auf dem Petersplatz, gleich nach dem Papst-Besuch. Über die Gilde der Image-Frisierer.

Vom Schlumpf zum Staatsmann

Armin Laschet gönnt sich eine Medienberaterin. Das wurde Zeit. Warum eine Stimme von außen überlebenswichtig ist auf dem glitschigen Parkett der Politik.

Der zottelbärtige Mann wurde als nervös beschrieben und übergriffig, Gerüchte um wüste Sexorgien rankten sich um ihn, zugleich sagte man ihm Wunderkräfte nach. Der bizarre Grigori Jefimowitsch Rasputin galt als wichtiger Einflüsterer von Nikolaus II., dem letzten russischen Zaren. Bei Hofe war der Exot verhasst, Adelige ermordeten Rasputin schließlich.

Moderne Rasputins heißen Berater, sind weniger schillernd, werden in den Zentren der Macht jedoch bis heute argwöhnisch beäugt. Denn diese Berater kommen von außen, mussten sich nicht hochrackern und haben trotzdem oder eben deswegen direkten Zugang zu den Mächtigen, zu jenem Herrschaftswissen, das vielen Parteileuten auch nach Jahrzehnten hingebungsvoller Treue verborgen bleibt. Neid und Missgunst sind daher verlässliche Begleiter jeden Beraters.

Ihre Aufgaben und Funktionen sind in keinem Gesetz, keiner Satzung festgelegt; Berater sind Exoten. Und genau darin besteht ihr Wert. Frei vom Tunnelblick der Funktionäre sollen sie Stimmungen erschnuppern, Fallen wittern, das mediale Bild der Mächtigen aufhübschen. Während Regierungssprecher auf der Bühne mit unbewegtem Gesicht auch das größte Desaster zur Führungskunst hochsingen, sind Berater hinter den Kulissen mit Werkzeugkasten, Schminkkoffer und Notfallbesteck unterwegs.

Ein guter Berater hätte der gezausten Grünen Annalena Baerbock weit vor ihrem Antritt geraten, alle medial verfügbaren Lebensläufe – privat, finanziell oder biografisch – schonungslos auf Holprigkeiten hin zu inspizieren. Wichtiger als jedes politische Programme ist das Grundvertrauen der Wählerschaft, die zentrale Frage lautet seit jeher: „Würden Sie von diesem Menschen einen Gebrauchtwagen kaufen?“

Und was verbirgt sich nun hinter der mysteriösen Beraterei? Viele verschiedene Typen und Stile. Der kettenrauchende Hemdsärmel, der nerdige Umfragen-Studierer, der listige Spin Doctor, tumbe Markenartikler, Feldherren, Image-Friseure, geniale Fledermausradare, Einflüsterer, Strategen, Manipulatoren, vor allem aber TV-Versteher. Denn gewinnende Auftritte sind Pflicht im Fernsehen, wo Bundestagswahlen nach wie vor entschieden werden.

Dafür beziehen die Kandidaten geheime Trainingslager, werden mit übelsten Fragen traktiert und üben eingängige Schlussformeln. Merkels „Sie kennen mich“ oder Schröders Klassiker  „Ich liebe meine Frau“ (äh, welche denn gerade?) gelten als Meisterwerke der Wahlkampf-Kommunikation, maximal unpolitisch und eben deswegen so wirkungsvoll.

Womit wir bei Armin Laschet wären. Seine bisweilen überbordende Jovialität, die immer was von Klassenfahrt hat, mag nach 16 Jahren Kanzleramtskühlhaus ganz putzig daher kommen, schlägt aber gern mal in Flatterhaftigkeit um. Als gelernter Journalist hält Laschet sich für ein kommunikatives Naturtalent; den Nachweis blieb er zuletzt oft schuldig. Hier verhaspelt, da aus der Fassung bringen lassen – immer wieder trieb er sein Team zur Verzweiflung. Während Markus Söder seine durchaus lämmerschwänzige Politik den Deutschen als klare Kante verkaufte, schien Laschet immer hinterher zu dackeln, was weniger an unterschiedlicher Politik lag als vielmehr an Verkaufe und Auftritt der Kandidaten.

In guter Unions-Tradition hat sich Laschet nun eine Fachkraft geholt, die im Epizentrum der Emotionsbewirtschaftung gelernt hat. Tanit Koch war kurz mal Bild-Chefin, scheint aber, wie ihre Verlegerin Friede Springer, eine Spur zu fein zu sein für die Krawalltruppe. Zuletzt diente die Juristin mit Boulevard-Hintergrund bei RTL und schrieb für ein europäisches Internet-Magazin unterhaltsame Aufsätze über die Eigenarten der Deutschen. Laschet beschrieb sie dort als knuffiges Kerlchen, dessen Machthunger unterschätzt werde. Womit sie ihre Aufgabe ziemlich präzise beschrieben hat: Aus dem knuffigen Kerlchen soll sie nun zügig einen Staatsmann machen.

Déjà-Vu der Woche

Au weia. Wo wir gerade bei knuffigen Kerlchen sind – auf Platz drei der Charts steht Bernhard Brink mit dem quälenden Knödelschlager "Lieben und Leben"; höchster Neueinstieg für den "Schlager-Titan seit 49 Jahren", wie die BB-Seite vermeldet. Erstens müsste es "Titanen" heißen – it's Akkusativ, Stupid! Und zweitens nimmt mich diese Meldung mit auf eine ungewollte Reise zurück in jene Zeit, als Roland Kaiser, Christian Anders, Howard Carpendale sowie Klaus&Klaus bei Text, Musik und Charisma sieben Brücken weit vor Bernhard Brink lagen. So ist es bis heute geblieben. Weshalb Platz 3, Deutschland? Warum jetzt? Was läuft hier schief? Friedrich Merz. Jürgen Todenhöfer. Und bald Kanzler Laschet, der Bernhard Brink der deutschen Politik. Ich hätte die Serie "Dark" nie durchgucken sollen. Seither bin ich sicher: Wir stecken in einer Zeitschleife. Alles wiederholt sich, immer wieder. Kein Entkommen. Das mit Brink geht so tief rein. Das wird nie zuende sein.

Tweets der Woche

Sorry, waren gleich mehrere. "Frau treibt im Rhein ab" – eine besonders listige Form von clickbait bei spiegel.de. Oder glaubt jemand an Zufall? Dann eine peinliche Verarsche der Transparenzdarsteller von Google. Und schließlich der Hinweis auf ein wirklich bewegendes Gespräch, das ich mit Vater Matthias und Sohn Tristan Horx über Männersachen geführt habe. Zu einer gelingenden Gleichstellung gehören eben auch erwachsene Kerle. Und da geht noch was.

https://twitter.com/hajoschumacher/status/1403588776660713474 (Öffnet in neuem Fenster)

https://twitter.com/hajoschumacher/status/1403583586771611650 (Öffnet in neuem Fenster)

https://twitter.com/hajoschumacher/status/1404699132594470913 (Öffnet in neuem Fenster)

Grillfest der Woche

Alles Fleisch auf den Rost, überall auf der Welt, lasst uns ein globales Barbecue feiern! Das schlägt Eckart von Hirschhausen vor. Wie bitte? Will der Dokter nicht das  Klima schützen? Eben drum. Diese weltweite Grillparty soll die letzte sein und das Ende der Massentierhaltung markieren. Denn auch Biokühe "pupsen und kacken". Noch mehr Heiteres, Bitteres, Kluges sowie ein Algenkraftwerk in unserem Mutmach-Podcast "Wir".

Eckart v. Hirschhausen: Was Porno mit Klima zu tun hat (Öffnet in neuem Fenster)

Werbung der Woche

Zwei mir wohl bekannte junge Menschen machen unheimlich gern Musik. Sie ist ausgebildete Opernsängerin, er Schlagzeuger. Von ihrer Musik können sie nicht leben. Egal. Sie haben die Pandemie hindurch experimentiert, geschraubt, gemacht. Mir nötigt so viel Leidenschaft ganz viel Respekt ab. Jetzt haben sie sich getraut, eines ihrer Stücke auf Spotify zu veröffentlichen. Wer mit einigen wenigen Klicks sehr viel Freude stiften will, klicke einfach hier. Ich höre da eine Spur Nick Cave. Allen KlickerInnen ganz herzlichen Dank.

https://open.spotify.com/album/53fPgq1htpykd7aAz1wSx5?highlight=spotify:track:6R2hwLpOpXz8CI583W4BSB (Öffnet in neuem Fenster)

Bälle der Woche

Sorry, manchmal geht der Gaul durch mit mir. Hier wieder.

Boulez-vous avec moi? 

Elend lang fliegt der Ball, dreht sich langsam in der Luft wie mit dem Außenrist gespielt und senkt sich dann abrupt ins gegnerische Terrain. Panische und triumphale Blicke. Nervenstränge, die bersten. Menschen, die auf Kugeln starren, die bangen und schwitzen. Das Publikum hält die Luft an. Wieder mal geht es um alles.

Ich habe viele Sportarten probiert. Fazit: Boule ist die Königin der Spiele. Ein eisenhartes Spiel, nur für austrainierte Athleten. Wer zwölf Stunden lang die Aschenbahn auf und ab stapft, hat einen Halbmarathon absolviert. 100 Würfe mit der bis zu 800 Gramm schweren Kugel machen 80 Kilogramm Hantelgewicht. Immer wieder bücken. Anspruchsvollste Auge-Arm-Koordination. Und alles mit zunehmendem Promillewert, der am Ende oft jenseits der Fahrtüchtigkeit liegt.

Anders als das elitäre Gerangel um Höher, Schneller, Weiter ist Boule ein inklusiver Sport. Alle können mitmachen. Boulez-vous avec moi? Mais oui! Wer unentwegt quatschen will, findet kommunikationsfreudige Mitspielende, wer gern die Klappe hält, sucht sich Schweiger. Boule wird niemals Trendsport werden, kommt aber in wundervollen Worten wie „Boulevard“, „Boulette“ oder „Boulerbü“ vor. Pedanten mögen auf die Unterschiede zwischen Boule, Bocchia, Petanque und Boßeln hinweisen, doch immer gilt: Hauptsache stressfrei.

Boule braucht weder kostspielige Ausrüstung noch überforderte Stretchtextilien, die Dopingregeln sind erfreulich liberal und schließlich stammt das Spiel aus einem Land mit respektabler Nationalelf.

Manche Leute meditieren, andere suchen Ruhe in Meerwassertanks – ich erwerbe ein Wegebier und gucke Boule, live, im Park. Hier verdichtet sich das Leben aufs Übersichtliche: ein paar Kugeln und schräge Vögel. Da ist der Depardieu-Klon mit Strohhut, Plauze und Rotwein-Nase, die Tätowierte mit dem Killerblick, der ältere Herr, der mit stummer Präzision die gegnerischen Kugeln verstößt, der Heißsporn mit Schirmmütze, der viel flucht und selten trifft. Nie war Zuschauen erfüllender. Denn jeder der Umstehenden denkt bei sich: Das könnte ich auch.

Mit freundlicher Genehmigung der Berliner Morgenpost

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