Auch in einem Land mit weitreichender Meinungsäußerungsfreiheit schadet es manchmal nicht, eine populäre Figur als Autorität vorweisen zu können. Nach Max Weber sind in Deutschland Plätze, Straßen, ein Forschungskolleg, ein Soziologie-Institut und eine große Stiftung benannt, also kann ihn zu zitieren nicht besonders kontrovers sein: Offenbar pflegte Weber in kleinem Kreis mitunter zu sagen, das nationale Unglück Deutschlands zeige, dass man noch nie einen Hohenzollern geköpft habe.
Nun soll es hier nicht um Gewalt gehen und auch nicht um die gerichtsaffine Familie desselben Namens. In der vergangenen Woche war eine Familie großes Thema, die das ist, was die Hohenzollern wahnsinnig gerne wären: adlig. Elizabeth II., die korrekterweise die eher sperrige Berufsbezeichnung „Königin des Vereinigten Königreiches“ trägt, feierte das 70. Jubiläum ihrer Thronbesteigung. Das tat sie der guten Tradition halber nicht am 6. Februar, dem tatsächlichen Datum im Jahr 1952, sondern im Juni, weil da das Wetter besser ist. Gut so, solche Flexibilität leisten sich viele Länder, im Jahr 2001 konnte ich am 21. Juli in Frankreich Nationalfeiertag mitfeiern, weil es in der Woche davor geregnet hatte.
Aber zurück zu Elizabeth II.: viel war zu sehen, lesen, hören in dieser Woche, manches klang eher wie ein hektisch ins Präsens umgeschriebener Nachruf aus der Wiedervorlage. Die Queen ist ja auch Journalismusgold: an und mit ihr kann man fast die gesamte europäische Geschichte seit der Zeit zwischen den Weltkriegen erklären, von der großen Politik bis zur kleinsten Klatschpetitesse, von Kolonialismus bis Popkultur. Elizabeth II. hat es alles mitgemacht und vermutlich kann man ihr zugutehalten, dass sie in den letzten 70 Jahren so gut beraten war, dass sie niemals völlig aus ihrer Gegenwart herausgefallen ist, während bei uns gewählte Bundeskanzler 17 Jahre nach ihrem Amtsende mental so wirken, als wären sie nach 100 Jahren aus dem Kryoschlaf aufgetaut worden.
Trotzdem hat mich die Berichterstattung hierzulande irritiert, namentlich die der öffentlich-rechtlichen Sender. Was bunte Klatschzeitschriften tun interessiert mich so wenig wie die Übertragungen von RTL, das sind Privatunternehmen, die tun können, was sie wollen. Bei ARD und ZDF bzw. 3Sat (wo die ORF-Berichterstattung übernommen wurde) liegt das anders: Gemäß Medienstaatsvertrag haben sie nicht nur einen umfassenden Überblick über das „internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen“ zu senden, sondern auch die „demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen.“
Ich war schon immer der Überzeugung, dass zu diesem Auftrag auch beispielsweise Volksmusik gehört, die auch zu kulturellen Bedürfnissen gehört, wegen der Werberelevanz ihrer Hauptzielgruppe im Privatfernsehen aber nicht stattfindet. Der Impuls, im gebührenfinanzierten TV dürfe nur stattfinden, was für die frei wirtschaftenden Stationen zu langweilig ist, kommt ja auch eigentlich nur von denen, die das gesamte System wie es jetzt läuft abschaffen wollen.
Das Problem bei der „Royal“-Berichterstattung von ARD und ZDF außerhalb von den Society-Shows ist, dass sie sich nicht von den Society-Shows unterscheidet und auch nicht von Gala, Bunte und co. Sie ist natürlich weit von den 1€-Heftchen entfernt, die regelmäßig im „Topf voll Gold“ ihren Platz finden, aber sie ist eben nicht das, was man von Sendern erwartet, die demokratische Werte als Sendeauftrag haben. Die Queen ist eben nicht nur eine leicht schrullige, stilsichere ältere Dame mit merkwürdigen Kindern und smarten Enkeln, sondern zuallererst von Geburt an und durch Recht legitimiert ein bedeutenderer, wichtigerer, hierarchisch ungleich höherer Mensch als die anderen Menschen, die genauso nackt, schleimig und schreiend in ihrem Land geboren werden. In einem Land, dessen dritter Verfassungsartikel direkt nach Menschenwürde und Freiheit die Gleichheit vor dem Gesetz verspricht, ist so etwas eigentlich mit großem Befremden zu sehen.
Nun sind wir gut beraten, der britischen Gesellschaft nicht erklären zu wollen, wie Demokratie funktioniert, oder sie gar zu belehren. Aber darum muss es ja auch gar nicht gehen in einer Sendung, die sich an die deutsche Öffentlichkeit richtet. Es würde ja schon reichen, eine weltoffene journalistische Produktion aus deutscher Perspektive zu senden. Und in Deutschland sind (mit Ausnahme des Namensrechtes) sämtliche Vorrechte des Adels vor schlappen 103 Jahren aufgehoben worden.
Das Problem in der Berichterstattung (ich beziehe mich hier auf die der ARD zu „Trooping the Colour“ in der vergangenen Woche) ist, dass die britische Vorstellung von Adel bis in den Sender hinein reproduziert wird. So erkennbar die Sympathie des früheren Senderexperten Rolf Seelmann-Eggebert für das Königshaus gewesen war, sie speiste sich doch vor allem aus einer großen Zuneigung zum Land, in dem er lange Jahre seines Lebens verbracht hatte. Ersetzt wurde er nun von Leontine von Schmettow, die sich dank des letzten verbliebenen Privilegs ihrer Familie auch Leontine Gräfin von Schmettow nennen darf. Schmettow streitet ab (Öffnet in neuem Fenster), dass ihr aristokratischer Hintergrund ihr heute noch hilft, wird aber als Referentin mit „blauem Blut“ beworben (Öffnet in neuem Fenster). Sie selbst sieht als Meilenstein ihrer Karriere, dass sie die ARD dazu gebracht hat, nicht nur über den real existierenden europäischen Adel zu berichten, sondern auch über die „Deutschen Fürstenhäuser“, so der Name der von ihr verantworteten Dokuserie. Das Begleitbuch zur Reihe zeigt auf dem Titel Gloria von Thurn und Taxis, die 41 Jahre nach der Abschaffung der Adelsprivilegien, mithin also der „Fürstenhäuser“, geboren wurde.
Die ARD leistet sich also einen journalistischen Fachbereich, der den demokratischen Grundwert schlechthin, die Gleichheit vor dem Gesetz, geflissentlich ignoriert. Es ist vollkommen legitim, das für eine Lappalie zu halten; mich enttäuscht es, weil man so viel Potenzial für einen kritischen Journalismus auf populärer Basis liegen lässt. Öffentlich-rechtliche Royal-Berichterstattung nimmt so eine ähnliche Rolle ein wie die Sportübertragungen, nur dass gegenüber adligen oder „adligen“ Menschen keinerlei kritische Fragen wie gegenüber Toni Kroos überliefert sind. Wichtig ist aber bei beidem das Produkt, nicht der eigene Sendeauftrag. Dabei wäre es wirklich einfach.
Was sonst noch war
Vor 33 Jahren beging der chinesische Staat ein Verbrechen, von dem die meisten Chines:innen heute nichts wissen – die Irritation ist bei Auslandsstudierenden von dort immer wieder groß, wenn sie deutsche Vorlesungen in Globalgeschichte belegen. Patrick Witty hat die verschiedenen Fotos des „Tank Man“ in einem lesenswerten Twitterthread betrachtet: https://twitter.com/patrickwitty/status/1533439823641563138 (Öffnet in neuem Fenster)
Sama’an Ashrawi erzählt in diesem Twitterthread die sehr schöne, aber letztlich auch tieftraurige Geschichte seines Großvaters und dessen Jugendliebe: https://twitter.com/SamaanAshrawi/status/1533568592478097408 (Öffnet in neuem Fenster)