Mahlakuu

Da wo die Aller einen Bogen macht, auf halbem Weg zwischen der Hansestadt Bremen und Celle, wo der niedersächsische Verfassungsschutz 1978 ein Loch in die Gefängnismauer sprengte (Öffnet in neuem Fenster), liegt Eitze, ein kleiner Stadtteil der Stadt Verden, und am Lindhopper Graben, nicht unweit der Eitzer Mühle, steht ein Gutshof mit einer großen Reithalle, in die für geraume Zeit, vielleicht für immer, kein Pferd mehr einen Huf setzen wird. Denn die Halle wird derzeit, so war zuletzt zu lesen, für einen großen Betrag umgebaut, um dort ab Mai einen Prozess wegen schwerem Raub und versuchtem Mord durchzuführen. Solche Anklagen sind leider nicht ganz so selten, aber in diesem Fall heißt die Angeklagte Daniela Klette, und auch wenn es hier überhaupt nicht um Terrorismus geht (jedenfalls noch nicht), ist das Interesse groß.
Mit dem Umgang damit hat die Bundesrepublik einschlägige Erfahrung: Als die Köpfe der ersten Generation der RAF 1975, vor genau 50 Jahren, vor Gericht gestellt wurden, errichtete man gar ein ganzes Prozessgebäude direkt auf dem Gefängnisgelände, ganz ohne Fenster, mit darübergespannten Stahlseilen, um eine etwaige Befreiung per Hubschrauber zu verhindern. 2013 wurde diese schnelle Lösung des Platzproblems unter Denkmalschutz gestellt „aus wissenschaftlichen, historischen, sowie gesellschaftspolitischen, justizgeschichtlichen und – wegen ihrer Bedeutung für Stuttgart – aus heimatgeschichtlichen Gründen“. Diese Bedeutung zeigte sich zehn Jahre später, als das Gebäude abgerissen wurde, weil die Justizvollzugsanstalt ein neues Krankenhaus braucht.
Dass nun schon für den zweiten Prozess gegen linksradikale Gewalttäter:innen eigene Gerichtsgebäude herhalten müssen, weckt zumindest bei mir Erinnerungen an den unwürdigen Umgang, mit dem beim NSU-Prozess vor zwölf Jahren die 50 vorhandenen Presseplätze erst nach Einschreiten des Bundesverfassungsgerichtes nach einem halbwegs fairen Verfahren verteilt wurden: Das Oberlandesgericht München hatte zunächst nach dem Motto „First Come, First Serve“ (oder, wie man es unter deutschen Jurist:innen nennt: Windhundprinzip) Akkreditierungen vergeben, was dazu führte dass fünf ARD-Regionalsender und Radio Arabella Plätze hatten, aber nicht ein einziges türkisches Medium, obwohl acht der NSU-Opfer türkischer Herkunft waren. In einem neuen Vergabeverfahren wurden schließlich Lostöpfe für Nachrichtenagenturen, im Ausland sowie in der Bundesrepublik erscheinende Medien gebildet und fleißig gelost. Dass am Ende mehrere Anträge im Spamordner übersehen worden waren, war dann egal. In allen Einzelheiten wurde diskutiert, wurden Pools von auf einem Platz rotierenden Journalist:innen gebildet, aber die Frage, warum für den NSU nicht in einen größeren Saal ausgewichen wurde, blieb merkwürdig unterbeleuchtet. Es reichte den Allermeisten aus, dass das Gericht die Interessen der Öffentlichkeit für ausreichend gewahrt erklärte, wenn insgesamt 100 Leute dem Prozess zuschauen können.
Am Freitag, also schon knapp im Mai, aber wir lassen das gelten, wurde die Einstufung der AfD als ‚gesichert rechtsextremistisch‘ veröffentlicht, und seitdem wird eifrig diskutiert, vielleicht das erste Mal seit langer Zeit gleich intensiv in Politik, Medien und auch auf der Straße – seien wir ehrlich, sehr selten hören wir solche Debatten irgendwo im Vorbeigehen, seit Freitag ist es mir selbst hier im nördlichen Baden gleich zweimal passiert. Zwei Aspekte fallen mir da gleich ins Auge:
Erstens: Die völlige Wandlung der Bedeutung der Antipoden „Verfassungsschutz“ und des „radikalen Denkens“. Seit dem Aufkommen der AfD und insbesondere seit der Covid-Pandemie haben insbesondere linke Kreise die für sie undankbare Aufgabe übernommen, staatstragend zu sein, ohne das bisher ausdrücklich so artikuliert zu haben: Seit Jahrzehnten waren es die Linken, die die Grenzen der Bundesrepublik ausgelotet und durchaus (meiner Privatmeinung nach glücklicherweise) auch verschoben haben, hin zu mehr Arbeiter:innenrechten, zu mehr Minderheitenschutz, auch zu mehr Klimafreundlichkeit. Nun, wo es eine durchaus mächtige und mit viel (medialem) Kapital ausgestattete rechte Gegenbewegung gibt, stehen linke Kreise vor der Frage, wie sie damit umgehen. Einige, die kritisches Denken zu gerne mit Kontrarianismus verwechseln, suchen dabei die Querfront (und verlieren darüber ihre Bonner Professur), die Mehrheit hat sich eher implizit entschieden, die gleichermaßen liberale wie piefige und problembehaftete bundesrepublikanische Demokratie bewahren zu wollen. Das führt dann im Umkehrschluss aber auch dazu, dass der revolutionäre Chic, die Ästhetik des Dagegenseins, nun eine rechtsextreme Angelegenheit geworden ist.
Im Gegensatz dazu steht der Verfassungsschutz: Über Jahrzehnte war das der Nachrichtendienst, der Rechtsextreme hat walten lassen und Linke daran gehindert hat, Lehrer:in zu werden, über den Geld an den NSU floss und der die NPD derart unterwanderte, dass sie nicht verboten werden konnte, oder kurz: der auf dem rechten Auge blind war, die Bundesrepublik rechts von der Mitte verankerte und jede Bewegung nach links bekämpfte. Diese Gewissheit ist nun futsch, wo das Amt tatsächlich etwas Zähne zeigt, wenn auch spät und im doppelten Interregnum ohne Präsidenten und mit einer geschäftsführenden Innenministerin, die schon die Hand auf der Türklinke nach draußen hat.
Das zweite spannende Phänomen der Diskussion ist die völlige Undenkbarkeit, die nicht wenige Stimmen einem Parteiverbotsverfahren gegen die AfD attestieren. Das betrifft nicht nur, aber insbesondere die Vertreter:innen von CDU und CSU und damit kurioserweise die, die doppelt Angst vor der AfD haben müssten: Nicht nur will diese Partei unserer Demokratie an die Existenz, sondern zuallererst, und das hat sie mehr als oft genug betont, die Union vernichten – etwas, was dem rechtspopulistischen Extremismus in Europa ja nun schon häufiger geglückt ist. Der Verdacht liegt nahe, dass C*U-Politiker:innen dieses Momentum einerseits weiterhin unterschützen, andererseits noch glauben, die AfD würde sich zu ihnen verhalten wie die Linkspartei zur SPD: Eigentlich ziemlich ähnlich, nur weiter draußen, unbelastet von Realpolitik und immer mit einem kessen Spruch auf den Lippen. Dazu passen auch die Artikel der letzten 30 Jahre, in denen heutiges Unions-Spitzenpersonal ein Verbot der Linkspartei prüfen wollte – in deren Weigerung, dasselbe nun der AfD zuteilwerden zu lassen, zeigt sich, dass sie das Parteienverbot eben als Akt der politischen Auseinandersetzung wahrnehmen und nicht als scharfe Klinge der wehrhaften Demokratie. Für Menschen, die so denken, ist das Parteienverbot eine Sanktionierung für die allzu weite Entfernung von der „Mitte“, und dann natürlich nur für die Entfernung, die auf der anderen Seite dieser Mitte steht, nicht auf der eigenen.
Eine gewisse Logik hat das historisch auch, schließlich gab es erst zwei Parteiverbote in der Geschichte der Bundesrepublik: Einmal gegen die Sozialistische Reichspartei, die hauptsächlich aus Altnazis und SS-Offizieren bestand und letztlich nichts als eine Neugründung der NSDAP war, und gegen die KPD als direktem Ausdruck des Ost-West-Konfliktes.
Letzteres Verbot ist auch eine gute Erwiderung darauf, ein Verbot bringe ja nichts, die Ideen würden ja in den Köpfen bleiben: Das setzt voraus, dass sich politische Willensbildung wirklich direkt in den Köpfen abspielen würde und nicht in einem Zusammenspiel aus Themensetzung, Argument und ewiger Wiederholung. Der (Rechts-)Populismus lebt ja von zwei Gewissheiten: Alles ist schlimm, und daran ist jemand schuld.
Nur dadurch, dass die AfD in nun wirklich jeder öffentlich-rechtlichen Talk Show der letzten zwölf Jahre zu Gast war und mit viel externem Geld gestützte mediale Arme hat, kann sie ja die Botschaft „Alles ist schlimm“ in die Köpfe bringen, und wer erst davon überzeugt ist, alles sei schlimm (und diese Überzeugung sitzt ja in Köpfen aller Fraktionen und deren Wählenden), der kann im zweiten Schritt zur Frage kommen, wer daran schuld sei. Für diesen Prozess braucht es Infrastruktur, und die kann nur eine Partei so bieten – denn niemanden interessiert es, was Julian Reichelt auf YouTube in die Kamera brüllt, wenn er keine thematische Anknüpfung ins Parlament und damit vor die Mikrofone der Fernsehsender hat.
Nach dem Verbot der KPD war der Kommunismus in Westdeutschland jedenfalls entscheidend geschwächt und kam nie wieder zu irgendeiner Relevanz, weder parlamentarisch noch durch Druck auf die parlamentarischen Parteien. Die erfolgreichste Wahl einer kommunistischen Partei danach war die Bürgerschaftswahl in Bremen drei Jahre nach Gründung der DKP – mit 3,1 % der Stimmen war sie dennoch von einem Mandat weit entfernt.
Parteiverbotsverfahren sind immer eine Niederlage der Demokratie, weil sich die Demokratie ihre Feinde nicht rein demokratisch vom Leibe halten kann, zu verlockend ist der Autoritarismus. Aber das Instrument ist da, und es nicht zu nutzen, wäre einmal mehr fahrlässig. Dabei muss das Verfahren ja nicht einmal als Faktum geführt werden: Wir verbieten diese Partei. Es ist ja, aus gutem Grund, in der Bundesrepublik ein Antrag auf Prüfung, der durch das Bundesverfassungsgericht beschieden wird. Selbst wenn Karlsruhe am Ende zum Schluss kommt, die AfD solle nicht verboten werden, hätten wir dann ja wenigstens politische Klarheit und könnten damit arbeiten. Das Mantra, ein gescheitertes Verbotsverfahren würde nur der Partei selbst nutzen, hat die seit geraumer Zeit bedeutungslose NPD gleich zweimal falsifiziert.
Noch ist Zeit.
Eine Ankündigung: Am kommenden Donnerstag bin ich um 10 Uhr an der Universität Köln zu Gast, um über das Thema „Wir müssen reden“: Soziale Medien und Demokratie“ zu diskutieren. Mehr Informationen zur Veranstaltung und alle weiteren Aktionen der Hist4Dem-Aktionswoche gibt es hier: https://hist4dem.de/aktionen/ (Öffnet in neuem Fenster)
Ich würde mich freuen, die eine oder den anderen dort zu sehen!