Das Klischee.
Über die Angst vor Klischees, die Frage, ob sie wirklich so schlecht sind wie ihr Ruf und warum sie irgendwie doch funktionieren.
Das Klischee ist eine komplexe Angelegenheit. Während es auf der einen Seite gefürchtet ist, sorgt es vom gegenüberliegenden Ufer aus betrachtet für Genugtuung und Bestätigung. Oberflächlich betrachtet hätte ich bis vor Kurzem noch behauptet, mir gar nicht so viel aus Klischees zu machen, nicht im Alltag und schon gar nicht als Schriftstellerin. Ab und an muss ich schmunzeln, wenn Menschen oder Begebenheiten, die mir begegnen, vermeintlich einen Klischee-Klassiker erfüllen, doch mehr habe ich mit der ganzen Sache nicht am Hut. Bei näherer Betrachtung lüge ich mir da selbst ganz schön tief in die eigene Tasche, ohne böse Absicht versteht sich. Man vermeidet im Allgemeinen tunlichst, mit jeglicher Art von Klischee in Verbindung gebracht zu werden und bedient sich dazu teilweise äußerst kreativer Einschübe, wenn es darum geht, zu beweisen, dass das Klischee in diesem Fall nicht greift. Passt unserer Ansicht nach allerdings eine Situation oder Person in solch eine Schublade, dann fühlen wir uns sicher, bestärkt und irgendwie hat dann alles doch wieder seine Ordnung. Wir wollen also mit unserer Person und unserem Handeln keinerlei unangenehmes Klischee bedienen, was mir ganz natürlich erscheint, denn am Ende hat das Ganze ja auch wieder mit Vorurteilen zu tun und über die hatten wir bereits gesprochen - die will auch niemand haben, gleichzeitig sind sie aus sicherer Entfernung willkommen.
Wie steht es mit dem Klischee in der Kunst? Erst kürzlich kam das Thema im Gespräch mit einem Musiker auf, der die Sorge äußerte, seine Stücke könnten zu sehr nach „Schlager“ klingen, wenn sie gewisse Phrasen enthalten. Erhält man dies von der Test-Hörerschaft als Rückmeldung zu Titeln, mit denen man eigentlich in einem anderen Genre landen wollte, dann geht man doch lieber noch mal einen Schritt zurück und hält nach der richtigen Abzweigung Ausschau. Von Musiker:innen, Songwriter:innen und Produzent:innen, die im deutschsprachigen Pop unterwegs sind, höre ich diese Angst immer wieder. Das sind in meinem Umfeld zwar nur ein paar wenige, doch ich habe den Eindruck, dass dieses Stimmungsbild durchaus repräsentativ sein könnte. Ist es nicht seltsam, dass z.B. Romantik in englischsprachigen Songs überhaupt keine Furcht kennt? Würde man so manchen Titel ins Deutsche übersetzen, mit identischem Sound, wäre es wohl deutscher Schlager statt modernem Pop oder Indie-Rock. Warum ist das so? Auf die Sprachbarriere kann man es im Großen und Ganzen doch nicht schieben, oder? Ich für meinen Teil finde, es gibt reihenweise wunderschöne und gar nicht schlagermäßige Songs zum Thema Liebe. Übrigens soll das kein Schlager-Bashing sein, es geht hier rein um die Tatsache, dass deutschsprachige Musik offenbar sehr schnell in diesem Genre landet, obwohl es reichlich andere Möglichkeiten der Kategorisierung gäbe.
Aber kommen wir zum schriftstellerischen Aspekt. Wie gehst du mit Klischees in deinen Texten um? Vermeidest du sie um jeden Preis oder weißt du sie mit Bedacht dosiert vielleicht doch zu schätzen? Immerhin funktionieren die reinen Klischees in Buchform beispielsweise in der Kategorie „Arztroman und Hausfrauenlektüre“ seit jeher zuverlässig. Auch ich suche von Zeit zu Zeit verzweifelt nach Synonymen, um keine abgedroschenen Redewendungen in meine Texte zu lassen, doch es gibt sie, die Stellen, an denen genau diese abgenutzte Wortschablone perfekt passt. Dann benutze ich sie mit einem leicht mulmigen Gefühl. Macht auch beim Klischee die Dosis das Gift? In den letzten Tagen habe ich mich in dieser Sache ein wenig bei anderen Schreibenden in meinem Umfeld umgehört und stelle fest, dass die Angst vor nicht zeitgemäßen Wortkombinationen mit dicker Staubschicht sehr verbreitet ist. Ich bekam sogar die Rückmeldung, dass lieber auf eine, meist gefühlvolle, Szene verzichtet wird, einfach weil man nicht klischeebehaftet schreiben möchte, aber auch keine zufriedenstellende Alternative findet, die es schafft, das zu sagen, was mit dem Altbekannten präzise ausgedrückt werden könnte.
Was machen wir denn nun damit? Mein Fazit zu der Sache ist, dass es sich oft lohnt eine Extrarunde zu drehen, um ganz eigene Worte für seine Gedanken zu finden. Ich denke zwar, das Klischee ist nicht der Feind und kann wohldosiert guten Gewissens auch eingesetzt werden, doch natürlich bedarf es hier Fingerspitzengefühl und das ein oder andere Feedback wird sicher lauten: „Oh, so ein Klischee!“ Aber ist das wirklich so schlimm? In meinem Bauch fühlt sich ein erfülltes Klischee nach wohliger Sicherheit an. Wohlgemerkt eines, nicht zwölf hintereinander. Dennoch ist ein möglichst umfangreicher Wortschatz zweifellos hilfreich, um gar nicht erst auf die Idee zu kommen, sich Mitteln zu bedienen, die einem Unwohlsein bescheren. Mein persönlicher kleiner Helfer ist übrigens neben der regelmäßigen Bibliotheksausbeute das „Lexikon der schönen Worte - Von anschmiegsam bis zeitvergessen“, das eine hervorragende Ergänzung zum Onlinesynonymwörterbuch sein kann. In jedem Fall möchte ich uns ermutigen, keine Angst vor leichten Klischee-Schlager-Vibes zu haben, denn im Grunde geht es doch am Ende nur darum, was sich für uns gut anfühlt.
Bis nächste Woche!
Alles Liebe
deine Sarah