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Werbung ist, das habe ich vor bald vier Jahren schon einmal anderswo (Öffnet in neuem Fenster) aufgeschrieben, der ultimative „Überrest“: So nennen wir Quellen, die für ihre jeweilige Gegenwart erschaffen wurden und nicht für eine Nachwelt (das wäre dann die „Tradition“, offensichtlichstes Beispiel wären Lebensmemoiren). Werbung aber ist nur für die Gegenwart: Menschen, die sich mitunter sehr gut damit auskennen, wollen genau in der Zeit, in der sie Werbung machen damit einen Effekt auslösen, der meistens auf eine Umsatzsteigerung des Beworbenen zuführt. Ob diese Reklame zehn Jahre später noch genau so wirkt, wenn jemand die alte Zeitung zufällig in die Hand nimmt oder streifige VHS-Kassetten anguckt, ist Werbenden in den allermeisten Fällen völlig egal.

Das macht Werbung zu so einer großartigen Quelle, und deswegen mag ich nach besagten vier Jahren unser Projekt @die_Reklame (Öffnet in neuem Fenster) immer noch so gerne: Ganz ohne Erklärung werfen wir ein Stück einer vergangenen Gegenwart in unsere aktuelle, was unweigerlich dazu führt, dass man beide Zeiten vergleicht. Im Optimalfall stößt das dann einen Gedankengang darüber an, was sich gesellschaftlich, technisch, wirtschaftlich, kulturell undsoweiter verändert hat seit dem Tag, an dem die Anzeige erstmals erschien. Aber ich will nicht zu naiv sein: Häufig finden die Leute das auch einfach witzig und scrollen dann weiter. Auch das ist vollkommen okay, im Content-Game geht es halt auch um effektive Zeitverschwendung.

Manche dieser Anzeigen, die wir bei unserer Arbeit finden, möchten wir nicht so ohne Erklärung auf die internetempfangenden Endgeräte werfen, vielleicht ist uns das sogar juristisch untersagt. Es handelt sich dabei um über bestimmte Grenzen sexistische oder rassistische Werbemotive oder sehr viel Material aus der Zeit des Nationalsozialismus. Wir haben dafür in unserer Dropbox einen Ordner „Giftschrank“ eingerichtet mit Anzeigen, die zwar aus verschiedenen Gründen sehr spannend sind, aber als effektive Zeitverschwendung nicht taugen. Diesen „Giftschrank“ möchte ich heute, ungefähr dreieinhalb Jahre später als ursprünglich beabsichtigt, erstmals behutsam öffnen. Wer diesen Newsletter nur für meine Hot Takes über unsere Gegenwart liest oder es bevorzugt, sich nicht mit historischen Zeugnissen von Rassismus und Sexismus auseinanderzusetzen, sollte ab hier zur kommenden Woche herüberspringen.

Pflaster im Krieg

Beide Anzeigen aus „Der Stürmer“ 36 1944

In der Phase des Zweiten Weltkrieges, in der der Krieg mit aller Wucht über das Land hineinbrach das ihn angefangen hatte, die Versorgung mit gedruckten Medien aber noch halbwegs zuverlässig funktionierte (Papier wurde später knapp, 1945 fehlten immer mehr Druckereien die zum „Volkssturm“ beorderten Drucker), endete in der Werbung für Verbandsmaterialien die Zurückhaltung: nun ging es nicht mehr, wie noch in den 1930ern und frühen 40ern um Arbeitsunfälle oder Kinder, die sich die Knie aufgeschrammt hatten: Wer Pflaster brauchte, hatte sich vermutlich bei Kriegsereignissen verletzt. Denn auch im totalen Krieg hörte ja das Verkaufsverlangen privatwirtschaftlicher Firmen nicht auf, auch wenn uns immer wieder erzählt wird, das „Dritte Reich“ sei eine sozialistische Diktatur gewesen. Aber ohne direkte ideologische Auswirkungen ging es natürlich nicht: Wer sich verletzt und eines Pflasters bedarf, ist natürlich nicht zu bemitleiden, sondern „fällt den andern nur zu Last“.

Frauen im Weltkrieg

Beide Anzeigen aus „Der Stürmer“ 36 1944

Das Thema „Frauen im Nationalsozialismus“ ist so komplex, dass ich ihm unter solchen Anzeigen nicht ansatzweise gerecht werden kann, aber es ist schon bemerkenswert, dass auch die Werbung aufgriff, dass sich das NS-Frauenbild zum Ende des Krieges so änderte – aus der Hausfrau und Mutter wurde die arbeitende Frau, die zusätzlich ihren Kindern einen vitaminzugesetzten Pudding (Lebensmittelmangel!) kocht. Und die dazu während ihrer Periode einsatzbereit bleibt für Volk und Vaterland anstatt als „Arbeitstrampel“ die Heimatfront zu schwächen. Während heute eher individueller Erfolg (beruflich, in der Liebe, sportlich, ganz gleich) als Endresultat des beworbenen Produktes beschrieben wird, war es also in der Kriegsendphase die Aussicht, funktionierendes Element der Volksgemeinschaft im „Totalen Krieg“ zu sein. Ob das tatsächlich Resonanz bei der Ende 1944 weitgehend desillusionierten Bevölkerung fand oder eher dem Gehorsam der Werbenden gegenüber dem System NS geschuldet war, ist letztlich nicht allgemeingültig zu beantworten. Vielleicht wurde das auch gar nicht mehr so weit reflektiert.

Mangel

Ein Werbe-Genre, das die Deutschen schon aus dem Ersten Weltkrieg kannten, fand auch im Zweiten zu alter Größe: die Aufforderung zur Sparsamkeit. Und das nicht etwa durch den Gebrauch eines besonders sparsamen oder ergiebigen Mittels, sondern durch Zurückhaltung der Verbraucher:innen beim Kauf und Gebrauch:

Anzeigen aus „Der Stürmer 36 1944“ und „Seidels Reklame 3 1943“

Hier haben wir es wiederum mit einer Art Meta-Werbung zu tun, einer übergeordneten Sorge um das Image der Marke und nicht dem Ziel des erhöhten Absatzes – wie auch, wenn Knorr nicht ausreichend liefern kann, gibt es keine Gründe, eine kurzfristige Erhöhung der Nachfrage zu fördern. Wichtiger war, dass sich der Markenname „Knorr“ in den Köpfen der Kundinnen (und diese Werbung dürfte sich ausschließlich an Frauen gerichtet haben) nicht verknüpft mit Günstlingswirtschaft und Nichtverfügbarkeit – ganz egal, in welchem System. Bei der Firma Sanitas, die den Namen „Foen“ für den elektrischen Haartrockner 1908 erfand und als Markennamen verwendete, ging es hingegen darum, die Uneigennützigkeit des Unternehmens, das im Krieg hinter die Bedürfnisse der Rüstungsindustrie zurücktreten sollte, zu demonstrieren – und damit wiederum zu zeigen, dass man selbst Teil des Ganzen, der Gemeinschaft ist.

Fast allen hier gezeigten Anzeigen ist gemein, dass es ihre Firmen noch in der einen oder anderen Form gibt: 

Knorr und Hansaplast kennt weiterhin jedes Kind als Marktführer ihrer Branchen, Camelia ist eine nur in Deutschland verwendete Marke der Kimberly-Clark Corporation. 

Sanitas und der Markenname "Fön/Foen“ wurde in den 50er Jahren an AEG verkauft, die nun Electrolux gehört – wer einen „Fön“ und keinen „Haartrockner“ kaufen will, kann das weiterhin nur von Electrolux. 

Döhler, die mit dem Pudding, wurden nach dem Krieg in Erfurt enteignet und zogen nach Darmstadt um, wo die Firma zu einem der weltweit führenden Hersteller von Lebensmittelzusatzstoffen wurde. 

Nur Ankerplast gibt es nicht mehr, die Firma fiel nach Ende der DDR der Treuhand zum Opfer und wurde unter gänzlich anderem Namen weiterverkauft. Der Name lebt nur an anderer Stelle weiter: bei den Anker-Bausteinen (Öffnet in neuem Fenster), die heute wieder in Rudolstadt produziert werden.

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