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Schwerpunktthema in Heft 4: Schottischer Gin

Rund 2,3 Milliarden Pfund geben die Briten pro Jahr für ihr neues Hobby aus: Gin. Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht. 

Whisky und die Insel Islay, das gehört zusammen. So war es schon immer. Der Torf und das feuchte, salzige Klima an der Westküste, weit draußen auf dem Atlantik, sorgen für den herben Geschmack, der für Islay-Whiskys so typisch ist. Nicht weniger als acht Destillerien gibt es auf der Isle of Islay. Darunter sind so klangvolle Namen wie Ardbeg, Lagavulin und Laphroaig. Und nun: „The Botanist“. Der Name steht nicht für Torf und Salz, sondern für Wachholder. „The Botanist“ ist der erste Islay-Gin. Er wird in der Whiskybrennerei Bruichladdich hergestellt. Jim McEwan ist hier Produkktionschef und mit einem Satz wie: „Das war schon immer so“ kann er nichts anfangen. „Wir experimentieren gerne und wir sind ein eigenwilliges und starrköpfiges Völkchen“, sagt McEwan. „Wir folgen unserer Muse, wenn sie uns küsst.“

Wenn es eine Muse für Gin-Macher gibt, dann hat sie derzeit viel zu tun. Denn Gin ist in Schottland so populär wie schon lange nicht mehr. In Edinburgh machten innerhalb weniger Monate gleich zwei Gin-Destillerien auf. In North Berwick an der schottischen Ostküste öffnete das Ehepaar Steve und Viv Muir vor rund einem Jahr die Gin-Brennerei „NB Gin“ und bieten ihren Gin seit kurzem auch in Deutschland an. Caorunn hat sich in der Speyside, dem eigentlichen Herzland der Whiskyindustrie, als Gin-Macher etabliert und wirbt damit, traditionelle Kräuter der alten Kelten für die Herstellung zu verwenden.

David Quinnell hat bis vor wenigen Monaten für ein Maklerbüro in Edinburgh gearbeitet. Jetzt ist er bei der Gin-Firma Pickering´s. David ist Marketingchef und Abfüller in einer Person. Er klebt Etiketten auf den Flaschen und führt zwischendurch Besucher durch die Destillerie. Das sei kein Vergleich mit seinem früheren Arbeitsplatz, sagt David. Und er lässt keinen Zweifel aufkommen, welcher von beiden ihm besser gefällt. „Man kann doch nicht Nein sagen, wenn man so einen Job wie diesen hier angeboten bekommt“, sagt er.

Früher saß David an einem Schreibtisch vor seinem Computer. Nun steht er vor leeren Hundezwingern. Auf der Suche nach geeigneten Räumen für ihren Gin sind die Gründer von Pickering´s in der ehemaligen Tierklinik von Edinburgh gelandet.

Die Gin-Produktion findet in den Aufwachräumen statt, in die die Tiere früher nach ihrer Operation gebracht wurden. An der Einrichtung scheint sich bis auf die kupferne Brennblase in einer Ecke wenig verändert zu haben. Nur dass in den Zwingern keine Hunde mehr aus der Narkose aufwachen. Hinter den Gittertüren sind Korken nun für die Gin-Flaschen und sonstiges Allerlei zu sehen, das irgendwo verstaut werden muss.

Auf einem langen Tisch, auf dem früher vielleicht Katzen und Meerschweinchen untersucht wurden, steht sorgfältig ausgerichtet eine ganze Batterie von Flaschen – fertiger Gin, den David am Morgen abgefüllt hat. Später am Nachmittag wird er noch die Etiketten auf die Flaschen kleben – von Hand.

Die Firma ist so jung, dass sich ihr Alter in Wochen bemisst. „Vor 23 Wochen fand unsere erste Abfüllung statt“, sagt David. Das war nach fast zwei Jahren Arbeit ein Moment, der zu wertvoll war, um ihn zu teilen. So standen sie nur zu viert um die Brennblase herum: Die beiden Firmengründer Marcus Pickering und Matthew Gammell und die Ehefrauen. Die Destillation war seit mehr als acht Stunden in vollem Gange. Die vier liefen vor den Zwingern auf und ab. Warteten. Endlich floss der Gin. Das erste Glas. Der erste Schluck. Die Erleichterung. Keine 48 Stunden später begann der offizielle Verkauf.

Liegt nicht ein Hauch von Zitrone und Wachholderbeere in der Luft? David hört für einen Moment auf zu reden, überlegt und schnuppert in die Luft. Wie jemand, der sich so sehr an einen bestimmten Duft gewöhnt hat, dass er ihn nicht mehr riecht. Anis, getrocknete Zitronen- und Limonenschale, Fenchelsamen, Nelken, Koriander, Kardamon und Angelikawurzel sowie natürlich Wachholderbeeren in langen, hohen Gläsern stehen herum. Gin-Zutaten zum Anfassen.

Pickering´s reiht sich ein in eine ganze Reihe von Herstellern, die den Gin entdeckt haben. Es mag nur auf den ersten Blick überraschen, dass darunter viele Whisky-Brennereien sind. Denn bei genauerem Hinsehen macht es für viele Whiskybrenner durchaus Sinn, auch Gin anzubieten. Whisky muss mindestens drei Jahre in Eichenfässern lagern und kann also nicht verkauft werden. Gin dagegen bringt schnelles Geld.

Die nagelneue Mikrodestillerie Strathearn von 2013 beispielsweise macht den „Strathearn Gin Heather und Rose“. Er orientiert sich, wie der Name ahnen lässt, geschmacklich an Rosen und dem Heidekraut der Highlands. Bruichladdich auf Islay ist ein weiteres Beispiel.

Dabei stammt Gin ursprünglich gar nicht aus England oder Schottland, sondern aus den Niederlanden und Belgien. Dort wurde im 16. Jahrhundert erstmals ein mit Wachholder aromatisierter Schnaps hergestellt. Die ältesten Quellen, in denen Gin (Öffnet in neuem Fenster)erwähnt wird, stammen aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Darin ist erstmals von einem Wacholderschnaps namens „Genever“ (von „Jenever“, holländisch für Wacholder) die Rede. Aus „Genever“ wurde später das Wort “Gin” angeleitet.

Wenn sie den Gin nicht erfunden haben, so dürften sich die Engländer wahrscheinlich damit rühmen, den Gin Tonic erfunden zu haben. Während der Kolonialzeit (Öffnet in neuem Fenster) in Indien (Öffnet in neuem Fenster) wurde zum Schutz vor Malaria (Öffnet in neuem Fenster) das chininhaltige (Öffnet in neuem Fenster) Tonic Water getrunken. Das damalige Indian Tonic Water war sehr bitter, daher mischte man dem Getränk Gin bei, um den Geschmack zu verbessern.

Eine kleine Erinnerung an diese Zeit gibt es auch bei Pickering´s. Auf einem vergilbten kleinen Zettel notierte jemand aus der Familie von Firmengründer Marcus Pickering im Jahr 1947 ein indisches Rezept zur Herstellung von Gin. Danach lag der Zettel über 65 Jahre vergessen in einer Schublade herum. Pickering entdeckte ihn, nachdem sein Vater verstorben war. Pickering hatte bis dahin unter anderem als Barkeeper gearbeitet, sein Geschäftspartner Matthew Gammell  als Ingenieur. Es war einer dieser Momente im Leben, in denen es heißt: Jetzt oder Nie.

Für Kenner begann das Gin-Revival schon im Jahr 1999. Zu dieser Zeit bot der Gin-Hersteller Hendrick´s aus Girvan, einer Stadt rund 80 Kilometer südlich von Glasgow einen Gin, den man bis dahin nicht kannte: Ein Grund war das blumige Aroma, das durch das Bedampfen des Gin-Ausgangsstoffs mit Rosenblatt- und Gurkenessenzen zustande kam. Dieses Beispiel ermunterte viele Hersteller, mehr mit ihrem Gin zu experimentieren.

Das Getränkeunternehmen Wemyss beispielsweise fügte dem Gin Zimt und Muskatnuss hinzu und brachte 2012 ihren Darnley´s View Spiced Gin auf den Markt. Die Firma Edinburgh Gin arbeitet gar mit den Wissenschaftlern der Heriot-Watt-University zusammen. Es gebe viel Raum zum Experimentieren, sagt Paul Hughes, Professor für Brauwesen und Getränketechnologie: “Das Team kann dadurch historische Gin-Sorten wiederbeleben sowie völlig neue Rezepte entwickeln.”

So entstand unlängst der Cannonball Gin (“Kanonenkugel”) mit einem Alkoholgehalt von etwas über 57 Promille. Die Idee stammt aus der Zeit, als Gin auf den britischen Schiffen zusammen mit dem Schießpulver gelagert wurde. Der Alkoholgehalt musste so hoch sein, dass das Schießpulver, selbst wenn es mit Gin durchnässt wurde, immer noch brauchbar war.

Bei Pickering´s haben die Firmengründer 18 Monate am Geschmack ihres Gins herumgetüftelt, bis sie wussten, wie Pickering´s Gin schmecken sollte: Mild und süß und nach den Gewürzen Indiens. Matthew, der Ingenieur, verwandelte die Räume der Tierklinik in eine Gin-Fabrik. Den Zettel mit dem alten Rezept aus der Schublade ließen sie rahmen. Er hängt nun neben der Brennblase. Um daran zu erinnern, wie ihr Gin entstand, druckten sie einen Pfau auf das Flaschenetikett. Der Pfau wird in Indien als heiliges Tier verehrt.

Die Herstellungsart kann leicht variieren, doch im Prinzip wird der Ausgangsrohstoff mit den Gewürzen destilliert. Der fertige Gin muss dan nur noch mit Wasser verdünnt werden.

Durch englische Soldaten, die die Niederlande im holländisch-spanischen Krieg von 1568 bis 1648 unterstützten, gelangte Gin auf die Britische Inseln. Der Absatz wurde zusätzlich beflügelt, als der niederländische König Wilhelm von Oranien den englischen Thron im Jahr 1689 bestieg. Wilhelm förderte die Produktion so stark, dass Gin das billigste alkoholische Getränk wurde, das sich selbst die Ärmsten der Armen noch leisten konnten. Die Folgen waren verheerend.

London soff sich förmlich ins Delirium. Zwischen 1684 und 1710 stieg die Gin-Produktion um 400 Prozent. Familien zerbrachen, ganze Stadtteile verödeten. Tausende starben an Alkoholvergiftung. Der Pro-Kopf-Verbrauch lag teilweise bei einem halben Liter am Tag. Der Gin wurde nun auch noch mit Verdünnern und Lösungsmitteln gestreckt. Nicht weniger als fünf Gesetze, die so genannten Gin Acts waren nötig, um die Lage halbwegs wieder in den Griff zu kriegen.

1827 erfand der Schotte Robert Stein ein Brennverfahren, mit dem sich große Mengen an qualitativ hochwertigem Alkohol herstellen ließen, so dass nicht mehr gepanscht werden musste. Das Verfahren wurde wenige Jahre später von dem Iren Aeneas Coffey weiterentwickelt. Damit wurde die Qualität des Gin insgesamt deutlich verbessert. Er hieß nun “London Dry Gin” und steht für einen Stil, den viele Hersteller bis heute als Qualitätsmerkmal auf ihr Etikett drucken. Mit der Qualität verbesserte sich auch wieder das Image des Gin. In edlen Bars, den “Gin Palaces” und in einer Atmosphäre von Luxus und Glamour wurde das Trinken im 19. Jahrhundert wieder salonfähig.

Derzeit sind auch wieder viele Gin-Bars in Schottland zu finden. Die Heads&Tales-Bar in Edinburgh beispielsweise liegt nur wenige Meer von der belebten Einkaufsmeile Princes Street entfernt. Im Schatten eines großen Hotels geht es ein paar Stufen nach unten. Sofort ist der Trubel der Straße vergessen. Mitten in der Bar stehen zwei Brennblasen namens „Flora“ und „Caledonia, so dass die Besucher den Gin nicht probieren können, sondern auch miterleben, wie er hergestellt wird. „Gemeinsam mit Heads&Tales lassen wir die alten Traditionen in Edinburgh wieder auferstehen“, sagt Gin-Manager Alex Nichol.

Ähnlich urig ist es in dem gut besuchten Studentenpub, „The Royal Dick“, direkt neben der Gin-Firma Pickering´s. In dem Pub befand sich früher die eigentliche Tierklinik. Medizinisches Gerät und wissenschaftliche Apparate in Glaskästen erinnern an diese Zeit. An der Wand hängt gleich eine ganze Batterie Rinderschädel und –knochen. An den Zapfhähnen prangt der Pfau, der einmal ein bekanntes Markenzeichen für alle Gin-Fans werden soll. 

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